Wildschweine
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Chronik | Leben mit Wildtieren

Die Invasion der Wildschweine

Die Zahl der Wildschweine in Italien steigt unaufhaltsam. In Rom und Genua dringen sie längst bis in die Stadt vor.

Während in Südtirol schon ein vermeintlicher Wolf übertriebene Besorgnis auslöst, haben andere Regionen mit Wildtieren wesentlich ernstere Probleme zu lösen. Etwa mit der unaufhaltsam steigenden Zahl von Wildschweinen, die sich in 15 Jahren verdoppelt hat. Auch Grossstädte wie Rom, Genua, Florenz und Bologna bleiben davon keineswegs verschont. Für erregte Diskussionen sorgte letzte Woche der Tod eines 49-jährigen Motorradfahrers auf der römischen Via Cassia. Ein Wildschwein, das unvermittelt die Strasse überquerte, hatte den tödlichen Sturz verursacht. Sogar auf einer belebten Strasse in Vatikannähe wurde letzthin nachts ein Keiler gefilmt. Vor allem in den nördlichen Stadtbezirken sind Rotten der Tiere allgegenwärtig, plündern Mülltonnen und pflügen Felder um.

Die Unsitte vieler Römer, ihre Müllsäcke neben volle Container zu stellen, fördert die Plage. Die Gemeinde will die Tiere mit Medikamenten sterilisieren und hat den Wildexperten Piero Genovesi beauftragt, einen entspechenden Plan vorzulegen.  Doch dieser hält die Aktion für sinnlos. Sie sei zu kostsspielig und unwirksam:  "E' inutile, questi sono animali “dopati", non hanno quasi più nulla di quelli selvatici tanto che a 5 mesi ci sono femmine già gravide. Il primo modo per evitare l’arrivo degli ungulati nelle città sarebbe proprio quello di togliere le fonti di cibo, svuotando i cassonetti". Allein im weitläufigen Park der Präsidentenvilla in Castelporziano vor den Toren Roms werden jährlich 1500 Wildschweine erlegt.

Die Gesamtzahl wird in Italien mittlerweile auf über eine Million geschätzt - rund 400.000 davon leben in der Toskana, wo sie schwere Schäden in Feldern und Weinbergen anrichten und pro Jahr Hunderte Unfälle verursachen. Nach Protesten der Bauernverbände hat die Region die schwarzen Wühler für drei Jahre ohne jede Einschränkung zur Jagd freigegeben.

 

Auch Bauern ohne Jagdlizenz dürfen die Tiere erlegen. Dass wahllos auch Jungtiere abgeschossen werden können, hat heftige Proteste von Tier- und Umweltschützern ausgelöst. Schauspieler und Schriftsteller kritisierten den Beschluss als "barbarisch". Der Autor Marco Vichi beklagte sich darüber, dass man nicht mehr in den Wald gehen könne "ohne Horden ballernder Jäger in Tarnkleidung zu begegnen."

Doch die Radikalkur zeigt nur beschränkte Wirkung. Denn die Jagd ist für jüngere Italiener längst keine attraktive Freizeitbeschäftigung mehr. Die Zahl der Jäger  ist in der Toskana im letzten Jahrzehnt von 115.000 auf 85.000 gesunken - mehr als  die Hälfte sind über 65. 

 

Die Ironie des Schicksals freilich liegt darin, dass die Jäger selbst die lästige Plage  verursacht haben. Vor einigen Jahrzehnten importierten sie aus Ungarn Tiere, die grösser waren als die heimischen und sich schneller vermehrten - mit bis zu 10 Ferkeln pro Wurf.  Problematisches Ergebnis: die Population wächst unaufhörlich. In der Toskana sind die Tiefkühltruhen mittlerweile übervoll, das Fleisch wird zu Niedrigpreisen von fünf Euro pro Kilo angeboten. In der Region haben Bauern im vorigen Jahr Ernteausfälle von 12 Millionen Euro gemeldet. Nach Schätzungen leben dort fünf Mal so viele Wildschweine wie in den Nachbarregionen. Und weil die Preise für die Schadensversicherung steigen, verzichten viele Bauern darauf. Normale Wildzäune sind für die meist in Rudeln auftretenden Tiere ohnedies kein Hindernis. Der italienische Bauernverband schätzt die von den Paarhufern verursachten die Schäden italienweit auf 100 Millionen Euro.

Neben Rom gehört vor allem Genua zu jenen Grosstädten, in denen Wildschweine gehäuft auftreten. Waren sie früher vor allem in den höhergelegenen Stadtteilen eine alltägliche Erscheinung, sind sie in der Zwischenzeit bis ins Stadtzentrum vorgedrungen.  Besonders aufdringliche Tiere werden gefangen, eingeschläfert und in die Wälder gebracht. Die Gemeinde hat eine hotmail eingerichtet, um die Anwesenheit von Wildschweinen im Stadtgebiet zu melden. Die wichtigsten Wildwechsel werden mit elektrischen Zäunen versehen. Die Fütterung der Tiere wird mit Geldstrafen geahndet. Am Wochenende wurde ein Motorradfahrer ersthaft verletzt, als er gegen ein Wildschwein prallte und stürzte.

Der bisher schwerste Unfall ereignete sich auf der Autobahn, als nahe der Einfahrt Lucca ein Rudel von 20 Wildschweinen die Fahrbahn querte. Zwei Personen wurden verletzt, sechs Autos beschädigt und acht Tiere getötet.

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Hartmuth Staffler So., 02.04.2017 - 15:21

Gerhard Mumelter kann es nicht wissen, aber Wildschweine sind nicht nur in Italien, sondern auch in Südtirol ein ernsthaftes Problem, das derzeit weitaus mehr Sorgen bereitet als die wenigen Wölfe, auch wenn diese nicht "vermeintlich", sondern höchst real sind.

So., 02.04.2017 - 15:21 Permalink
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Martin B. Di., 04.04.2017 - 22:59

"in seine Scheune lockt und in der Scheune abschießt": Haha, Not macht erfinderisch. Wäre der Fleisch-Niedrigpreis dieser theoretisch Antibiotikafreien Schweine nicht optimal für Wildschweinspeck geeignet? Anstatt der Industriezüchtungen könnte man hier Regionen im Süden helfen und dort einkaufen. Südtiroler Metzger macht euch kund.

Di., 04.04.2017 - 22:59 Permalink
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Thomas Hofer Fr., 07.04.2017 - 22:57

wie wärs mit Wildhege und Wildnutzung? Macht man das professionell, kommt man zu einem Gleichgewicht innerhalb einer Kulturlandschaft (eben nicht Naturlandschaft, von der haben wir leider nicht mehr genug).

Fr., 07.04.2017 - 22:57 Permalink
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Martin Streitberger Sa., 08.04.2017 - 11:11

Die Idee Wildschweine in diesem Ausmaß zu sterilisieren kann nur von der Pharmaindustrie kommen, damit sie großzügig verdient. Ich glaube in der Toscana gibt es auch Wölfe und die könnten mal den Bauern und Jägern helfen, vielleicht als Ansporn eines Zusammenlebens in Südtirol zu nehmen. Mehr wahrscheinlich auch nicht.

Sa., 08.04.2017 - 11:11 Permalink