Kultur | Salto Weekend

Die Alpen in der Antike

Ralf-Peter Märtins letztes Werk: Über den Schlern als Opferstelle, Mautgebühren in der Antike und die Frage, warum der Vinschgau im alten Rom in aller Munde war.
Hannibals Übergang über die Alpen, kolorierter Holzschnitt von Heinrich Leutemann, 1866
Foto: heinrich Leutemann

Die Antike ruft bestimmte Bilder in uns hervor: vermeintlich weiße Tempel, lange, wehende Gewänder, Weintrauben und Philosophen unter Olivenbäumen; wie Urlaub in Griechenland eben. Man glaubt es kaum, aber abseits der mediterranen Landschaften der Antike existierten bereits die Alpen! Schon mal überlegt wie es damals bei uns hier in Südtirol aussah?

 

Der deutsche Historiker Ralf-Peter Märtin widmet sich im Buch Die Alpen in der Antike genau dieser Frage. Bis zu seinem Tod 2016 arbeitete er an diesem letzten großen Werk, das nun, postum und ergänzt durch ein Nachwort von Christoph Ransmayr, erschienen ist.

Die Antike war das Zeitalter des Flachlandes, die Alpen wurden nicht allzu sehr geschätzt: Für den Handel waren sie ein Hindernis und auch als Schutzwall der Verteidigung erwiesen sie sich als unbrauchbar: die vielen Täler und Bergpässe erhöhten die Möglichkeit eventuelle Verteidigungsstellungen zu umgehen. So kam es, dass für die Antike die hohen Berge, die wilden und gefährlichen Wälder den Göttern gehörten; die zivilisierten Ebenen und Kulturlandschaften den Menschen.

Natur ist für die Alte Welt immer Wildnis

Gegen Ende der Eiszeit, um 13.000 v. Chr., dringen die ersten Jäger in den Alpenraum vor. Um das Zeitverhältnis zu realisieren: Ötzi lebte erst 10.000 Jahre später! Märtin beginnt die Erzählung zur Kultivierung der Alpen mit diesem Zeitalter. Wissenschaftlich und doch unterhaltsam arbeitet er sich von den ersten Pfeilfunden und Felszeichnungen bis in die Antike vor. Auch Ötzi wird natürlich nicht außer Acht gelassen, seine Fingernägel spielen dabei jedoch keine Rolle.

Das Buch gibt einen Einblick der weit über die Aufzählung historischer Fakten hinausgeht. Kulturelle, soziale, geografische und sogar geologische Aspekte der Geschichte treffen aufeinander und ergänzen sich. Wer hätte sich gedacht, dass es bereits um 5.000 v. Chr. zu einem Treibhauseffekt kam? Durch die Abholzung der Wälder, für Ackerland und Viehweiden, stiegen die CO2 Werte. Die jungsteinzeitlichen Völker nutzen den Klimawandel zu ihren Vorteil aus: das feuchtwarme Klima und die steigenden Temperaturen hoben die Baumgrenze an und erstmals konnten nun auch Schafe in den Alpen gezüchtet werden. Und wer jetzt denken sollte, dass der Klimawandel gut sei, weil es ohne ihn keine Schafe gäbe, dem wird das Buch Die Alpen in der Antike besonders nahegelegt.

Einen besonderen Fokus setzt Märtin auf die Beschreibung der Räter, jenem Volk das, im Gegensatz zu den Kelten, schriftkundig war. Ihr Alphabet und ihre Sprache stammen von den Etruskern und haben sich durch das Ladinische und Rätoromanische erhalten. Inschriften des Alphabets wurden unteranderem am Ganglegg bei Schluderns gefunden und sind heute im Vinschger Museum zu sehen. Von den Römern wurden die Räter als Barbaren und Monster beschrieben, viel wahrscheinlicher waren sie jedoch Kaufläute und Bauern, die auf dem Schlern der Heilgöttin Raitia opferten.

 

Kriegerisch geht es in den Alpen und in den Kapiteln rund um Augustus zu: Die Legende besagt der Kaiser habe die in den Alpen lebenden Räter deshalb angegriffen, weil er den rätischen Wein so sehr schätzte. Tatsächlich lässt sich nachweisen, dass vor allem der Vinschger Wein bei den Römern sehr beliebt war, was daran lag, dass die Vinschger Winzer ihn in Holzfässern und nicht in Amphoren lagerten.

Südtirol spielt im Laufe der Geschichte der Alpen in der Antike immer wieder eine wichtige Rolle. Wenn auch nicht Caput Mundi, so kommt es dem Leser bei so manchen Erzählungen doch so vor, als habe sich der Autor von Asterix und Obelix, mit der Idee des kleinen unbesiegbaren gallischen Dorfes, eigentlich an Südtirol inspiriert. Tatsächlich war Südtirol eines der letzten nicht-römischen Gebiete im Alpenraum, das von Augustus erobert wurde. Die wahren Gründe für die Eroberung waren jedoch weder der gute Wein, noch die kreativen Werbeslogans der SMG. Viel eher war es die strategische wichtige Position des rätisch-keltische Raumes, rund um Südtirol und den Tessin, die wie ein Keil zwischen die römischen Gebiete im Westen und Osten ragten. Die Römer brauchten die Alpenpässe und ihre Bewohner als Verbündete und waren bereit einiges dafür zu tun: Über viele Jahre hinweg waren sie sogar gewillt Mautgebühren zur Überquerung eines Passes zu bezahlen! Die Hasstiraden gegen jene Mautgebühr sind nur ein Bespiel für jene Kulturelemente, die sich bis heute erhalten haben.

 

Auf die Alpenfeldzüge folgte eine lange Periode der Romanisierung und Erschließung der Alpenübergänge. Die Via Claudia Augusta galt als die wichtigste Alpentransversale. Über 518 Kilometer zog sie sich von der Adria über Trient, Meran und den Reschenpass, durch das Inntal, nach Augsburg und weiter bis zur Donau. Der Brenner spielte interessanterweise für weitere 200 Jahre nur eine Nebenrolle und das, obwohl er der niedrigste Pass der Alpen ist. Erst im 2. Jh. n. Chr. rückt er ins Zentrum der Aufmerksamkeit, als die Römer eine Heerstraße durch die Eisackschlucht anlegen und Hannibal kurzerhand mit seinen Elefanten über den Brenner wandert.

Der Alpenraum rund um Südtirol profitiert von der Erschließung der Pässe in der Antike. Aus dem Süden importierte man Olivenöl, Gewürze und Glas. Exportiert wurden Erze, Bergkristall, Käse, Salz, Honig und Holz: Die Geschichte über Pizza mit Knedl nimmt ihren Lauf…