Umwelt | Interview

“Wir wollen provozieren”

“Das Thema Pestizide soll dauerhaft unangenehm für die Südtiroler Landespolitik bleiben.” Karl Bär vom Umweltinstitut München spricht über ‘Pestizidtirol’.
Karl Bär
Foto: Privat

salto.bz: Herr Bär, Sie haben wahrscheinlich mitbekommen, dass die Aktion des Münchner Umweltinstituts noch am Tag ihres Anlaufens für großen Wirbel in Südtirol gesorgt hat…

Karl Bär: Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage: Das war Absicht.

Eine bewusste Provokation?

Genau, das ist das richtige Wort.

Warum in München?

Dazu sage ich Ihnen zwei Dinge. Zum ersten: Wir wollen provozieren. Wir beschäftigen uns inzwischen seit geraumer Zeit mit Südtirol – Stichwort E-Mail-Aktion an Herrn Kompatscher. Das Thema Pestizide soll ein dauerhaft unangenehmes Thema für die Südtiroler Landespolitik bleiben. Daher haben wir uns jetzt auch etwas erlaubt, wo wahrscheinlich auch ein Teil unserer Verbündeten in Südtirol sagt, dass das ganz schön aggressiv war.

Selbst der Malser Bürgermeister zeigt sich wenig erfreut über die Aktion.

Der darf sich auch einmal ein bisschen von uns distanzieren. Das stört mich jetzt nicht. Wir haben die Aktion extra nicht groß mit den Südtirolern abgesprochen, weil wir genau wissen, dass das etwas ist, was in Südtirol um einiges aggressiver wahrgenommen wird. Aber wir von außen können das machen. Und damit sind wir beim zweiten Punkt: Das Umweltinstitut München ist eine Organisation, die europaweit arbeitet.

Es war unausweichlich, dass der Konflikt irgendwann auch die Touristen erreicht.

Gibt es vor der eigenen Tür nicht genug zu kehren?

Wir legen uns durchaus mit der deutschen Bundesregierung an, auch mit der bayerischen Staatsregierung oder – in selteneren Fällen – der Stadt München. Aber wir haben auch schon Flyer auf Polnisch herausgegeben. Oder im Falle eines geplanten Atomkraftwerks einen Server der ungarischen Regierung zum Einsturz gebracht, mit einer Mail-Flut aus Deutschland. Damals ist ein Gesandter der ungarischen Regierung und der Universität Budapest extra nach München gefahren, um sich mit uns zu streiten. Aber: Wir haben geringen Respekt vor nationalen Grenzen.

Und vermutlich eine sehr gut besetzte Rechtsabteilung? Der Südtiroler Landeshauptmann hat höchstpersönlich verlauten lassen, die rechtlichen Möglichkeiten einer Klage gegen das Umweltinstitut prüfen lassen zu wollen. Damit dürften Sie gerechnet haben, oder?

Um ehrlich zu sein, ich wäre davon ausgegangen, dass die Südtiroler Landesregierung sich denkt, wir lassen den Sturm an uns vorüberziehen. Nach dem Motto: Je weniger Aufmerksamkeit die Plakat-Aktion erhält, desto weniger stellt sie ein Problem dar. Ich wäre auch damit zufrieden gewesen.

Jetzt freuen Sie sich über die Drohungen aus Südtirol?

Sollten wir tatsächlich verklagt werden, werden wir uns natürlich mit unserem Anwalt beraten – uns aber auch eine Strategie für die Öffentlichkeitsarbeit überlegen. Es stellt sich die Frage nach dem juristischen Rahmen, in dem sich das Ganze abspielen wird: Wo verklagt die Südtiroler Landesregierung oder die IDM eine Münchner Umweltorganisation, die in München ein Plakat aufhängt? Vor dem Gericht in Bozen? Vor dem Gericht in München? Das wird eine ausdauernde Geschichte… Und wenn sie das so wollen, sollen sie das so haben.

Ihnen würde ein langwieriger Rechtsstreit – ebenso wie die Plakataktion – jedenfalls in die Hände spielen? Der öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit zumindest in Südtirol können Sie sich gewiss sein.

Genau das ist der Grund, warum ich mir bis vorgestern (Mittwoch, Anm. d. Red.) dachte, dass man uns eher nicht verklagen wird. Am Donnerstag ist die Geschichte dann so schnell hochgekocht – und inzwischen ist klar, dass man die rechtlichen Spielräume prüft. Vielleicht kommt man bei der Überprüfung auch zum Ergebnis, dass eine Klage nichts bringt. Wir haben aus meiner Sicht nichts Illegales gemacht.

Nein?

Eine provokante Aktion, ja – aber das ist nichts Illegales. Satirisch oder auch journalistisch ist sehr sehr Vieles erlaubt. Es gibt genügend Fälle, in denen Umweltorganisationen zum Beispiel die Logos von großen Firmen verfremdet haben. Denken Sie an die Greenpeace-Kampagne gegen Hersteller von Outdoor-Kleidung. Ein Logo mit Giftsymbolen zu überziehen ist offensichtlich nicht illegal. Ich darf auch Frau Merkel mit Hitlerbärtchen darstellen, den Propheten Mohammed mit einer Bombe oder den Papst beim Sexualakt – all das ist erlaubt und legal. Ich sehe nicht, dass dieses bunte Bergpanorama der Südtiroler IDM rechtlich besser geschützt sein sollte als die Logos großer Firmen, Staatschefs oder religiöse Symbole.

Ihnen wird unterstellt, mit der Plakat-Aktion nicht nur dem Tourismus und der Landwirtschaft in Südtirol, sondern der gesamten Region großen Schaden zuzufügen. Wollen Sie irgendjemandem schaden?

Zum einen ist das die übliche Variante – wenn jemand mit einer schlechten Nachricht kommt, dann prügle ich auf denjenigen ein, der sie verbreitet. Ich glaube, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Konflikt, der in Südtirol um die Ausrichtung der Landwirtschaft ja besteht, auch die Touristen erreicht. Als wir unsere “Schreib-dem-Kompatscher-eine-Mail”-Aktion gestartet haben, haben wir auch entsprechende Rückmeldungen bekommen. Uns haben Menschen geschrieben, die berichteten, dass sie beim Fahrradfahren am Kalterer See Pestizide abgekriegt haben, die dort ausgebracht wurden. Dass wir jetzt mit der Plakat-Variante darauf hinweisen, führt nicht dazu, dass wir Schuld an dem Problem sind. Das Problem besteht unabhängig von uns.
Und zum anderen ist es mir als deutschem Umweltschützer sehr viel lieber, der deutsche Tourist setzt sich in den Zug nach Bozen oder fährt mit dem Auto nach Mals oder Naturns und geht wandern als dass er mit dem Flugzeug nach Ägypten fliegt, damit den Klimawandel anheizt, die Devisen einer Diktatur stärkt und das Wasser einer Region verbraucht, in der es sowieso keines gibt.

Wäre ich die Südtiroler Landesregierung, würde ich jetzt anders vorgehen.

Auf der eigens eingerichteten Webseite zur Aktion ‘Pestizidtirol’ weisen Sie auf den hohen Einsatz von Pestiziden in Südtirol hin. Wie ist die Situation in Bayern?

Auf der Kampagnen-Homepage weisen wir darauf hin: “Übrigens, in anderen Regionen des intensiven Obstbaus, wie am Bodensee oder dem Alten Land bei Hamburg sieht es nicht besser aus”.

Aber Sie haben sich auf Südtirol eingeschossen?

Dass wir uns mit Südtirol beschäftigen, kommt auch aus einer gewissen Nähe zur Region.

Inwiefern?

Ich selbst habe in meiner Jugend jeden Urlaub im Schnalstal verbracht. Ebenso haben wir auch in Bayern die Situation, dass seit 50, 60 Jahren dieselbe Partei regiert und man böse angeschaut wird, wenn man etwas anderes sagt als die Regierung. Daran fühlen wir uns ab und an erinnert, wenn wir uns mit Südtirol beschäftigen. Aber beim Thema Pestizide prügeln wir uns liebend gern auch mit der deutschen Regierung oder deutschen Behörden. Wir haben gerade eine Klage gegen das Amt, das in Deutschland für das Zulassungsverfahren zuständig ist, am Laufen.

Hat es in München selbst schon Reaktionen auf das Plakat gegeben?

Bisher hat es relativ wenig Rückmeldungen aus München gegeben. Ich frage mich, ob die noch kommen. Mit einem Journalisten vom Bayerischen Rundfunk habe ich gesprochen, ansonsten nur mit Südtiroler Journalistinnen und Journalisten.

Das Foto, das für das ‘Pestizidtirol’-Plakat verwendet wurde, zeigt offenbar einen Biobauern, der Schwefel sprüht…

Das Bild haben wir, wie die anderen auf der Homepage auch, von einem Fotografen aus Südtirol bekommen und ich habe die Fotos nicht noch einmal überprüft. Als ich schon am Donnerstag darauf hingewiesen wurde, habe ich gesagt: Prüft das nach, das ist wichtig. Bisher habe ich aber keine Rückmeldung bekommen.

Wir sind nicht feige den Regierungen in Berlin, München oder Brüssel gegenüber.

Schriftzug und Logo der Aktion erinnern stark an die Kreation von Alexander Schiebel. Dem Filmemacher wurden wegen der ‘Pestizidtirol’-Kreation 2015 sämtliche Aufträge der SMG entzogen. Wurden Sie von Herrn Schiebel inspiriert?

Ich kenne Alexander Schiebel. Auch er ist auch keiner, der mit seinen Erfahrungen und seiner Meinung hinterm Berg hält. Alexander Schiebel war der Urheber der Idee, das Wort “Pestizidtirol” zu verwenden. Wenn Sie sich seine und unsere Version anschauen, merken Sie allerdings, dass wir, was die Umgestaltung des Logos angeht, etwas vorsichtiger waren.

Nichtsdestotrotz werden Sie spätestens nach der jüngsten Aktion des Umweltinstituts – ebenso wie Alexander Schiebel – in gewissen Kreisen sicher als unangenehmer Zeitgenosse gelten…

Ich habe neulich auf salto.bz gelesen, dass Alexander Schiebel überlegt, Südtirol schon wieder zu verlassen. Für mich ist es natürlich einfacher – ich muss nicht wieder gehen. Aber ich glaube, dass man durchaus auch mit unangenehmen Persönlichkeiten und Kritik klar kommen kann.

Sie selbst wollen sich nicht einschüchtern lassen – und kommen bereits an diesem Wochenende wieder nach Südtirol?

Ja, ich werde mit einer Kollegin wandern gehen.