Gesellschaft | Protest

Bozen sendet S.O.S.

Hunderte haben am Samstag dem verstorbenen 13-jährigen Adan gedacht – und ein Zeichen für eine humanere Flüchtlingspolitik gesetzt. Indes wird gegen 10 Ärzte ermittelt.
Adans Rollstuhl am Magnago-Platz
Foto: Salto.bz

Es ist kurz vor 17 Uhr, da brandet langer Applaus auf dem Silvius Magnago Platz in Bozen auf. Soeben sind der Protestmarsch und die Kundgebung, für die sich am Samstag Nachmittag an die 400 Personen eingefunden haben, zu Ende gegangen. Nach dem tragischen Tod des 13-jährigen kurdischen Flüchtlingsjungen Adan wollen viele nicht schweigen: die freiwilligen Helfer, von SOS Bozen, Antenne Migranti und aus vielen Teilen Südtirols, Ärzte ohne Grenzen, die kurdische Gemeinschaft in Bozen. Gekommen sind auch Vertreter der Grünen, Die Linke, von Centaurus und zahlreichen Organisationen und Vereinen, die sich in Südtirol und dem Trentino für Menschenrechte und Flüchtlinge einsetzen.

Sie wissen, warum sie hier sind. Sie wollen ein Zeichen für Menschlichkeit, eine humanere Flüchtlingspolitik und gegen Rassismus und Diskriminierung setzen. “Wir wollen den kleinen Adan erinnern, das Schicksal, das ihm und seiner Familie widerfahren ist. Zweitens fordern wir die sofortige Abschaffung des Critelli-Rundschreibens und drittens: den sofortigen Rücktritt von Landesrätin Stocker, die weiterhin Lügen erzählt”, fordert SOS Bozen. So sei es auch nicht wahr, dass sich die Familie aus freien Stücken für das Trentino entschieden habe, wo sie ab Mitte nächster Woche untergebracht werden soll. “Sie hatten nicht die Wahl zwischen Südtirol und dem Trentino, wie es in der offiziellen Mitteilung der Provinz Trient heißt”, sagen die Freiwilligen von SOS Bozen, die sich seit knapp zwei Wochen um die Familie kümmern. Im Gegenteil: Sie wollten in Bozen bleiben, jener Stadt, an die sie das Schicksal erbarmungslos gebunden hat.

Adans Familie hätte nach ihrer Ankunft in Bozen von den Institutionen aufgenommen und der 13-jährige an Muskeldystrophie erkrankte Junge angemessen medizinisch behandelt werden müssen, so der Vorwurf. Doch die institutionelle Flüchtlingshilfe habe “versagt”, wofür sich allen voran Soziallandesrätin Martha Stocker, aber auch Bozens Bürgermeister Renzo Caramaschi und sein Sozialstadtrat Sandro Repetto “schämen” müssten. Diese harten Worte werden im Laufe des Protestzugs immer wieder in das Mikrofon gerufen.

Vom Verdiplatz aus ziehen die hunderten Menschen Richtung Landhausplatz. Man will dorthin, wo man die Verantwortung für das Schicksal der Familie H. sieht: Palais Widmann. Kritik an den politisch Zuständigen ist in den Vortagen nicht nur italienweit, sondern auch über internationale Medien laut geworden. So hat etwa The Guardian über den Fall Adan berichtet und das UN-Flüchtlingswerk UNHCR kein gutes Wort an der Flüchtlingspolitik des Landes und dem Critelli-Rundschreiben gelassen, das die Aufnahme von Flüchtlingen, die Südtirol nicht vom Staat zugewiesen bekommt, drastisch einschränkt. Vielleicht auch wegen des internationalen Drucks gesteht Landeshauptmann Arno Kompatscher just am Samstag ein erstes Mal ein mögliches Versagen ein. “Die Familie hätte aufgenommen werden müssen. Aufgrund des Rundschreibens hätte sie Recht auf Aufnahme gehabt. Etwas hat nicht funktioniert und wir werden es herausfinden”, so Kompatscher zu einem Journalistenteam von Piazza Pulita, das ihn in Bozen aufsucht.

“Die Mutter ist am Ende, ihre Kinder bräuchten Hilfe. Aber die Familie wird sich selbst überlassen, sie bekommen keinerlei Unterstützung,”
(SOS Bozen)

Es geht vorbei am Hotel Alpi, wo die Familie derzeit noch untergebracht ist, vorbei am Hotel Adria, wo Adans Brüder und Vater einige Nächte verbracht haben – auf Kosten der Freiwilligen von SOS Bozen. Dort ergreift der Sprecher der kurdischen Gemeinde das Wort und berichtet von den letzten Tagen Adans, die er nach dem Sturz aus seinem Rollstuhl im Bozner Krankenhaus verbracht hat. Es hagelt harte Worte und Kritik an den Ärzten, die sich um den Jungen kümmern sollten. Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft am Freitag Ermittlungen gegen zehn Ärzte eingeleitet, wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung.

Schließlich kommt man am Landhausplatz an, immer mehr Menschen haben sich entlang des Weges der Menge angeschlossen. Worte des Dankes fallen, dann löst sich die Versammlung langsam auf. Die zwei kleinen roten Kerzen am Rollstuhl von Adan sind fast abgebrannt. Den ganzen Weg hat der leere Rollstuhl den Marsch begleitet, als mahnendes Symbol dafür, dass sich etwas Grundlegendes ändern muss. Davon sind nicht nur die Freiwilligen von SOS Bozen überzeugt, die warnen: “Wenn die Regeln für die Aufnahme nicht geändert werden, riskiert man, dass sich die Tragödie von Adan wiederholt.”