Gesellschaft | Migranten

„Das Gefühl der Dankbarkeit überwiegt"

Die Vinzenzgemeinschaft, beklagt sich über die Situation in der Kleiderkammer Bozen*. Ist Helfen wirklich so schwierig? Karin Cirimbelli, von SOS Bozen, im Interview
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Foto: vita.it

salto.bz: Frau Cirimbelli stimmt es, dass sich die Hilfsbedürftigen in Bozen zum Teil nicht helfen lassen wollen?
Karin Cirimbelli:
Nein, diese Aussage stimmt nicht. Es gibt eine Menschenwürde und wenn man jemand mit Würde behandelt, dann bekommt man diese Würde auch zurück.

Ist Undankbarkeit ein Problem bei ihrer Tätigkeit mit „SOS Bozen“?
Wir unterstützen Mittags und Abends die Bedürftigen am Verdiplatz. Durch unsere ständige Anwesenheit kennen wir die einzelnen Personen recht gut. Wir erleben auch selten Fälle von Arroganz oder Undankbarkeit. Das ist aber ein Thema, das nicht nur Flüchtlinge oder Migranten betrifft, das gibt es auch bei Einheimischen. In unserer Arbeit überwiegt aber tagtäglich das Gefühl der Dankbarkeit. Sonst würden wir das aber auch nicht schaffen. Ich kenne beispielsweise einen jungen Afrikaner, den ich seit seiner Ankunft in Bozen betreut habe. Mittlerweile hat er eine Freundin, aber er hat von Anfang an immer gesagt, dass ich die wichtigste Person in Bozen für ihn sei. Einfach weil ich ihm geholfen habe, hier ein neues Leben aufzubauen. Mehr Dankbarkeit kann man sich eigentlich nicht erwarten.

In unserer Arbeit überwiegt aber tagtäglich das Gefühl der Dankbarkeit. Sonst würden wir das aber auch nicht schaffen.

Wie schwierig ist die Situation in Bozen insgesamt?
Die Situation ist tragisch. Man kann sie aber nicht so oberflächlich beschreiben. Wir müssen uns im Klaren sein, dass Leute, die in Bozen Asyl beantragt haben, immer noch auf der Straße schlafen. Dazu haben wir die Flüchtlinge, die erst vor kurzem gekommen sind und auch auf der Straße schlafen. Momentan müssen in Bozen zirka 200 Leute auf der Straße schlafen. Dazu zählen auch einheimische Obdachlose. Wenn du einem Menschen kein Dach über dem Kopf gibst, ihm keine Toiletten zur Verfügung stellst, dann ist das schon schlimm. Ich verstehe nicht, wo die Betroffenen ihre Kraft hernehmen. Dass es natürlich auch mal zu Raufereien kommt, kann man nicht abstreiten. Wenn man verwahrlost ist, keine Aussichten hat und trotz Asylantrags nicht in Aufenthaltsstrukturen hineinkommt, ist die Situation schon wahnsinnig schwierig. Dass Flüchtlinge gewalttätig werden, erleben wir aber selten. Manche werden auch von den ständigen nächtlichen Kontrollen zermürbt. Einmal hat mir ein Asylbewerber gesagt, wenn er ein Hund wäre, könnte er wenigstens schlafen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen, dass man die Würde, mit denen man die Menschen behandelt, von ihnen auch wieder zurückbekommt.

Wie läuft die Integration der Flüchtlinge?
Die von uns angebotenen Italienischkurse werden jeden Tag fleißig besucht. Anfangs wollten wir die Teilnehmerzahl begrenzen. Es kamen aber jeden Tag neue Anfragen und dann haben wir entschieden, dass jeder kommen kann. Mittlerweile nehmen zwischen 35 und 40 Migranten das Angebot an, die sehr fleißig sind. Ob wir Deutschkurse auch anbieten, müssen wir noch schauen. Zuerst sollen die Italienischkurse funktionieren.

Wie erklären Sie sich Situationen, wie jüngst bei der Kleiderkammer?

Dass vor der Kleiderkammer Probleme entstehen, verstehe ich schon. Dass dort, bei 350 Leuten, auch mal welche enttäuscht auf neue Kleidung warten, ist verständlich. Zudem treffen da verschiedene Ethnien aufeinander, was auch zu Spannungen führen kann. Ich glaube es kommt auch darauf an, wie man hilft. Es ist ein Unterschied, ob ich helfe, damit der andere Dankbarkeit zeigt, oder ob man hilft, weil man wirklich helfen will. Und entsprechend ist auch die Reaktion der Bedürftigen. Wenn man wirklich gerne hilft, dann kommt die Dankbarkeit von alleine zurück. Man darf aber auch nie die Vergangenheit der Bedürftigen vergessen. Außerdem leben viele, wie gesagt, in prekären Verhältnissen. Deswegen ist auch klar, dass andauernd viele Leute bei der Kleiderkammer anstehen.

Einmal hat mir ein Asylbewerber gesagt, wenn er ein Hund wäre, könnte er wenigstens schlafen.

Liegt da die Verantwortung auch bei der Politik?
Ja, absolut! Es gibt einen chronischen Notstand. Mir kommt vor, als ob alle denken würden, das Problem würde sich irgendwann schon auflösen. Man muss aber der Sache in die Augen schauen und Entscheidungen treffen. Diese Situation löst sich nicht von heute auf morgen auf. Da muss man umdenken und das ganze ein bisschen strukturieren. Vor allem muss man aber langfristigere Lösungen finden. Wie sind die Reaktionen aus der Bevölkerung Ihrer Tätigkeit gegenüber? Das ist unterschiedlich. Manche finden es sehr gut, was wir machen, andere sind ein bisschen frustriert gegenüber dieser Thematik und wieder andere finden es weniger gut. Manchmal wird auch die Frage gestellt, ob es denn nicht besser sei, den Italienern zuerst zu helfen. Dann sage ich immer, solange wir, Freiwillige, den Flüchtlingen helfen, ist den Italienern auch geholfen. Denn wenn wir Freiwillige tagtäglich Flüchtlinge unterstützen, begleiten, ihnen das Gefühl vermitteln dass wir da sind für ist der Stadt und der Bevölkerung auch geholfen.

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Profil für Benutzer Michael Bockhorni
Michael Bockhorni Do., 03.08.2017 - 09:25

Nicht immer sind traditionsverbundene Systeme die adäquate Antwort für Probleme von heute. Insofern ist es sicher für alle Beteiligten hilfreich die Form der Hilfestellung von Menschen in Not neu zu überdenken. Josef Stricker fordert in dieser Hinsicht schon lange einen Wandel von der Versorgung (mit Kleidung, Essen usw.) hin zur Unterstützung (bei der Bewältigung der Notlage, der Stärkung der Fähigkeiten der Betroffenen und der Prävention).

Do., 03.08.2017 - 09:25 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher Do., 03.08.2017 - 12:11

Ich habe Respekt vor Personen wie Frau Cirimbelli und verstehe auch, dass sie tendiert die Probleme herunter zu spielen. Von Problemen könnten aber auch Mitarbeiter der Caritas erzählen, die auch nicht nur Dankbarkeit erfahren. Sie erzählen es aber nicht öffentlich!
Meine Erfahrungen mit der Kleider-Kammer: vor Jahren habe ich das erste Mals Sachen zur Kleiderkammer gebracht. Es stand eine Schlange von wartenden Hilfsbedürftigen. Sie machten mir Platz und grüßten/dankten freundlich. Als ich das letzte mal Sachen brachte, nahm mir ein Schwarzafrikaner sofort eine Tasche aus der Hand. Ich dachte er wollte mir tragen helfen, aber er haute einfach damit ab. Dabei war nicht drin, was für in passte. Den Versuch auch anderer, mir eine Tasche abzunehmen habe ich verhindert und es war nicht leicht zur Kleidertheke vor zu kommen.
Es gibt auch Leute, die öfters was Neuen wollen. Die Frage ist, ob es Strukturen gibt, die Ihnen die Sachen auch waschen und reinigen oder werden die schmutzigen und stinkenden Kleider einfach durch neue ersetzt?

Do., 03.08.2017 - 12:11 Permalink