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Was Südtirol Katalonien voraus hat

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) schreibt über die Südtiroler Finanzregelung und den Neid der Nachbarn.
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Foto: Suedtirolfoto.com / Franz Brugger
Kaum eine Region in Europa ist vom Zentralstaat unabhängiger als das italienische Südtirol. Finanzfragen stehen dabei an zentraler Stelle. Das allerdings weckt Neid und Begierde“, so beginnt der Artikel von Tobias Piller in der heutigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ). Der römische FAZ-Korrespondent analysiert im Ressort Wirtschaft die Südtiroler Finanzregelung und spannt dabei einen interessanten Bogen zur aktuellen Lage in Katalonien.
 

Der FAZ-Artikel

 
Die finanzielle Selbständigkeit Südtirols wäre nicht nur ein Traum für die teils separatistisch gestimmte spanische Region Katalonien. Im laufenden Jahr darf Südtirol zwischen 80 und 85 Prozent der örtlichen Steuereinnahmen behalten. In Katalonien ist es rund ein Drittel. „Katalonien hat weitaus mehr kulturelle Autonomie als Südtirol, doch ohne finanzielle Unabhängigkeit kommt man nicht weit“, sagt der Südtiroler Senator Karl Zeller, Vorsitzender der kleinen Fraktion „Für die Autonomie“ im römischen Senat. Der 56 Jahre alte Zeller gehört zusammen mit dem 46 Jahre alten Politiker Arno Kompatscher zu den Strategen, die einerseits die Autonomierechte Südtirols immer wieder verteidigen müssen, sie andererseits aber auch regelmäßig erweitern können. Finanzfragen stehen dabei in Südtirol an zentraler Stelle. Der „Landeshauptmann“, wie Kompatscher, der Präsident der Provinz Bozen in Südtirol, genannt wird, ist gleichzeitig auch der Finanzminister der Provinzregierung.
 
Mit den Vereinbarungen über die Autonomie von Südtirol und zugleich auch der italienischsprechenden Provinz Trento im Jahr 1972 wurden den Provinzverwaltungen in Bozen und Trento jeweils 90 Prozent der Einnahmen aus den wichtigsten Steuern zugestanden, etwa der Einkommen- und Körperschaftsteuer, den Mineralölabgaben, den Kraftfahrzeugsteuern und Abgaben für staatliche Konzessionen. Von der Umsatzsteuer erhielten die Provinzen 70 Prozent, die Verwaltung der Region, die aus den Provinzen Bozen und Trento gebildet wird, 20 Prozent. Für viele Jahre wurden Südtirol und Trentino für den Zentralstaat zu einer Zuschussregion, ähnlich wie die armen Regionen Süditaliens. Denn zusätzlich zu den regulären Anteilen am Steueraufkommen wurden Südtirol noch weitere, jährlich ausgehandelte Zuschüsse zugestanden.
Die Südtiroler befürchteten zunächst, dass die örtlichen Steuereinnahmen nicht ausreichen würden, andererseits zeigten sich in vergangenen Jahren manchmal wackelige römische Regierungen großzügig beim Geldverteilen in verschiedene Richtungen, um sich damit die Zustimmung im Parlament zu sichern. Zudem beteiligten sich die Südtiroler auch an staatlichen italienischen Zuschussprogrammen, die mit den Steuereinnahmen aus anderen Regionen bezahlt wurden.
 

Kleine Regionen, großzügige Behandlung

 
Die friedliche Lösung der jahrzehntelangen Streitigkeiten um Südtirol legitimierte in früheren Jahrzehnten bei der italienischen Zentralregierung auch eine großzügige Behandlung Südtirols. „Die finanziellen Konditionen für Südtirol oder für das Aostatal kann sich Italien erlauben, weil unsere autonomen Regionen so klein sind“, sagt Senator Zeller. Würde die Region Lombardei oder in Spanien die Region Katalonien die gleichen Rechte beanspruchen, wäre dies viel schwieriger für den Gesamtstaat. Südtirol hat rund 520.000 Einwohner, knapp 0,9 Prozent der italienischen Bevölkerung. Die Autonomie und die üppige Finanzlage wurden allerdings klug genutzt, etwa für eine langfristig orientierte Investitionspolitik und für die Unterstützung der privaten Wirtschaft, weshalb Südtirols Bruttoinlandsprodukt von 21,4 Milliarden Euro im Jahr 2015 nun 1,3 Prozent des italienischen Wertes ausmacht, das Pro-Kopf-Einkommen von 2015 mit 41.141 Euro um 50 Prozent über dem Durchschnitt des Landes lag.
 
Die großzügige Haushaltslage mit regelmäßigen Überschüssen und ohne nennenswerte Schulden sorgte zuletzt aber für immer größere Begierden der römischen Haushaltspolitiker und gleichzeitig für großen Neid der angrenzenden Regionen. Im Veneto und in der Lombardei werden deshalb in Kürze Volksbefragungen über den Wunsch nach noch größerer Autonomie veranstaltet. Der Wohlstand Südtirols ist dabei Vorbild. Vergessen wird allerdings, dass die ebenfalls autonome Region Sizilien ebenfalls große Freiheiten genießt, diese aber bisher nur genutzt hat, um sich gegen Neuerungen und Reformen zur Wehr zu setzen und damit die Dauerkrise zu verschärfen.
 
Für Südtirol war dagegen die finanzielle Autonomie der Ausgangspunkt für die Bemühungen, immer mehr staatliche Kompetenzen in die Provinz zu holen. Zusätzlich zu den allgemeinen regionalen Kompetenzen für staatliches Gesundheitswesen, Tourismus oder Landwirtschaft verwalten die Südtiroler auch die Schulen, die ehemaligen Staatsstraßen, die Wasserwirtschaft, die Zulassungsbehörde, öffentlichen Grundbesitz oder etwa Gerichtsgebäude mit Gerichtsverwaltung - nur die 70 Richter und Staatsanwälte werden von Rom ernannt und bezahlt. „Wir können das besser“, lautet die Begründung in Bozen. Tatsächlich gibt es Synergien beim Bau und der Verwaltung von Provinz- und Staatsstraßen. Manche Behörde ist besser organisiert als früher in zentralstaatlicher Hand, etwa die Autozulassung.
 
Für Gesundheitswesen und Schulen liegen die Ausgaben höher als im italienischen Durchschnitt. Die meist zweisprachigen Lehrer verdienen weit mehr als in anderen Regionen, müssen aber auch mehr arbeiten. Südtiroler Politiker, auch der nach Rom entsandte Senator Karl Zeller, genießen dabei den Umstand, dass sie selbst in Bozen die Entscheidungsfreiheit über die Ausgaben besitzen, entscheiden, wo eine Umgehungsstraße gebaut oder eine Schule erneuert wird und wie private Investitionen gefördert oder bezuschusst werden. Sogar die Grundsteuern darf Südtirol anders gestalten als der Rest Italiens.
Nach zwei Abkommen von 2009 und 2014 fehlen nun nach den Maßstäben der Vergangenheit 1 Milliarde Euro im Südtiroler Haushalt. Dazu gehört ein Sanierungsbeitrag zu Italiens Staatsschulden von 476 Millionen Euro im Jahr, festgeschrieben bis 2023. „Südtirol hat die Lücke durch Wachstum ausgleichen können“, sagt Senator Zeller. „Ohne finanzielle Autonomie und ausreichende Mittel würde aber auch hier die Stimmung gegenüber dem italienischen Zentralstaat schlechter.“
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Harald Knoflach Mi., 11.10.2017 - 19:32

Wie habt ihr es geschafft, die Erlaubnis für die komplette Wiedergabe des Artikels zu erhalten und das auch noch am selben Tag? Ich arbeite im Rahmen eines Projektes mit der FAZ zusammen und dabei sind sie immer sehr restriktiv, was Veröffentlichungen ihrer Inhalte anbelangt.

Mi., 11.10.2017 - 19:32 Permalink
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maximilian kollmann Do., 12.10.2017 - 07:46

Finanzielle Autonomie ist nicht ganz richtig. Was wir haben ist eine – relativ grosse – AUSGABEN-Autonomie. Bei den Einnahmen hängen wir leider – Ausgaben-Politiker sagen wahrscheinlich »gottseidank« – am römischen Zentralstaast.

Do., 12.10.2017 - 07:46 Permalink