Gesellschaft | Athesia
Ebners Bon Ton
Foto: Weinlese.it
Beim Alto Adige ist man so etwas nicht gewohnt.
Als vor einigen Tagen der Bote mit einem kleinen Paket für jeden Mitarbeiter auftauchte, wunderte man sich. Spätestens nachdem die Beschenkten den Inhalt genauer unter die Lupe genommen hatten, schlug bei manchem die Neugierde in Sprachlosigkeit um. „Wir haben darüber geredet, ob wir offiziell was tun sollen“, heißt es aus der Redaktion. Am Ende hat man jede offizielle Stellungnahme aber sein lassen.
Ganz anders scheint die Reaktion im Herzstück der Athesia zu sein. „Wir sehen das Ganze als nettes, interessantes Geschenk und nicht mehr“, meint ein Redaktionsmitglied der Dolomiten. Kaum jemand am Weinbergweg wundert oder empört sich gar über das unerwartete Präsent.
Dass die Standpunkte so unterschiedlich sind, liegt an der Unsicherheit in der Belegschaft, wie die Bescherung aus der Chefetage aufzufassen sei. Die Gefühlslage schwankt zwischen Begeisterung, Belustigung und Entsetzen.
Sicher aber ist: Es hat in Südtirol bisher noch nie eine derartige Aktion in einem Unternehmen gegeben.
Zum Wohle des Unternehmens
Der Athesia-Konzern hat inzwischen weit über 1.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie alle erhielten zum Jahreswechsel Post vom obersten Konzernchef Michl Ebner. Der Inhalt: Neben einem freundlichen Begleitschreiben ein 120 Seiten starkes Büchlein. Auf den Umschlagseiten übergroß das Athesia-Firmenlogo. Der Titel des Werks: „Der gute Ton im Berufsalltag - Ratgeber für Athesia-Mitarbeiter“. Für die italienischen Mitarbeiter gab es eine italienische Ausgabe mit einem noch förmlicheren Titel: „Il Bon Ton nel lavoro quotidiano - Manuale per i collaboratori Athesia“.
Im Vorwort schreibt der Direktor der Athesia Gruppe, Michl Ebner:
„Wir alle sind Athesia, geschätzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit täglich in Kontakt mit Kunden, Lieferanten, Geschäftspartnern sowie Arbeitskollegen. Durch unser tägliches Handeln erzielen wir Wirkung, Wirkung in Form von Arbeitsleistung, aber auch Wirkung in Form unseres Verhaltens und unseres Auftretens.
In diesem Täglichen Tun und Handeln soll der vorliegende Ratgeber Ihnen eine nützliche Hilfeleistung bieten, um in den verschiedensten Lebenssituationen professionell und wirksam zu handeln, zum Wohle des Unternehmens, zu Ihrem persönlichen Wohle. Wer die Umgangsformen kennt, bewegt sich sicherer auf andere Menschen zu und wirkt souveräner im Umgang mit anderen“.
Umrahmt vom Stempel „Wir sind Athesia seit 1988“ lässt der Athesia-Direktor und Handelskammerpräsident dann einen frommen Neujahrswunsch los.
„Dass das vorliegende Handbuch von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern intensiv gelesen und genutzt wird, wünsche ich mir“.
Der Autor
Danach folgt ein Handbuch, in dem auf 120 Seiten die Erziehung eines Menschen nachgeholt wird. Nur ein Teil davon betrifft die Arbeitswelt. Meistens geht es um individuelle Gepflogenheiten in der Gesellschaft.
Hier scheint einer der größten Arbeitgeber im Land einem Bildungsauftrag nachzukommen. Der Verteiler wie auch der Autor des Ratgebers müssen dabei einem gehörigen Kulturpessimismus anheim gefallen sein. Denn den Großteil der Ratschläge bekam und bekommt man eigentlich in der Kinderstube jeder normalen Familie mit. Aber anscheinend ist der Sittenverfall in Südtirol so groß, dass es eines solchen Firmen-Knigges bedarf.
Geschrieben wurde das Buch vom aktuellen SVP-Parlamentskandidaten und Lananer Bürgermeister Harald Stauder. Der studierte Politikwissenschaftler und Absolvent der Diplomatischen Akademie Wien ist nicht nur mit seiner „hst consulting“ als Unternehmensberater, sondern seit vielen Jahren auch als selbsternannter Knigge-Experte tätig.
Aus einer Artikelserie für den Athesia-Wirtschaftskurier mit dem Titel „Moderne Umgangsformen“ entstand 2008 im Ebner-Verlag das Buch „Südtiroler Benimm dich“. Die Athesia-Benimmfibel ist jetzt eine auf das Unternehmen zugeschnittene Neuauflage dieses inzwischen ausverkauften Buches.
Es ist ein herrlich skurriles Werk.
Akkolade & Schützen-Du
Harald Stauder legt die gesamte Palette des guten Benehmens vor. Dabei geht es um die Fragen, wie man richtig grüßt, wie man jemandem die Hand gibt, wer auf welcher Seite geht, wie man eine Person vorstellt, wie man sich in der Öffentlichkeit benimmt, wen man mit Du oder mit Sie anspricht, wie man sich angemessen kleidet, wie man sich im Restaurant benimmt, wie man auf sein äußeres Erscheinungsbild achtet oder wie man sich angemessen kleidet.
Das Büchlein ist eine Fundgrube von Gustostückerln, manchmal aus einer anderen Welt. Oder wussten sie, dass das moderne zwei- oder dreimalige Küsschen auf die Wange „Akkolade“ heißt? Nicht zu verwechseln mit Schokolade.
Oder dass man bei offiziellen Anlässen höchstens sieben Ehrengäste begrüßt. Stauders Patentrezept: Die Gäste unter ihren Funktionen zusammenfassen.
„Beim Grüßen im beruflichen Umfeld ist der Rang das wichtigste Kriterium“, erklärt der Autor. Das heißt: „Der Lehrling grüßt den Chef zuerst. Die Sekretärin grüßt den Abteilungsleiter zuerst. Der Schüler grüßt den Lehrer zuerst.“
„Beim Grüßen im beruflichen Umfeld ist der Rang das wichtigste Kriterium“, erklärt der Autor. Das heißt: „Der Lehrling grüßt den Chef zuerst. Die Sekretärin grüßt den Abteilungsleiter zuerst. Der Schüler grüßt den Lehrer zuerst.“
Und natürlich ist es wichtig, dass Frauen auf der richtigen Seite gehen. Deshalb heißt es im Buch:
„Die rechte Seite eines Menschen ist die Ehrenseite. Der Mann bietet der Frau seine rechte Seite an.“
Im Kapitel „Wen spreche ich mit Du, wen mit Sie an?“ finden sich eine Reihe von Sonderfällen. Etwa das „Schützen-Du“.
„Ein Beispiel aus dem weltlichen Bereich, in dem sich die Mitglieder duzen, ist der Schützenbund. Schützen in Tracht sind alle per Du. Natürlich wird der Rang des anderen trotzdem beachtet.
Beispiel: Ein einfaches Kompaniemitglied möchte sich an den Landeskommandanten wenden: „Herr Landeskommandant, darf ich Dich etwas fragen?“
Wenn sich die beiden außerhalb einer Schützenveranstaltung und nicht in Tracht treffen, ist das Du hingegen nicht selbstverständlich.“
Stellen Sie sich vor, Ihre Belegschaft weiß das nicht.
Richtig essen
In der Kantine des Athesia-Konzerns oder in den Privathäusern der Angestellten muss es fürchterlich zugehen. Nur so ist es zu erklären, dass Harald Stauder in seinem Athesia-Ratgeber seitenweise Tischsitten erklärt. Wie man aufdeckt, wie man abserviert und welche Sitzordnung man an der Tafel einnimmt. Inklusive Servietten-, Gläser und Tellerkunde. Auch Tischgespräche werden schön normiert.
Außerdem wird im Büchlein auch genau beschrieben, wie man Brot, Ei, Pizza, Spaghetti, Spargel, Suppe, Salat, Fisch, Austern und sogar Kaviar isst. Noblesse oblige.
Ebenso wird genau beschrieben, wie man eine Krawatte bindet und wie man Hosen, Strümpfe, Fliege, Einstecktuch und Anzug richtig trägt. Umrahmt ist das Ganze von wunderschönen Bildern des Lananer Bürgermeisters.
Der Athesia-Knigge gibt aber auch Anleitungen zu Themenbereichen wie Krankenbesuche oder Todesfall.
Dort steht als erster Satz:
„Die Mitteilung eines Todesfalles erfolgt hauptsächlich über eine Anzeige in einer großen Tageszeitung“.
Ein Schelm, wer da an Athesia denkt.
Weil man es mit einem christlichen Verlag zu tun hat, muss dieser Ratgeber natürlich auch dem Sittenverfall entgegenwirken. So heißt es im Kapitel „Küssen“:
„Wenn von Küssen in der Öffentlichkeit die Rede ist, so ist jenes Verhalten gemeint, das seit Jahren im Vormarsch ist: Privates wird an die Öffentlichkeit getragen. Es geht hierbei nicht um einen kurzen Kuss, sondern um das Verhalten einiger Menschen, die den Eindruck erwecken, kein Zuhause zu haben.“
Ein Kapitel hat der Autor dabei wohlweislich vergessen. Es gibt keine Anweisungen oder Ratschläge, wie sich man sich bei Miss-Wahlen zu verhalten hat.
Aber vielleicht kommt das ja noch.
Lesen Sie morgen: Wie sich Frauen in der Athesia anzuziehen und zu benehmen haben.
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ein bisschen bieder aber es
ein bisschen bieder aber es gibt schlimmeres und man kann dem CF auch wirklich nichts recht machen und ein Knigge Kurs wäre vielleicht gar nicht schlecht für die Redaktionen ;-)
Es gibt Journalisten, die
Es gibt Journalisten, die sich gut benehmen und gut schreiben. Es gibt Journalisten, die sich zwar gut benehmen, aber schlecht schreiben. Es gibt Journalisten, die sich schlecht benehmen, aber gut schreiben. Es gibt Journalisten, die sich schlecht benehmen und schlecht schreiben. Die meisten sind, sowohl was das Benehmen als auch das Schreiben betrifft, absolut beratungsresistent., da helfen weder Knigge- noch Duden-Spenden.
Grundsätzlich ist jeder
Grundsätzlich ist jeder Mitarbeiter eine Visitenkarte seines Unternehmens, ein Bereich wo Athesia bereits sehr unterwegs ist....
Also ich finde, das Schützen
Also ich finde, das Schützen-Du sollte weltweit in allen Unternehmens-Richtlinien Eingang finden, das wird das Betriebsklima ungemein verbessern! Ich freue mich jedenfalls auf weitere Highlights aus dem Athesia-Knigge!
Ich habe aufgehört zu lesen,
Ich habe aufgehört zu lesen, wo "die Sekretärin den Chef zuerst grüßt". Vorletztes Jahrhundert. Sowas geht, im 3. Jahrtausend, wohl nur in Südtirol. PS: Ist zwar hier offtopic, aber irgendwie gehört's doch dazu: Wundert sich noch wer, dass der Herr Stauder mit der Frauenquote nicht so gut kann?
Antwort auf Ich habe aufgehört zu lesen, von Sylvia Rier
Wenn der Chef die Sekretärin
Wenn der Chef die Sekretärin zuerst grüßt, dann ist das eindeutig ein Fall von sexueller Belästigung. Ganz schlimm natürlich auch, wenn der Sekretär die Chefin grüßt. Am besten also überhaupt nicht mehr grüßen, das ist doch eine vollkommen überholte Sache.