Politik | Gastbeitrag

Die Zwei Körper des LH

Von „Walli“ bis „Kompi“ - Die historische Rolle des Landeshauptmannes in Tirol und ein Vergleich zwischen vier prominenten Amtsträgern.
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Foto: Suedtirolfoto.com / Othmar Seehauser
Landeshauptleute gewannen in Tirol seit dem 18. Jahrhundert rasch an Bedeutung: Sie verkörperten im „Land an Gebirge“ jenen Gegenhalt zum wachsenden Zentralismus, der spätestens seit Maria Theresia dem Aufbau eines österreichischen Gesamtstaates diente. Der Landeshauptmann, nominell oberster militärischer Führer des Landes und seiner Selbstverteidigung, rückte verstärkt in eine Gegenposition ein gegen den zentralisierenden Zugriff Wiens und gegen dessen erste Symbolfigur, den staatlichen Gouverneur. Um dieses Konkurrenzverhältnis zu beenden und den Tiroler Partikularismus zu zügeln, legte Kaiserin Maria Theresia 1774 das Amt des Landeshauptmanns mit jenem des Gouverneurs zusammen, was die Tiroler Landstände keineswegs goutierten. So erfuhren staatliche Gouverneure die volle Breitseite des Hasses wie etwa der seit 1786 amtierende Wenzel Graf von Sauer, der 1790 auf dem sog. Offenen Landtag massiv attackiert wurde.
Die Figur des Landeshauptmanns richtete sich eine stetig wachsende Fülle von Projektionen, die weit über seine realen Amtsaufgaben und Persönlichkeit hin ausstrahlten.
Landeshauptleute in Tirol hatten somit ein Amt zu bekleiden, waren aber auch in herausragendem Ausmaß Repräsentanten ihres Landes. Ihre Leadership hing von ihrer Persönlichkeit und Aufgabenkreis, sie verkörperten aber auch in wachsendem Maß die Vorstellungen des Landes, seiner Eliten und Gesellschaften. Auf die Figur des Landeshauptmanns richtete sich eine stetig wachsende Fülle von Projektionen, die weit über seine realen Amtsaufgaben und Persönlichkeit hin ausstrahlten. Für diese doppelte Ausrichtung und Überlagerung zweier grundsätzlich differenter Schichtungen und Aufgaben hat der bedeutende Mediävist Ernst Kantorowicz den Begriff die zwei Körper des Königs geprägt.
Der König als reale Figur und als Figuration, die seine reale Existenz und Amtsführung in eine göttlich-spirituelle Dimension erweitern. Die komplexe, in ihrer analytischen Tiefe beeindruckende Untersuchung von Kantorowicz, die er 1957 als Spätwerk vorlegte, dient hier nur als Inspiration, um auch der Figur des Landeshauptmanns eine Dualität zuzumessen, in die persönlich geübte Amtsführung und jene Spuren der Wirkung, die im Lande hinterblieben, oft gegen den Wunsch und die Intentionen des Amtsträgers. Reale Biografie einerseits und die Form der Einschreibung in die Landesgeschichte sind zwei getrennte Ebenen, die es zu betonen gilt.
Die zwei Körper des LH gewinnen zusätzlich an Sichtbarkeit und Plastizität, aber auch an Reibungsfläche in einer medialisierten Öffentlichkeit, wie sie sich seit Beginn der sechziger Jahre stetig verstärkt.
 
Bevor ich auf Rollenstärken, Zumutungen und Konflikte der Herren LH Wallnöfer, Magnago Durnwalder und Kompatscher zu sprechen komme, erlauben Sie mir noch einige rechtliche Hinweise:
Die Figur des Landeshauptmanns hat gegenwärtig in Südtirol ebenso wie in österreichischen Bundesländern einen zweifachen Zuschnitt:
Das Amt verkörpert die Exekutive, die sein Inhaber als Vorsitzender der Landesregierung und als Oberster Dienstherr der Landesverwaltung einnimmt. Zugleich verfügt das Amt über beachtliche Repräsentationsmacht, verkörpert sein Träger doch das Land nach außen mit annähernd jener Vertretungskraft, die andernorts einem Bundespräsidenten zukäme.
 
 
Gestaltungskraft, Garantiefunktion und Gesetzgebungsbefugnis gewähren also dem Landeshauptmann von Südtirol einen Sonderstatus, der ihn über den in österreichischen Bundesländern hinaus hebt, ebenso über das Amt eines deutschen Ministerpräsidenten.
Der Landeshauptmann und – diis volentibus – dereinst auch eine Landeshauptfrau, ist also Träger der Regierung und Garant zugleich. Schließlich ist er auch – und dies ist ein Südtiroler Spezifikum – auch noch Mitwirkender am Gesetzgebungsprozess, da er wie die Landesregierung insgesamt zugleich zur Stimmabgabe im Landtag berechtigt ist. Dies wäre aktuell in Trient oder Innsbruck nicht möglich, wo der LH aber gleichfalls befugt und berufen ist, Gesetzesvorlagen einzubringen.
Gestaltungskraft, Garantiefunktion und Gesetzgebungsbefugnis gewähren also dem Landeshauptmann von Südtirol einen Sonderstatus, der ihn über den in österreichischen Bundesländern hinaus hebt, ebenso über das Amt eines deutschen Ministerpräsidenten.
„Der Landeshauptmann vertritt die Provinz“, vermerkt Art. 52 des Autonomiestatuts trocken, er steht also ein für das gesamte Land und tut dies bereits strukturell, sodass sein Amt auf einem institutionellen Unterbau von umfassender Stabilität gründet.
Verstärkend hinzu kommt die historische Aura des Amtes des Landeshauptmanns, das 1314, also vor gut 700 Jahren, erstmalig erwähnt, bis 1918 die Vertretungsmacht des Landesfürsten und damit der fürstlichen Gewalt ebenso behauptete wie den militärischen Oberbefehl im Falle der Landesverteidigung.
Solche Aufgaben sind in einem demokratischen Gemeinwesen zwar obsolet, dennoch wirken geschichtliche Würde und Ausstrahlung der Tradition bis heute nach.
Aus all den angeführten Gründen ist der Begriff ‚Landeshauptmann’ nördlich und südlich des Brenners politisch und emotional stärker aufgeladen als das bundesdeutsche Pendant des Ministerpräsidenten oder des Presidente della Giunta, bewahrt er doch die historische Aura des vordemokratisch wehrhaften Begriffskerns.
 
Die Position des Landeshauptmanns erscheint in Südtirol nach 1945 stärker als im Norden akzentuiert, als zwar demokratisch legitimierter, aber vorab durch seine Repräsentationsmacht und Persönlichkeit wirkender Verwalter und Gestalter der Landesverhältnisse. Und als Vertreter zwar ganz Südtirols, aber doch im besonderen als Exponent der deutschen und ladinischen Sprachgruppe. In einer Region mit Minderheiten, die um Rechtssicherheit und Status ringen mussten, erzielte das Amt neben seinen politischen und administrativen Aufgaben auch charismatische Repräsentationsmacht.
In Tirol und Südtirol gewannen das Amt und seine Träger ab 1960 nahezu zeitgleich sprunghaft an Bedeutung: Der Zugewinn verdankte sich einer neuen Rolle des österreichischen Föderalismus, der nach der inneren Staatsbildung der Republik ab 1955 neu erstand, in Südtirol wuchs das Amt in seiner Bedeutung angesichts der neuen Virulenz der Südtirolfrage, die gleichfalls ab 1960 in den Vordergrund trat.
Die bis dahin nur in Ansätzen spürbare Leadership des Amtes gründete auf einem zunehmend festeren Fundament, das die Persönlichkeiten Wallnöfer und Magnago in unterschiedlichem Maß ausfüllten.
 

Der Bauernschlaue: Eduard Wallnöfer

 
Eduard „Walli“ Wallnöfer stellte nach Amtsantritt 1963 die blassen Vorgänger Tschiggfrey, Grauß, Weissgatterer mühelos in den Schatten. In unnachahmlicher Manier vertrat er Geschichte und tradierte Selbstbilder des Landes und passte sie der voran treibenden Modernität der Jahre ab 1960 an. Wallnöfers Leistung bestand darin, das in Tirol ab 1960 massiv aufschießende Wirtschaftswachstum zu gestalten, dabei aber die berstende Dynamik durch Traditionsbezüge zu bändigen.
Wallnöfer, als Jahrgang 1913 beinahe gleichaltrig mit Magnago, war in mancher Hinsicht der letzte Landeshauptmann Gesamttirols. In Schluderns/Vinschgau geboren, in der Optionszeit ausgewandert, war seine Bindung an Südtirol spontan und unmittelbar. Wallnöfer vertrat Südtirol in Tirol und Österreich mit einer Vehemenz und emotionalem Einsatz, die heute nördlich des Brenners undenkbar wäre.
 
 
Charismatische Volksnähe, Macht und Durchsetzungsfähigkeit, getragen vom Stil einer schlitzohrigen, unschuldig blickenden, fallweise auch aufbrausenden Bauernschläue.
So war er ein Mitgestalter der Südtirolfrage, die er aber auch zum Ausbau des Länderföderalismus und der Tiroler Eigenständigkeit in Österreich nutzte. An Wallnöfer zeigten sich in vieler Hinsicht Grundanforderungen an einen Landeshauptmann der Moderne: In seine Aufgabe fielen Moderation und Gestaltung, getragen von einer grundsätzlich konservativen Haltung, die die Menschen Tirols großteils beruhigte. Verstärkt durch sorgsam gepflegte Volksnähe, mit denen „Walli“ im Umgang Bauern ebenso zu nehmen wusste wie die Arbeiter der im Bau befindlichen Brennerautobahn oder Geistliche wie den reservierten Bischof Rusch. Wallnöfer war gern unter Leuten und regierte mit Vorliebe durch, ohne viel kollegiales Beiwerk. Seine Partei, die ÖVP, ließ er souverän links liegen, wusste sie bei Parteisekretär Robert Fiala in besten Händen und erweckte sie nur zu Wahlzeiten zu Aktivität. Dies galt auch für den obligaten Koalitionspartner SPÖ, der systematisch mit Posten und Zugeständnissen kalmiert wurde. Bürger-Partizipation ersetzte Wallnöfer durch Anwesenheit und Einsatz, Legalität akzeptierte er, aber nicht ohne den Willen, mitunter auch „a Gsetzl zu brechen“, wie er beiläufig betonte. Im, Laufe eines Jahrzehnts formte Wallnöfer so einige der Grundrequisiten des Amtes:
Charismatische Volksnähe, Macht und Durchsetzungsfähigkeit, bei williger, nur selten aufmuckende Akzeptanz in Landesregierung und Partei, getragen vom Stil einer schlitzohrigen, unschuldig blickenden, fallweise auch aufbrausenden Bauernschläue.
Wallnöfer entwickelte einen Regierungsstil und ein Persönlichkeitsprofil, das vorzüglich in politische Systeme passt, die historische Epochen rapiden Wachstums, individueller Aufstiegschancen durchmessen, getragen von einem festgefügten Werthorizont und maßvoller Demokratie als Grunderfahrungen.
An seine Grenzen stieß Wallnöfer erstmals um 1972, als Wertewandel, Wachstumsskepsis und handwerkliche Fehler sein Regiment in Frage stellten. Aber nun erwies er sich als lern- und korrekturfähig, revidierte Fehlentscheidungen, ermöglichte personelle Blutauffrischungen wie durch den angesehenen Vize Fritz Prior und sicherte Tirol durch privilegierte Kanäle nach Wien und zu Kanzler Kreisky neue Vorteile. Der 1978 eröffnete Arlbergtunnel war ein Ergebnis der scheinbar heterogenen Achse Walli-Kreisky.
Die regionale Dimension wurde dank systematischer Kooperation mit Südtirol und die Gründung der ArGe Alp 1972 neu entdeckt und aufgewertet. Die Südtirolfrage blieb zentral, auch dank sorgsam gepflegter Kontakte zum so unterschiedlichen Magnago.
In den letzten Lebensjahren schaffte es Wallnöfer, sich zum Mythos zu verwandeln und sein vermehrt unstetes Regierungshandeln im Abendlicht der Landesväterlichkeit zu vergolden. Rund 65% ÖVP-Stimmen bei der letzten, von ihm geschlagenen Landtagswahl 1984 waren ein Triumph, dem der rasche Verfall folgte.
Für die Entwicklung Tirols im 20. Jahrhundert waren die 25 Wallnöfer-Jahre eine entscheidende Schnittstelle. Walli war der Pförtner und Regisseur Tirols auf dem Weg in die Modernität, in die Selbststilisierung zum starken Herz der Alpen.
Typologisch sticht die Ähnlichkeit mit Durnwalder ins Auge: Kleinbäuerliche Herkunft aus Armut, unbändiger Elan des Aufsteigers ebenso wie dessen Instinktsicherheit, Machtbewusstsein und -ausübung in Fülle, das Gesetz ein flexibler Rahmen, als Leitplanken, die nicht undurchdringlich sind, sondern dehnbar.
 
 

Der Mythos von Sisyphos: Silvius Magnago

 
Vergleichen wir Silvius Magnago mit seinem Alters- und Amtskollegen Wallnöfer, so stechen drei Unterschiede ins Auge:
misstrauische Distanz statt Nähe, zweitens ein Politikstil nicht des Zupackens, sondern des steten Einkreisens von Problemen, in einer Strategie der Ermüdung, gleich den Nadelstichen eines geübten Torero. Eine Popularität, die sich Respekt und Staunen vor einer herausragenden Lebensleistung verdankte, anstelle von warmherzig-einnehmender Volksnähe, die ihm erst im Alter vergönnt war.
Magnago verkörperte in Person und Auftritt die Härten des Südtiroler Aufstiegs in den Nachkriegsjahrzehnten und die mehrfältigen Identitäten der Herkunft, die er einem entschiedenen Deutschtum unterordnete. Er personifizierte als Kriegsversehrter die irreversible Verletzung Südtirols.
Seine Politik fasste in schraubenförmigen Windungen, in unzähligen Vor- und Rückschritten das Ziel Südtirols zu mehr Eigenständigkeit ins Auge. Er agierte bar jeder ausholenden Vision der Selbstbestimmung oder Sezession, sondern im stets abwägenden, misstrauischen Mustern aller Möglichkeiten, alle Varianten sorgsam prüfend und verwerfend. Seine politische Kommunikation war oft leidenschaftlich, da er in der Lage war, die von ihm geübte Feinmechanik der Autonomie in wirksame Formeln zu gießen.
Für den Mythos von Sysiphos, der eine schwere, ständig wachsende Last einen Berg emporschiebt, wäre Magnago die ideale Besetzung gewesen. Auf ihn hätte auch die Bewertung von Albert Camus perfekt zugetroffen: „Wir müssen uns Sysiphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
 
 
Magnago lehrte die Südtiroler, Geduld zu haben, in langen Zeiträumen zu denken und sich auf mühsame Durststrecken einzurichten. Zugleich aber war seine Strategie steten Nachbesserns und Nachkartens, der steten Finalisierung, ohne je zu einem Ende zu kommen, eine einzige Provokation.
Anders als Wallnöfer war Magnago umstellt von Gegnern, die seine Position stetig gefährdeten, von Hans Dietl angefangen, über Peter Brugger bis hin zu Alfons Benedikter, der erst spät eine flankierende Position einnahm. Vom Hause Athesia ganz zu schweigen, das Magnagos Position mit Freuden unterminierte.
In seinem steten Drehen an unzähligen Stellschrauben war Magnago Ärgernis und Vorbild zugleich. Er lehrte die Südtiroler, Geduld zu haben, in langen Zeiträumen zu denken und sich auf mühsame Durststrecken einzurichten. Zugleich aber war seine Strategie steten Nachbesserns und Nachkartens, der steten Finalisierung, ohne je zu einem Ende zu kommen, eine einzige Provokation.
Seine Haltung unausgesetzten Abwiegelns, Finassierens und Beruhigens, seine unendliche Tour der Vermittlung wirkte auch lähmend. Sie legte in Südtirol zivilgesellschaftliche Potenziale still, da offener politischer Konflikt, die klärende Auseinandersetzung ständig vermieden wurde, im Namen der legendären Magnago-Devise: „Lei net rogeln“- Für Südtirol war Magnago ein wichtiges Rollenvorbild, das den Frieden als Wert zwar dauerhaft implementierte, aber mit ihm auch unter den Bevölkerung die Neigung zum stillen Aufmucken, zum falschen Kompromiss, zur Konfliktvermeidung, zum Leben in permanenten Misstrauen dauerhaft einwurzelte.
Magnago erwies sich so als Repräsentant der Macht des Kompromisses, der unausgesetzten, oft ermüdenden Verhandlung, beinahe in einer Form des Merkelns ante litteram. Ähnlich auch im Verschweigen und Auslagern von Problemen, im Zugriff zu machtbewusstem Handeln erst dann, wenn es bereits spät war.
 
 

Der ;Mehrer“: Macht und Männlichkeit

 
Unter seinem Nachfolger, der ab 1984 im Vorraum der Macht ungeduldig scharrte, wechselte die Haltung geduldigen Abwartens hin zum Ausbruch berstender Energie – deren langer Rückstau sich ab 1989 in dynamischen Aktionismus ummünzte.
Luis Durnwalder fuhr manche Ernte ein, die bereits aufbereitet auf dem Feld der Autonomie lag, so die bereits 1989 sich abzeichnende Streitbeilegung, und er nutzte mit seinen Abgeordneten ab 1996 entschieden die Möglichkeiten des Mitte-Links-Bündnisses in Rom. Persönlichkeit und Habitus Durnwalders deckten breite Schneisen des Südtiroler Weges ab, sie erschienen zeitweilig wie eine Kollektivbiografie des Landes: Herkunft aus Armut, Leistungsbereitschaft als Königsweg, hemdsärmelige Durchsetzung als Strategie und der Wunsch nach „Mehr“ als grundsätzlicher Hauptantrieb. Durnwalder war ein „Mehrer“ Südtirols in doppeltem Sinn, da er Zuständigkeiten, Aufgaben und Wohlstand mehrte, er weckte und legitimierte aber auch den Wunsch nach immer „Mehr“, nach „mehra und mehra“, ohne durchwegs nach Qualität der Entwicklung zu fragen. Anders als Magnago fackelte er mit konkurrierenden Parteifreunden nicht lange und stellte sie mit freundlicher Brutalität kalt, wie Ferdl Willeit, Luis Kofler und andere sattsam belegen können.
Freunden und Mitarbeitern hielt er aber eisern die Stange und hatte ein zumeist glückliches Händchen bei Teambildungen.
Durnwalders Energie resultierte aus einer besonderen Fähigkeit: Den Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern nicht als Last, sondern als Kraftquelle zu nutzen. Seine Sprechstunden und zahllosen Bürgerkontakte waren keine Selbstkasteiung, sondern wie ein Jungbrunnen, aus dem er erfrischt auftauchte, so aus einer sommerlichen Sprechstunde in der SVP-Bezirkskanzlei Bruneck, bei der er von morgens bis zum frühen Nachmittag 120 Personen empfing. Durnwalder hatte die Fähigkeit, aus Gesprächen Energie zu ziehen und seine Akkus aufzuladen, mit Scherzen, Informationen und authentischer, fast kindlicher Neugier und zügiger Entscheidung.
 
 
In Durnens Temperament fanden sich 20 Jahre lang Hunderttausende Südtiroler wieder, es vermittelte ihnen den Eindruck von Südtirol als Land der persönlichen Geborgenheit und der unbegrenzten Möglichkeiten.
Für die Bürgerschaft wiederum in einer zunehmend unüberschaubaren Welt war der Immediatbezug zum LH ungemein beruhigend, ein stets geübter Vertrauensbeweis, ein stets Streicheln auch des Südtiroler narzisstischen Selbst: „Er hat mit mir geredt, gekartet und woaß wie viel i Küah in Stoll hon“. Und dass sich dies auf die italienische Sprachgruppe übertrug, war ein erkleckliches Wunder.
In Durnens Temperament fanden sich 20 Jahre lang Hunderttausende Südtiroler wieder, es vermittelte ihnen den Eindruck von Südtirol als Land der persönlichen Geborgenheit und der unbegrenzten Möglichkeiten. In der Tat war Entgrenzung eine der wichtigsten Durnwalder-Maximen, in oft kalkulierter, abgrundtief schlauer und hintergründiger Hemmungslosigkeit, der sich der Amtsträger in kindlicher Freude hingab. So offenkundig und auch verbunden sein Lebenswerk als Mehrer Südtirols war, so sorgsam verborgen blieben die Abgründe des Durnwalder’schen Handelns. Seine Konturen sind heute in goldene Erinnerung getaucht, überzuckert vom nostalgischen Rückblick auf eine Epoche, in der es 15 Jahre lang stetig nach oben ging. In „Zeiten abnehmenden Lichts“, um es mit Eugen Ruge zu haben, blicken viele mit besonderer Dank, mit Wehmut auch auf eine verlöschende Ära des Landshauptmann A.D. wie er sich gerne nennt, A.D. nicht für außer Dienst, sondern für Alois Durnwalder.
 

Ausblick

 
Angesichts solcher Role Models als Landeshauptmann, des bauernschlauen Walli, des taktierenden Magnago und des im doppelten Sinne Handelnden Durnwalder blieb dem jüngsten Amtsträger begrenzter Spielraum für eigenständige Rollengestaltung. Für Arno Kompatscher umso schwieriger, da er ehrgeizig genug ist, auf einer eigenständigen Position im Rahmen der Südtiroler LH-Galerie zu beharren. Sich nicht epigonal, als Intermezzo und Übergangsfigur, zu begreifen, sondern als Stilist eigenen Werts im Pantheon der Hauptleute.
Seine stets freundliche Aura, sein mildes Lächeln, changierend zwischen Nachsicht, Verständnis und einer Prise Überlegenheit wirken nur auf Uneingeweihte verlegen, vielmehr steht dahinter der entschiedene Wille, die Mission Südtirol erfolgreich voran zu treiben. Mission complete möchte der dann gereifte Arno in sechs Jahren sagen. Worin aber – fragen wir uns --besteht die Mission des Arnauten? Sein Leitmotiv: „Maximale Eigenständigkeit für Südtirol“ zielte auf eine zweifache Stoßrichtung: Eigenständigkeit im Hinblick auf Ausbau und Aktionsfähigkeit der Autonomie, Eigenständigkeit aber auch im Hinblick auf die Südtiroler an und für sich. Das erste Ziel wurde in beachtlichem Maße erreicht: Durch neue Partnerschaft mit Rom und Wien, durch einen beeindruckenden Perlenkranz neuer DFB, durch finanzielle Sicherung und wieder erweckten Wirtschaftsaufschwung, so wurde das zweite Ziel, die maximale Eigenständigkeit der Bürger, darf man sagen, krachend verfehlt.
 
 
Mission complete möchte der dann gereifte Arno in sechs Jahren sagen. Worin aber – fragen wir uns --besteht die Mission des Arnauten?
Die Bürgerschaft Südtirols wünscht mehrheitlich nicht je eigene Zivilität und Eigenständigkeit im öffentlichen Handeln, sondern Sicherheit, Schutz ihrer persönlichen und kategorialen Interessen. Es zählen Haus, Familie, Ehrenamt und Verein, weniger die transversale Kategorie des Gemeinwohls und des politische Engagements. So gilt denn auch Partizipation mehr dem je eigenem Interesse, während die Kategorie des Politischen eine geminderte Rolle spielt. Kompatscher musste die Lektion lernen, dass weniger die Eigenständigkeit zählt, als vielmehr das maximale Eigeninteresse. So hat es der Landeshauptmann darauf angelegt, die ursprünglich vielleicht angedachte Rolle als Moderator des Gemeinwohls und der Interessen zurück zu stellen zugunsten des Projektmanagers bestimmter Agenden.
 
Leadership in einem kleinen Land, so lernen wir abschließend, bedarf der Nähe, der machtvollen Intervention, der Stallwärme und der freundlichen Brutalität. Jene Macht, die einem kleinen Land und seinen Minderheiten nicht eignet, wird vom Landeshauptmann erwartet, dessen Stärke das eigene Gefühl der Unsicherheit, der Bedrohung, der Sorge kompensiert. Das ist jene Rollenzumutung, die das Amt seinen Trägern auferlegt, unabhängig von Persönlichkeit, Charakter und politischen Zielen, auf dem Leonhardiritt durch die Jahrhunderte.
 
Fotos von Othmar Seehauser