Politik | Volksbegehren

Bessere Regeln für direkte Mitbestimmung

Um die Rechte auf direkte Mitbestimmung ist es in Italien nicht gut bestellt. Das gilt für alle Ebenen, von der Gemeinde bis zu den Referenden auf Staatsebene.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
democrazia22-1024x480.jpg
Foto: democrazia diretta

Diese Rechte sind Ausdruck der grundsätzlichen Souveränität, die die Verfassung in Art. 71, Abs.2 den Bürgern und Bürgerinnen zuerkennt. Dabei geht es nicht um ein Geschenk oder eine Gnade der Politiker, sondern um ein politisches Grundrecht, das das Parlament in fast 70 Jahren Republik immer noch nicht fair und bürgerfreundlich geregelt hat.

Die direkten Mitbestimmungsrechte, vor allem bei der Einleitung und Abhaltung von Volksabstimmungen, müssten für alle Bürger und freien Vereinigungen zugänglich sein, nicht nur für Großorganisationen mit einem professionellem Mitarbeiterstab, hoher Finanzkapazität und einem Netz an Beglaubigern. Andererseits hat gerade der letzte Anlauf der CGIL für ein italienweites Referendum über die Voucher bewiesen, dass sogar die größte Gewerkschaft Italiens durch die trickreiche Regelung des Referendums „hereingelegt“ werden kann. Die Regierung Gentiloni ist nämlich dem für 28. Mai 2017 angesetzten Referendum durch die Abschaffung der Voucher zuvorgekommen, hat die Voucher dann aber in anderer Form wieder eingeführt, ohne die Promotoren des Referendums einzubeziehen. Ein Hohn auf faire direkte Demokratie.

Nun geht es nicht nur darum, solchen Tricks der Regierungsmehrheit einen Riegel vorzuschieben oder auch darum, endlich das Beteiligungsquorum von 50% abzuschaffen, das die meisten Volksabstimmungen zu Fall bringt. Es geht darum, überhaupt erst mal die wichtigsten Formen der direkten Mitbestimmung - die Volksabstimmung, die Volksinitiative und das bestätigende Referendum - einzuführen und dann auch darum, die Anwendung dieser Rechte zeitgemäß und bürgerfreundlich zu gestalten. Völlig überholt und eher auf dem Stand des 19. als des 21. Jahrhunderts sind z.B. die Informationspflichten gegenüber der Wählerschaft im Vorfeld eines Referendums.

Regierende Parteien und Politikerkasten – einschließlich der SVP in unserem Land – haben bisher immer wieder Reform und Ausbau dieser Rechte verhindert. Bisher schien es diesen Kräften vor allem darum zugehen, Hindernisse verschiedenster Art für die direkte Demokratie aufzubauen, sei es durch eine mangelhafte gesetzliche Regelung, sei es durch komplizierte Anwendungsmodalitäten. Bestes Beispiel dafür ist die Pflicht zur Beglaubigung der Unterschriften durch ganz spezielle Amtspersonen wie Notare, Gerichtskanzler usw. Hier kann mit Innovationen angesetzt werden, die einer modernen Demokratie und reifen Bürgern im digitalen Zeitalter gerecht werden.

Die Radikalen (www.radicali.it/democrazia), das Komitee für das NEIN zur Verfassungsreform, Più Democrazia Trentino u.a. haben im Juni 2017 ein Volksbegehren ans Parlament lanciert (“Più democrazia, più sovranità al cittadino”), das bis Ende November in allen Gemeinden Italiens unterzeichnet werden kann. Wenn 50.000 Unterschriften zusammenkommen, ist das Parlament verpflichtet, es zu behandeln und eine Reform der Referendumsrechte in die Wege zu leiten. Hier einige der wichtigsten Ziele dieses Volksbegehrens:

  • mit Mausklick sowohl Anträge auf Referenden wie auch Wahlvorschlagslisten unterstützen zu können;
  • eine gesetzlichen Regelung, um mit bindender Volksabstimmung Gesetzesnormen bestätigen, abschaffen oder einführen können;
  • die Volksabstimmungsrechte in der Praxis für alle Bürger zugänglich machen, während dies bis heute nur Parteien und Großorganisationen mit entsprechendem Apparat schaffen;
  • den Bürgern neue Informationsrechte zur öffentlichen Verwaltung und Möglichkeiten zur Bewertung und Korrekturen der Politik verschaffen, vor allem auf kommunaler und regionaler Ebene;
  • Maßstäbe und Bewertungsmethoden für die öffentlichen Dienste und für Gesellschaften mit öffentlicher Beteiligung einführen, die Effizienz der Politik regelmäßig erfassen und bewerten.

Die Promotoren dieses Volksbegehrens beschränken sich nicht darauf, die direkte Mitbestimmung (Referenden) bürgerfreundlicher zu regeln, sie wollen auch mehr Transparenz der Verwaltung und mehr Informationsrechte. Dies sind nämlich wesentliche Voraussetzungen sowohl für die Ausübung direkter Bürgerbeteiligung, als auch für effiziente politische Vertretung. Dieses Volksbegehren ans Parlament kann in der Mehrheit der Gemeinden Südtirols bis Ende November 2017 unterzeichnet werden. Solche Volksbegehren sind eines der wenigen Mittel direkter Mitbestimmung in der Politik, nutzen wir es.

Bild
Profil für Benutzer Alexander Tezzele
Alexander Tezzele Di., 22.08.2017 - 18:08

Der Vollständigkeit halber: Das Parlament ist zwar theoretisch verpflichtet, sich diesen Gesetzentwurf anzusehen. Erfahrungsgemäß wandern die Petitionen aber ins parlamentarische Archiv, wo sie vergilben und verstauben, da es keine zeitlichen Vorgaben gibt, innerhalb welcher sie auf die Tagesordnung gesetzt werden sollen.

So wie zigtausende anderer Gesetzesentwürfe auch, die nur der Papierindustrie geholfen haben.

Klingt bedrückend. Ist es auch. Und wird es leider auch bleiben.

Di., 22.08.2017 - 18:08 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Alfonse Zanardi
Alfonse Zanardi Mi., 23.08.2017 - 12:03

Um die gesamte direkte Mitbestimmung ist es nach Brexit, Italien, Türkei, Ungarn etc. nicht gut bestellt.
Anders gesagt: wieso die Meute fragen? Weil Facebook machen Volk kaputt.
Wir haben ja freie Wahlen, da kann man sich seine Vertreter aussuchen.

Mi., 23.08.2017 - 12:03 Permalink