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Braune Marschmusik

Was hat es zu bedeuten, wenn Musikkapellen heute noch den als NS-Marsch gebrandmarkten “Standschützenmarsch” von Sepp Tanzer spielen?
Musikkapellen
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser

”Wer diesen Nazi-Marsch, entstanden in der NS-Zeit, geschrieben für die NS-Standschützen, gewidmet dem NS-Gauleiter, heute noch spielt, posaunt damit im wahrsten Sinne des Wortes in alle Welt hinaus, dass ihm die Verbrechen der Nazi-Diktatur am Marsch vorbeigehen.” Markus Wilhelm findet klare Worte für das, was er am vergangenen Sonntag in München beobachtet hat.
Wie jedes Jahr seit 1948 wird am 17. September 2017 das größte Volksfest der Welt mit einem der größten Trachtenumzüge der Welt in der bayerischen Landeshauptstadt eröffnet. Bei wolkenbehangenem Himmel und Nieselregen ziehen 9.000 Mitwirkende aus ganz Europa durch München auf die Wiesn des Oktoberfestes. Unzählige Menschen säumen die Straßen, auf denen Schützen, Reiter, Jäger, Trommler, Kutschen und Musikanten vorbeimarschieren.

Wenige Tage später: Die meisten Medien haben ihre Berichterstattung über die Eröffnungsfeierlichkeiten bereits abgeschlossen, da erscheint am Mittwoch Abend ein Artikel, der einen Schatten über den Umzug wirft – einen braunen Schatten. “Tiroler Blaskapellen spielen Nazi-Marsch beim Wiesn-Umzug” titelt die Süddeutsche Zeitung. Und berichtet von zwei Zillertaler Blasmusikkapellen, die am Sonntag Sepp Tanzers “Standschützenmarsch” gespielt haben.

 


Schiefe braune Klänge

 

Seit Jahren ist die düstere Herkunft des Marsches bekannt. 1942 komponiert der Tiroler Sepp Tanzer seinen “Standschützenmarsch” und widmet ihn Gauleiter Franz Hofer, dem obersten Verwalter des von den Nazis eingerichteten Gaus Tirol-Vorarlberg. Ab September 1943 fällt Gauleiter Hofer auch die Verwaltung der “Operationszone Alpenvorland” samt Südtirol zu. Als Basis für den “Standschützenmarsch”, der auch vor Hitler und Mussolini aufgespielt wird, dient Tanzer das Lied “Hellau! Mir sein Tiroler Buam”. Das Stück stammt aus dem Liederbuch, das der Sterzinger Komponist Josef Eduard Ploner 1941 herausgibt. Ploner ist überzeugter Nazi, Antisemit und NS-Scherge. “Hellau!” hingegen “das Lieblingslied von Gauleiter Hofer”, weiß Thomas Nußbaumer. Der Tiroler Musikwissenschaftler – sein Schwerpunkt ist die Volksmusikforschung – und Professor am Mozarteum in Innsbruck beschäftigt sich seit etlichen Jahren mit der Volksmusik in Tirol in der NS-Zeit. Das Problem, so Nußbaumer im Gespräch mit salto.bz, sei, “dass die Geschichte und der Zusammenhang des Marsches über Jahrzehnte nicht thematisiert wurde”. Ebenso sei die Rolle Sepp Tanzers “wissentlich verschwiegen” worden. “Das Vergessen und Schweigen ging so weit, dass 2008 bedenkenlos eine Tiroler Musikschule nach Tanzer benannt hat.”

Dass die Musikschule in Kramsach inzwischen einen anderen Namen trägt, ist vor allem Markus Wilhelm zu verdanken. Im Herbst 2013 beförderte der Ötztaler Blogger und Publizist öffentlichkeitswirksam die braune Vergangenheit Tanzers ans Tageslicht. Die Politik geriet unter Zugzwang, zugleich stieg der Druck auf die Tiroler Musikkapellen, die den “Standschützenmarsch” zu vielerlei Anlässen spielten. Schließlich sprach der Blasmusikverband Tirol den Kapellen eine Empfehlung aus, “auf das Spielen dieses Marsches aus Respekt vor den Opfern des NS-Regimes zu verzichten”.

Eine solche Empfehlung gibt es vonseiten des Verbandes der Südtiroler Musikkapellen (VSM) “momentan nicht”, räumt Obmann Pepi Fauster ein. Er bestätigt, dass der “Standschützenmarsch” auch in Südtirol durchaus noch gespielt wird: “Ab und zu kann das schon vorkommen, aber in letzter Zeit habe ich ihn nicht gehört.”

 

Blick hinter die Töne

 

Doch könnte der Marsch nicht einfach verboten werden? “Mit einem Verbot würde man sich schwer tun”, erklärt Thomas Nußbaumer, “und das macht, anders wie bei Liedern der NS-Bewegung, die im gesamten Deutschen Reich publiziert wurden, auch keinen Sinn”. Vielmehr müsse bei den Blasmusikvereinen das Bewusstsein entstehen, dass man eine gewisse Verantwortung habe: “Man muss dazu stehen, dass es sich beim ‘Standschützenmarsch’ um politisch funktionalisierte Musik handelt, dass er eine Art musikalisches Corporate Identity jener Zeit war – genauso wie ‘Hellau’ ein Emblem der NS-Zeit in Tirol war.”
Zwischen Musik und Politik trennen? Geht nicht, sagt Nußbaumer. Oft habe er in den entsprechenden Kreisen gehört, “Mensch, was wollen die mit ihrer Vergangenheitsgeschichte? Uns interessiert das nicht, wir spielen den Marsch, weil er ein lässiges Stück ist”, berichtet der Musikwissenschaftler. “Die Bedeutungsinhalte werden ausgeklammert und in gewisser Weise Verantwortungslosigkeit zutage gelegt. Vielen leuchtet es eben einfach nicht ein.”

“Viele wissen bei dem ‘Standschützenmarsch’ schlicht und einfach nicht Bescheid.” Dieser Überzeugung ist VSM-Obmann Pepi Fauster. Nach den Enthüllungen von Wilhelm und medialem Druck hat der VSM 2014 gemeinsam mit der Kulturabteilung, dem Landesarchiv und weiteren Experten ein Projekt ins Leben gerufen, um “speziell die Blasmusikgeschichte in Südtirol zwischen 1919 und 1948” aufzuarbeiten – parallel zu jenem der Schützen. “Die Blasmusik von heute hat mit dem Gedankengut der NS-Zeit nichts zu tun und distanziert sich klar davon. Die Tätigkeit des Verbandes und der Musikkapellen ist unpolitisch, wir brauchen keine Helden, schon gar nicht falsche”, betonte Fauster damals. Heute fügt er hinzu, dass der “Standschützenmarsch” “nicht losgelöst” von der Geschichte betrachtet werden könne, obwohl er “musikalisch in Ordnung” sei.

 

Wie man in den Wald hineinruft...

 

Mit Nachdruck warnt Thomas Nußbaumer vor verbalen Gratwanderungen wie jener des Obmannes des Zillertaler Blasmusikverbandes (Man spiele das Stück, “weil es ein schöner Marsch ist, und nicht, weil der Komponist eine Nazi-Vergangenheit habe”, sagt er zur Süddeutschen): “Viele in diesen Kreisen meinen, dass, wenn sie das Ganze unpolitisch sehen wollen, der Auseinandersetzung entkommen können. In Wirklichkeit begibt man sich in ein noch viel stärkeres politisches Fahrwasser.” Auch Unwissenheit lässt der Tiroler Musikwissenschaftler nicht als Rechtfertigungsgrund dafür gelten, dass der “Standschützenmarsch” nach wie vor gespielt wird: “Sagen, man kennt seine Geschichte nicht, stimmt mittlerweile nicht mehr. Man kennt sie und es reicht, im Internet nachzulesen.”

Aufklären, Bewusstsein schaffen, Verantwortung übernehmen, rät Nußbaumer. “Man tut sich schwer, zu dieser Vergangenheit zu stehen und zu sagen, dass das ganze Schützen- und Blasmusikwesen damals in die falsche Richtung gelaufen ist.”
Pepi Fauster will die Vergangenheit nicht leugnen, verweist auf das noch laufende Aufarbeitungsprojekt: “2018 sollen die Ergebnisse da sein.” Was erwartet er sich? “Nicht alles ist so, wie es häufig dargestellt wird”, antwortet Fauster. Es kursierten nämlich viele falsche Meinungen über die Musikkapellen – was nicht zuletzt einigen Medien geschuldet sei, “die dazu tendieren, die gesamte Sparte in die braune Ecke schieben zu wollen”.
Kein Verständnis für diese Schelte hat Thomas Nußbaumer: “Wenn Kapellen, die gern in der Öffentlichkeit stehen und den Marsch extra aufspielen, obwohl sie wissen, dass es ideologisch kontaminierte Musik ist, brauchen sie sich nicht wundern, wenn sie mit solchen Vorwürfen konfrontiert werden.”

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Hartmuth Staffler Do., 21.09.2017 - 18:50

Wir wissen ja aus dem berufenen Munde unserer heimischen Geschichtsexperten, dass man faschistische Denkmäler auf keinen Fall zerstören darf, sondern "historisieren" muß. Das gleiche sollte doch auch für einen Marsch aus der Nazizeit gelten. Hellau klingt ohnehin mehr nach Düsseldorfer Karneval als nach Tiroler Nazi-Zeit, man könnte vielleicht noch das Kölner Alaaf hinzufügen. Eventuell könnte man auch einen Wettbewerb ausschreiben, um ein passendes Zitat zu finden, das man dem Plonerschen Text überlagern könnte. So könnte uns der musikalisch ansprechende Marsch erhalten bleiben.

Do., 21.09.2017 - 18:50 Permalink
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Hartmuth Staffler Do., 21.09.2017 - 21:52

Dass der Standschützenmarsch auch vor Hitler und Mussolini aufgespielt wurde, ist eine Legende, die zwar sehr gut zur Intention dieses Artikels passt, aber nicht den Tatsachen entspricht. Beim Zusammentreffen Hitler-Mussolini am Brenner 1940 dirigierte Sepp Tanzer den Badenweiler-Marsch, den Lieblingsmarsch von Adolf Hitler, der aus diesem Grund heute kaum mehr gespielt wird.

Do., 21.09.2017 - 21:52 Permalink
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Waltraud Astner Fr., 22.09.2017 - 13:05

Man könnte auch recherchieren inwieweit Traditionsbrauereien schon Bier an die Nazis geliefert haben oder ob Adolf Hitler etwa selbst Bier getrunken hat. In diesem Fall wäre Biertrinken sofort abzuschaffen. Eine solche Recherche würde das Geschehen auf der "Wiesn" zumindest "aufmischen".

Fr., 22.09.2017 - 13:05 Permalink
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Philipp Trafojer Fr., 22.09.2017 - 19:00

Bei einigen Kommentaren zu diesem Beitrag frage ich mich, ob die Autoren den Unterschied zwischen "historisieren" und "relativieren" kennen.

P.S. Auch die "Giovinezza" baut auf eine eine ansprechende Melodie auf.

Fr., 22.09.2017 - 19:00 Permalink
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Hartmuth Staffler Sa., 23.09.2017 - 18:25

Antwort auf von Philipp Trafojer

Leider ist mir der Unterschied zwischen "historisieren" und "relativieren" nicht bekannt. In Südtirol haben diese beiden Wörter ja die gleiche Bedeutung, siehe "Siegesdenkmal" oder Mussolini-Denkmal. P.S: Ich finde die Melodie der "Giovinezza" zwar nicht sehr ansprechend, könnte sie aber ertragen. Was untragbar ist, ist der Text. Aber das kann wohl nicht jeder verstehen.

Sa., 23.09.2017 - 18:25 Permalink
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Philipp Trafojer Sa., 23.09.2017 - 19:38

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Der Kommentar oben sollte eigentlich hier stehen.
Was das Siegesdenkmal betrifft, empfehle ich den Blick wahlweise nach Nürnberg oder nach Forlì zu richten. Beide Städte verfügen über imposante Denkmäler aus einer unheiligen Zeit.
PS Auch ein Besuch in Predappio oder in der Villa Mussolini erweitert den Horizont....

Sa., 23.09.2017 - 19:38 Permalink