Politik | Flüchtlinge

Brandgefahr am Brenner

Die mögliche Aufrüstung am Brenner sorgt für zahlreiche Reaktionen. Kompatscher: “Law-and-Order-Botschaft in Wahlkampfzeiten.” Rom bestellt Österreichs Botschafter ein.
Brenner
Foto: Othmar Seehauser

“Nur ein Strich auf der Landkarte”, “nur ein Bergpass innerhalb Tirols” war der Brenner vor nicht einmal einer Woche im österreichischen Parlament. Seit gestern ist der Brenner noch etwas anderes: in der Wahlkampfrhetorik sämtlicher Parteien angekommen.
Es war die Kronenzeitung, die am Montag Nachmittag zuerst über den “Alarmplan” des österreichischen Verteidigungsministers berichtete. 750 Bundeswehrsoldaten und Kriegsfahrzeuge stünden für den Fall der Fälle bereit, so Hans Peter Doszkozil. Vier Panzer hat der SPÖ-Minister bereits nach Tirol verlegen lassen. Die militärische Nachrichtendienste gingen nämlich davon aus, dass der anhaltende und zuletzt gestiegene Flüchtlingsstrom nach Italien möglicherweise für eine Zuspitzung der Lage am Brenner sorgen könnte. "Angesichts der Migrationsentwicklung in Italien müssen wir uns vorbereiten. Ich erwarte sehr zeitnah, dass Grenzkontrollen aktiviert werden”, so Doskozil zur Krone.
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Österreich und sorgte für Reaktionen in allen politischen Lagern. In Italien fordert ein höchst empörter PD die Einleitung eines EU-Verfahrens gegen Österreich: “Österreich hat noch keinen einzigen Flüchtling im Rahmen des Relocation-Programms aufgenommen, genau wie Polen, Ungarn und die Tschechische Republik, gegen die bereits ein EU-Verfahren läuft. Das Land verletzt jegliche europäische Solidaritätsregel und schließt seine Grenzen”, schreibt Marina Berlinghieri, die im PD für EU-Fragen zuständig ist, auf Facebook.

So weit ist es allerdings noch nicht. Bereits vor Monaten wurden Vorbereitungsmaßnahmen am Brenner abgeschlossen, um gegebenenfalls mit Grenzkontrollen beginnen zu können. Auch aus diesem Grund sind die Meldungen, die jetzt aus dem Norden kommen, für Landeshauptmann Arno Kompatscher “nichts Neues”. In der Vergangenheit habe Österreich öfters mitgeteilt, sich für den Wenn-Fall gerüstet sein zu wollen, so Kompatscher am Dienstag Mittag. Die Situation am Brenner sei aber “unter Kontrolle”, am Ausmaß der illegalen Grenzüberschreitungen habe sich “nicht geändert”. Das bestätigt auch der Bürgermeister der Gemeinde Brenner. Derzeit sehe er, anders als es in der Vergangenheit schon der Fall war, keinen Notstand, so Franz Kompatscher: “Es ist nicht einfach, die Grenze zu überqueren. Die Migranten wissen, dass es auf beiden Seiten des Brenners strenge Kontrollen gibt.” Und dann sagt der Bürgermeister etwas, das viele dies- und jenseits des Brenners vermuten: “Es fehlen nur mehr wenige Monate bis zu den Wahlen in Österreich. Natürlich lässt jemand jetzt die Muskeln spielen.” Am 15. Oktober wählen die Österreich ihr Parlament neu. “Die sich ständig wiederholenden Ankündigungen solcher Maßnahmen haben wohl auch damit zu tun”, stimmt Landeshauptmann Kompatscher seinem Namensvetter vom Brenner zu. Die Äußerungen Doskozils deutet er als “Botschaft nach innen, dass man für Law & Order sorgt”.
Arno Kompatscher lässt durchblitzen, dass er sich nach der jüngsten Aufforderung zu Solidarität, die Italien in die EU geschickt hat, eine andere Reaktion aus Österreich erwartet hätte: “Statt Solidarität zu zeigen, spricht man jetzt von Soldaten und Panzern.”

Rhetorische Aufrüstung beiseite, will der Landeshauptmann auch daran erinnern, dass die Europäische Kommission bislang keine Kontrollen am Brenner genehmigt hat, die über jene im Schengen-Abkommen hinausgehen. Doch die Nachbarn im Norden scheint das nicht zu scheren. Kompatschers Amtskollege Günther Platter begrüßt die Vorbereitungen am Brenner und meinte am Montag: “Wenn es die Lage erfordert, lege ich Wert darauf, dass nicht Rücksicht auf die Bestimmungen der EU genommen wird, sondern im Eigeninteresse kein Durchkommen für illegale Migration am Brenner besteht.” Kompatscher hat mit dem Nordtiroler Landeshauptmann bereits am Telefon gesprochen. Er ist um Diplomatie bemüht: “Unsere Botschaft muss sein, dass wir alle für dasselbe Ziel arbeiten: weitere Opfer im Mittelmeer verhindern und die Situation unter Kontrolle bringen”, verkündet Kompatscher am Dienstag Mittag. Indes hat das italienische Außenministerium in Rom nach der Ankündigung, gegebenenfalls Soldaten an den Brenner schicken zu wollen, den österreichischen Botschafter einbestellt.
“Es mag für einige verlockend sein, die sich jetzt möglicherweise anbahnende erneute Flüchtlingskrise für den Wahlkampf zu missbrauchen. Aber das wäre verantwortungslos”, schreibt der Leiter des Innenpolitik-Ressorts der Kronenzeitung Claus Pándi in einem Kommentar. “Die Sache mit dem Brenner ist brandgefährlich.” Bleibt zu hoffen, dass das Zündeln trotz Wahlkampf aufhört. Auf dass der Brenner wieder zum Strich auf der Landkarte, zum einfachen Tiroler Bergpass wird.