Gesellschaft | Sanität

„Ehrlich gesagt – nee“

Mit einer eigenen Internetseite und vielen Anzeigen versucht der Sanitätsbettrieb seit 2016 Ärzte aus Deutschland abzuwerben. Warum hat er dabei so wenig Erfolg?
Kampagne
Foto: Sabes

Auch Jobanzeigen können Wellness-Gefühle aufkommen lassen. Verbinden Sie Karriere mit dem „Viva Italia“ – Dolomiten, Gardasee, Verona und vieles mehr, verbinden sie gesundes Arbeiten mit gesundem Leben: Mit solchen Lockrufen versucht der Südtiroler Sanitätsbetrieb im Rahmen seiner - laut Generaldirektor Thomas Schael - europaweit einzigartigen Ausschreibung für 100 Ärztinnen und Ärzte auch im deutschsprachigen Ausland neues Personal zu finden. Rund eine halbe Million Euro werden für die Kampagne in Italien und Deutschland ausgegeben. Um deutsche Mediziner zu erreichen, inseriert man nicht nur eifrig im Deutschen Ärzteblatt und in Fachzeitschriften. Im vergangenen Mai wurde mit der Berliner Personalvermittlungsagentur Peomed AG eine eigene Internetseite eingerichtet, um Bewerber aus Deutschland noch besser ansprechen zu können.

Das Bildmaterial, auf das man dabei setzt, ist hinlänglich aus der Tourismuswerbung oder aus der aktuellen Imagekampagne „Südtirol sucht....“ bekannt. Doch während überfüllte Straßen oder rekordverdächtige Schlangen vor dem Bozner Ötzi-Museum in diesen Wochen bestätigen, dass suggestive Aufnahmen von satten Almen, Mountainbikern im goldenen Gegenlicht oder mediteran-alpiner Lebensart deutsche Urlauber keineswegs kalt lassen, scheinen deutsche Ärztinnen und Ärzte etwas immuner dagegen sein. Bereits bei einer ersten Bilanz des Sanitätsbetriebs zu seiner Recruiting-Kampagne im vergangenen November wurde mit 88:12 Prozent ein klarer Überhang der Bewerbungen aus Italien gegenüber jenen aus Deutschland deutlich. Noch weit ernüchternder sind die Zahlen, die nach dem Abschluss der jüngsten, Ende Juni abgeschlossenen, Stellenausschreibungen in den Fachbereichen Anästhesie, Gynäkologie, Pädiatrie sowie Notfallmedizin und Unfallchirurgie vorliegen: Von 134 MedizinerInnen, die Interesse an einer der ausgeschriebenen Stellen gezeigt haben, kommen gerade einmal drei Prozent, also vier Ärzte aus Deutschland.

 

Der Generaldirektor des Sanitätsbetriebs dürfte eine solch magere Ausbeute nicht wirklich kalt erwischt haben. Immerhin hatte Thomas Schael das geringe Interesse aus Deutschland bereits im vergangenen November mit der fehlenden Facharzttitelanerkennung in Italien, vergleichsweise geringeren italienischen Gehältern sowie der vielfach fehlenden Zweisprachigkeit entschuldigt. Die hatte bekanntlich bis zum Vorjahr dazu geführt, dass Ärzte bis zum Bestehen der Prüfung nur mit Werkvertrag angestellt werden können. Auf einem Markt, auf dem europaweit nach Personal gesucht und in dem zumindest im deutschsprachigen Raum die Fixanstellung für Ärzte Standard ist, ein klarer Knock-Out-Schlag in Sachen Begehrlichkeit. Der mittlerweile dank Landesregierung abgefedert werden konnte – mit der Möglichkeit bis zum Erreichen der Zweisprachigkeit drei Jahre lang jeweils auf sechs Monate befristete Anstellungen zu vergeben.

Crash-Kurs in italienischer Bürokratie mit Südtiroler Anstrich

Doch trotz dieses großen Schritts ist der Prozentsatz an deutschen Bewerbern bei der letzten Ausschreibung noch einmal deutlich in den Keller gerasselt. Warum? Nicht zuletzt wegen der anderen Seite der Medaille des Lockrufs „Viva Italia“, legen Nachfragen bei einigen Ärtzinnen und Ärzten im deutschsprachigen Raum nahe, die sich die Bewerbungsunterlagen aus eigenem Interesse oder auf Bitte von salto.bz angesehen haben. Der allgemeine Tenor: Eine Wahnsinnsbürokratie, ein von hinten aufgezähmtes Bewerbungs-Prozedere, schlechte Kommunikation und ein unverhältnismäßig großer kostenmäßiger Aufwand noch bevor eine konkrete Jobzusage in Aussicht steht. „Wenn ich heute Ärzte aus dem Ausland abwerben will, muss ich schon ein wenig den roten Teppich ausrollen“, bringt es ein Mediziner auf den Punkt. Das mag in Ländern wie Dänemark geschehen, wo ausländischen Bewerbern Intensivsprachkurse bei vollem Gehalt, garantierte Kindebetreuungsplätze, Hilfe in der Kommunikation mit Behörden und Schulen bis hin zur Vermittlung von Jobs für die Ehepartner geboten wird.

Wer sich dagegen im deutschsprachigen Ausland für einen Job in Südtirol bewirbt, bekommt vor allem einen Crash-Kurs in Sachen italienische Bürokratie und Schattenseiten der Südtiroler Autonomie. „Für uns ist es üblich, bei einer Bewerbung dem Chefarzt der betreffenden Abteilung einen kurzen Lebenslauf zu schicken, der dann nach einem Bewerbungsgespräch auch über eine Anstellung entscheidet“, erzählt ein Arzt aus Deutschland. Der Papierkram würde dort erst beginnen, sobald man sich über eine Anstellung geeinigt hat. In Südtirol dagegen beginnt er unmittelbar. Denn um am Rangordnungsrennen teilnehmen zu können, müssen Interessierte ohne Zweisprachigkeitsnachweis nicht nur beim Sanitätsbetrieb ein Gesuch um zeitbegrenzte Aufnahme stellen.

„Gleichzeitig sollten Sie umgehend mit der Anerkennung der Studientitel in Rom beginnen und sich dann in eine italienische Ärztekammer eintragen“, heißt es im Begleitschreiben zu diesem Gesuch. Und: „Idealerweise sollten Sie persönlich bis zum 30.06.2017 (Ende der Einreichfrist der letzten Ausschreibung, Anm. d.Red) ) die Sprachgruppenzugehörigkeit im Landesgericht von Bozen angegeben haben.“ In anderen Worten: Es wird den Bewerbern abverlangt, einen  bürokratischer Marathon hinzulegen, bevor nach Ende der Einreichungsfrist in Eignungsprüfungen bestimmt wird, wer überhaupt einen Job in Südtirol bekommt. Dass dies trotz akuter Personalnot nicht alle 134 Bewerberinnen und Bewerber sein werden, machte Schael im Rahmen der aktuellen Stellenausschreibung mehr als deutlich: „Wenn ein Drittel der Bewerber unseren Vorstellungen entspricht, dann haben wir gut 40 neue Ärzte. Das wäre ein Super-Ergebnis“, hatte der Generaldirektor Anfang Juli gegenüber der Tageszeitung Dolomiten erklärt.

Wenn selbst Stempelmarken zur Hürde werden 

Dass bürokratische Hürdenläufe, die schon Südtiroler zur Verzweiflung bringen können, aus dem Ausland noch ein wenig herausfordernder werden, liegt auf der Hand. Ein kleines Beispiel? Für das Gesuch um die Anerkennung des Facharzttitels in Rom braucht es eine 8-Euro-Stempelmarke. Was in Südtirol in jedem Tabakladen erledigt werden kann, wird in Deutschland zum Problem. Denn dort sind italienische Stempelmarken nur in den diplomatischen Vertretungen Italiens erhältlich – und die finden wohl die wenigsten potentiellen Talente für Südtirols Sanität um die Hausecke. Würde Südtirol seine dringend benötigten Ärzte wirklich umwerben, könnte man die Stempelmarken einfach in der hier zuständigen Stelle auf die eingesendeten Ansuchen picken – oder die lästige Fachtitel-Anerkennung erleichtern, indem man Kandidaten die Übersetzung der Dokumente ins Italienische abnimmt. Stattdessen wird ihnen im Begleitschreiben ausführlich erklärt, warum so eine entgegenkommende Geste nicht möglich ist:

„Leider ist uns als Gesundheitsabteilung nicht möglich, die Aufgabe der Übersetzungstätigkeit zu übernehmen, da wir weder über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der dafür vorgeschrieben Ausbildung verfügen, noch für die professionellen Übersetzerinnen und Übersetzer  eine Konkurrenz darstellen dürfen. Auf den unten angeführten Webseiten können Sie sich jedoch über die in Südtirol tätigen Übersetzungsdienste informieren.“

Die Eintragung in die Ärztekammer, die ebenfalls noch vor Ablauf der Bewerbungsfrist eingeleitet werden soll, bringt dagegen neben weiteren Papieren vor allem eine stolze finanzielle Belastung mit sich. Denn dort wird jedes neue Mitglied auch automatisch in die Rentenversicherung für Ärzte eingeschrieben – und muss somit neben der finanziell überschaubauen Mitgliedsgebühr für die Kammer sofort den jährlichen Grundbeitrag der Pensionskasse zahlen. Also einen, vor allem für Über-40-Jährige, stolzen Betrag von bis zu über 1400 Euro. Und, wie ein Arzt weiß, der Südtirol nach einigen Jahren Arbeitstätigkeit wieder verlassen hat: „Wer einmal in die ENPAM eingeschrieben ist, schafft es nur mit großem Aufwand wieder rauszukommen.“ Hätte er kein Interesse, wieder in Südtirol Fuß zu fassen und an der Stellenausschreibung teilzunehmen? „Ehrlich gesagt: Unter solchen Rahmenbedingungen – nee“, antwortet er.

Ob all diese bürokratischen Mühen und finanziellen Aufwendungen überhaupt zum Erfolg führen, hängt aber nicht nur von den Eignungstests ab. Auch ein Formfehler im Gesuch selbst führt automatisch zu einem Ausschluss vn der Ausschreibung. „Und die Wahrscheinlichkeit dafür ist für Deutsche weit höher, denn manches dass hier gefragt wird, heißt in Deutschland anders oder funktioniert anders“, sagt eine Ärztin. Doch statt die  Bewerbungsbögen an die deutschen Gegebenheiten anzupassen, müssten deutsche Bewerber einen Weg suchen, die Formulare dennoch fehlerfrei auszufüllen. Häufiger Stein des Anstoßes bei der Bewertung der Bewerbungsunterlagen ist auch der fehlende Hinweis auf Gehälter. „Man bekommt vorab weder Klarheit über die Gehaltshöhe noch darüber ob es einen individuellen Verhandlungsspielraum gibt“ sagt eine Ärztin. Auf die Frage, ob es in Südtirols Krankenhäusern eine Kindertagesstätte gibt, wie es von ihrem deutschen Arbeitsplatz gewohnt ist, erhielt  sie nicht einmal eine Antwort.  

„Als Arbeitgeber sind wir gefordert, ein modernes, aufgeschlossenes Unternehmen zu werden“, hatte Thomas Schael Ende vergangenen Jahres in  einer ersten Bilanz der Recruiting-Kampagne erklärt. „Vor allem um im deutschsprachigen Umfeld punkten zu können, wo wir unsere Kampagne weiter verstärken werden.“  Anregungen, was es dafür bräuchte, gibt es schließlich genug.  Mit "Viva Italia" ist es unter solchen Bedingungen aber sicher nicht getan. 

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Richard Lang Mo., 31.07.2017 - 21:56

Vielleicht sollte sich Herr Schael mehr darum kümmern, dass die angestellten Ärzte im öffentlichen Betrieb bleiben, denn diese Ärzte verlassen ja scharenweise das Krankenhaus, so dass es immer mehr akute Probleme in den Abteilungen gibt. So habe ich gehört, dass wegen des Abganges von Anästhesisten im KH Meran teilweise keine programmierten Eingriffe durchgeführt werden können.
Ganz schön peinlich....

Mo., 31.07.2017 - 21:56 Permalink
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Michael Wirnsperger Di., 01.08.2017 - 18:23

habe mich als Österreicher vor 3 Jahren in einem anderen europäischen Land beworben. Das ging so: e-mail schreiben, dass ich an der ausgeschriebenen Stelle Interesse hätte, Lebenslauf dazu. Vorstellungsgespräch (unkompliziert), 1 Woche später Zusage und Bitte, meine Dokumente zu übersenden. Alle Bürokratie bis auf Sozialversicherung wurden vom Arbeitgeber erledigt UND bezahlt. Fertig.

Di., 01.08.2017 - 18:23 Permalink
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stefano Corra So., 06.08.2017 - 20:49

Schweiz, Chefarztstelle, meine persönliche Erfahrung :
Lebenslauf per E-mail
Vorstellungsgespräch mit den Chefärzten und Verwaltungsdirektor.
Nach Zusage:
Vertragsverhandlungen per E-mail
Anerkennung des Diploms und Facharzttitels (3 Wochen, 1200 CHF, Dokumente per Post)
Berufsbewilligung des Kantons (eine Woche, Dokumente per Post)
Bürokratie für Aufenthaltsbewilligung, Sozialversicherung, Kinderzulage usw. vom Arbeitgeber erledigt.

So., 06.08.2017 - 20:49 Permalink