Gesellschaft | Kindergarten

"Sprache ist nicht alles"

Das ethnische Gezerre am Kindergarten ist wenig hilfreich, sagt Kindergarteninspektorin Christa Messner. Und räumt mit so mancher Sorge von Politik wie Eltern auf.
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Foto: Foto: Privat

salto.bz: Frau Messner, in einigen Südtiroler Städten wurden die Kindergarteneinschreibungen vergangene Woche erstmals nach den neuen Vorgaben der Landesregierung vorgenommen. Wie waren die Erfahrungen?
Christa Messner: In der Stadt Bozen sind die Einschreibungen erstmals zentral im Büro der Kindergartendirektion durchgeführt worden. Aus der Sicht der Direktorin liefen sie sehr positiv ab. Wir haben uns seit vergangenem Mai Gedanken gemacht, wie wir die Einschreibungen für das kommende Jahr 2018/18 bewerkstelligen. Das große Bestreben der Regierung ist es bekanntlich, komplexe Situationen zu entschärfen, also konkret in solchen Fällen die Gruppen zu verkleinern, ausreichend Personal und Raum zur Verfügung zu stellen.

So wurde es vergangenen Sommer in einem Beschluss der Landesregierung festgemacht. Dort wurde aber auch beschlossen, dass es mit nicht-deutschsprachigen Familien in den deutschsprachigen Kindergärten ein sogenanntes Beratungsgespräch geben soll. Das hat nun italienische Eltern teilweise irritiert.
Die Irritationen verwundern mich, weil ich von vielen positiven Rückmeldungen weiß. Wir berücksichtigen natürlich alle gesetzlichen Grundlagen, also auch das Promemoria, das die Landesregierung in dieser Frage verfasst hat. Und deshalb wurden nicht-deutschsprachige Familien, die sich bei uns gemeldet haben, auch dementsprechend beraten. Also im Sinne der Frage, was sie leisten können, damit das Kind gut begleitet wird, wenn sie sich für einen deutschsprachigen Kindergarten entscheiden. Dazu haben wir einen Leitfaden erarbeitet, nach dem das Gespräch geführt wurde. Da wurde beispielsweise gefragt, was sie sich vorstellen können, selber zu tun, ob sie ein Interesse an einer sprachlichen Weiterbildung haben, ob es in dem Fall Kurse oder andere Angebote sein sollen. Eine enge Vernetzung mit den Familien ist in jedem Fall unerlässlich.

Die Gespräche wurden von manchen Familien aber wie eine Prüfung erlebt. Auch aufgrund der Angst, dass ihre Deutschkenntnisse dann als Kriterium hergenommen werden, einen Kindergartenplatz zu erhalten, nachdem das Protokoll des Gesprächs der Anmeldung beigelegt wurde und die Eltern aufgefordert wurden, Deutsch zu sprechen.
Es ist mir unvorstellbar, dass jemand aufgefordert worden ist, Deutsch zu sprechen. Mir wurde vielmehr gemeldet, dass viele Eltern auch von sich aus Deutsch gesprochen und sich sehr bemüht haben. Bei den Beratungsgesprächen waren Pädagoginnen einbezogen, und jede hat zumindest Deutsch und Italienisch gesprochen, vor allem bei jüngere Kolleginnen kommt dann auch Englisch und manchmal Spanisch dazu. Und somit sind auch diese Sprachen verwendet worden. Wie gesagt: Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen von den Familien erhalten. Viele wussten es zu schätzen, dass es die Möglichkeit eines vertiefenden Gesprächs gab und sie ihre Situation darlegen konnten. Wir hatten jedenfalls in früheren Jahren, in denen die Einschreibungen in den jeweiligen Kindergärten stattfanden, weit häufiger Konfliktfälle, wenn klar wurde, dass es wenige Plätze gibt.

Wenige Plätze gibt es auch heuer, heißt es. Haben das Protokoll des Beratungsgesprächs, und in Folge die Deutschkenntnisse in einer Familie, in irgendeiner Form Auswirkungen darauf, ob ein Kind einen Platz im deutschen Kindergarten erhält?
Nein, wie soll es das haben?  Die freie Wahl des Kindergartens ist ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht. Außerdem betrachten wir es als unseriös, in einem Beratungsgespräch Sprachkenntnisse zu erheben. Und zudem könnten wir nicht von den Kenntnissen der Eltern auf die Kompetenzen des Kindes schließen. 

Das heißt, wenn es zu wenige Plätze im Kindergarten gibt, den sich eine Familie wünscht...
....dann gelten dieselben Regeln, die es seit Jahren gibt.

Also, es wird nach Kriterien wie Geburtsdatum, Geschwisterkinder, besondere Benachteiligungen und ähnlichem gereiht?
Genau. Wir haben für alle Familien sichergestellt, dass sie einen Platz in ihrem Einzugsgebiet erhalten. Dass es dann genau der Kindergarten erster Wahl ist, können wir aber nicht garantieren.

"Der deutschsprachige Kindergarten ist ganz sicher nicht durch die vielen Besonderheiten, die Mädchen und Buben mitbringen, in Frage gestellt – auch nicht wenn es um Sprache geht."

Wenn wir nur die Meldungen der letzten Woche ansehen, hat man das Gefühl, man kann es niemandem recht machen. Die Südtiroler Freiheit beklagt, dass deutschsprachige Familien wegen zu vieler italienischer und anderssprachiger Kinder keinen Platz im deutschen Kindergarten bekommen, die Grünen wieder kritisieren die Aufnahmegespräche für anderssprachige Familien....
Ja, oft fühlen wir uns wirklich als Spielball von Politik und Medien. Viele haben Vorstellungen vom und Forderungen an den Kindergarten. Doch die wenigsten reden mit uns und schauen sich unsere Welt wirklich an.

Dann schauen wir hin: Wie groß ist für die Kindergarten-Welt selbst die Belastung, wenn viele nicht-deutschsprachige Kinder in Ihre Kindergärten kommen?
Für uns ist die Sprache bei weitem nicht so im Vordergrund, wie sie in der öffentlichen Diskussion steht. Kinder bringen viele unterschiedliche Voraussetzungen mit, unabhängig von wo sie kommen und welche Sprache sie sprechen. Jedes Kind, das bei uns in den Kindergarten kommt, ist besonders wichtig und wird so individuell wie möglich begleitet. Damit wir das bewerkstelligen können, sind gute Rahmenbedingungen beim Personal und gute räumliche Rahmenbedingungen das Um und Auf. Wenn dagegen rundherum alles schreit, stört uns das in der Bildungsarbeit.

Vor allem in Bozen gibt es aber die Sorge, dass die Förderung der deutschen Sprache nicht mehr gewährleistet werden kann, wenn in einem Kindergarten sagen wir 80 Prozent der Kinder, nicht deutscher Muttersprache sind.  
Der Kindergarten von Bozen spiegelt eben die Situation in der Landeshauptstadt wieder. Wenn es hier viele zwei- und mehrsprachige Familien gibt, werden mehrere Sprachen im Kindergarten präsent sein.

Wird sich diese Situation nun ändern, indem man Kinder ohne Deutschkenntnisse über die ganze Stadt verteilt?
Das hat sich die Landesregierung so vorgestellt. Wir müssen die Verteilung nun in den kommenden Wochen vornehmen, doch wir haben die Politik bereits im Vorfeld darauf hingewiesen, dass Verschiebungen schwer zu bewerkstelligen sind. Wir haben in Bozen zum Beispiel den Kindergarten in der Wegensteinstraße, in den wirklich viele Kinder aus anderen Ländern und Kulturen gehen. Doch da wir nicht so viele neue freie Plätze haben, müssten wir Familien gewinnen, ihren Kindergarten zu verlassen, in den sie gut eingelebt sind, um einen solchen Ausgleich zu schaffen.

Und das würde zu weit gehen?
Das ist weder den Kindern noch den Familien zuzumuten. Bisher wird bei uns nach dem Prinzip der Wohnortnähe zugeteilt und hier gilt es auch einen Blick auf die Wohnungspolitik zu richten. Denn Familien aus anderen Kulturen finden vorwiegend in bestimmten Zonen Wohnungen. Und sie sind oft höchst bestrebt, einen sehr nahen Kindergarten zu wählen, weil sie nicht so mobil sind. Eine Verteilung kann nur gelingen, wenn alle Kriterien aufgehoben werden. Das wäre aber auch nicht im Sinne der politisch Verantwortlichen und würde sich für viele Familien nachteilig auswirken.

"Die freie Wahl des Kindergartens ist ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht. Außerdem betrachten wir es als unseriös, in einem Beratungsgespräch Sprachkenntnisse zu erheben. Und zudem könnten wir nicht von den Kenntnissen der Eltern auf die Kompetenzen des Kindes schließen."

Was braucht es dagegen aus Ihrer Sicht, um Kleinkinder trotz sprachlicher Vielfalt gut zu begleiten?
Wie gesagt: Ausreichend Personal und Räumlichkeiten. Wir haben in den Kindergärten der Stadt Bozen schon überall zusätzliches Personal. Für das nächste Kindergartenjahr erwarten wir uns jetzt pro Gruppe nur mehr 22 statt 25 Kinder. Im Promemoria der Landesregierung steht 18 bis 22 Kinder. Nachdem wir so viele Anmeldungen haben, wissen wir aber jetzt schon, dass wir auf die Höchstzahl, also 22, gehen werden. Und wir zählen darauf, dass wir dafür die Räume und das entsprechende Personal bekommen, auch um zusätzliche Gruppen einrichten zu können. 

Und dann ist die Förderung der deutschen Sprache sicher gestellt?
Der deutschsprachige Kindergarten ist ganz sicher nicht durch die vielen Besonderheiten, die Mädchen und Buben mitbringen, in Frage gestellt – auch nicht wenn es um Sprache geht. Der deutschsprachige Kindergarten folgt seinem pädagogischen Konzept. Die Pädagoginnen nutzen natürlich alle sprachlichen Mittel, um die Beziehungen mit den Kindern aufzubauen. Und sobald die Bindung gelingt, wird auch immer mehr auf die deutsche Sprache geachtet. Aber wir müssen uns vor Augen führen, dass Kinder ein hohes sprachliches Können haben. Wenn wir uns die Zeit nehmen und bei den Kindern sind, ist das für uns erhellend, wie sie kommunizieren.

Es ist also nicht verboten, Italienisch im deutschen Kindergarten zu sprechen, wie mancherorts behauptet wird?
Wer sagt denn so etwas? Wir haben in der Provinz Bozen die höchste Rate an zweisprachigen Paaren in Italien. Jedes Kind, das hier in Bozen im Bauch einer Mutter heranwächst, wird bis auf wenige Ausnahmen zumindest Deutsch und Italienisch hören. Und natürlich wird im deutschsprachigen Kindern im Morgenkreis, in der Kleingruppe Deutsch gesprochen. Das heißt aber nicht, dass die Kinder nicht untereinander auch Italienisch sprechen dürfen oder Pädagoginnen im Gespräch mit einzelnen Kindern nicht die italienische oder englische Sprache nutzen können. Das ist der Alltag.

Sind die Pädagoginnen überhaupt auf die Vermittlung einer Zweit- oder Fremdsprache vorbereitet?
Die Pädagoginnen sind höchst bestrebt, im pädagogischen Alltag sprachlich wirksam zu sein. Aufgrund der großen Herausforderungen erweitern sie ihre Kompetenzen gerade durch Fortbildung, Beratung und Studium. Mangelnde Sprachkenntnisse sind aber keineswegs ein Grund dafür, dass Interaktionen nicht positiv verlaufen können. Junge Kinder sind in ihrer Kommunikation einfallsreich und probieren viele Möglichkeiten aus, sich mitzuteilen. Klarerweise verlangt es aber nach einer hohen Aufmerksamkeit bei den Pädagoginnen und nach hohen Kompetenzen in der Gesprächsführung.

Auf den Punkt gebracht: zu viel Aufregung um die Sprache?
Ja, diese Aufregung und dieses Zerren ist wenig hilfreich. Die Pädagoginnen konzentrieren sich auf die Mädchen und Jungen und deren Familien. Sie wollen für alle Kinder gute Bildungschancen sicherstellen. Im politischen und auch gesellschaftlichen Diskurs wird häufig allein die Sprache in den Vordergrund gerückt. Doch auch bei Kindern, die in Südtirol verwurzelt sind, wird der Kindergarten mit einer hohen Vielfalt konfrontiert. Wir danken es den Führungskräften und den Pädagoginnen, dass sie alle Aspekte in der kindlichen Entwicklung und deren Zusammenwirken beachten. Und sie stärken die Eltern als wichtigste Vertrauenspersonen der Kinder und arbeiten eng mit ihnen zusammen.

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Alois Abart So., 28.01.2018 - 21:18

Kindergarten ist kein günstiger Kinderaufbewahrungshort. Und der südtiroler Kindergarten ist auch keine Sprachenschule für Vorschulkinder!
Er ist in der heutigen Zeit und durch die Einzelkind-Familien eine geeignete und sehr willkommene Möglichkeit, Kinder unter Gleichaltrigen zu sozialisieren, sich in den verschiedenen Formen zu verständigen, um jene Werte welche sie in den unterschiedlichsten Familien vorgelebt bekommen in einem gemeinsamen Umgang und im Spiel austauschen können.
Daher stimmt, dass Sprache nicht alles ist. Denn wir vergessen allzuleicht, dass Menschen, in diesem Fall kleine Kinder, besonders auf die "Nonverbale" Sprache reagieren und "ansprechbar" sind. Eine gute Tante hat ein Feingespür dafür.
Wenn die Politik bzw. Verwaltung hierfür die richtige Energie einsetzt und ihr "Ohr" in die einzelnen Strukturen steckt, kann sie wirklich die echten Sorgen dieser Institution mit geeigneten Taten entgegenwirken.
Südtirol darf und muss mehr in Kindergärten und Schule investieren, und zwar in Menschen, denn morgen werden diese uns ablösen.
Ich habe selbst eine Tochter, welche aus einem mehrsprachigen Elternhaus stammt und habe daher die Probleme nicht nur wegen der Sprache nur zu gut kennengelernt. Ich bin heute froh und auch dankbar darüber, dass diese Institution Kindergarten mir eine Stütze war.

So., 28.01.2018 - 21:18 Permalink