Wirtschaft | Tourismus

Dörfer als Hotel

In Neumarkt werden die Weichen für ein Beherbergungskonzept gestellt, das neue Perspektiven für Südtirols Dörfer bieten könnte: Was genau ist ein "albergo diffuso"?

albergo diffuso
Foto: Alberghi Diffusi

Horst Pichler gerät ins Schwärmen, wenn er von der Idee zu erzählen beginnt, die in seinem Dorf am 8. März im Rahmen einer groß aufgezogenen Tagung lanciert werden soll. „Ein albergo diffuso ermöglicht es bestehende Bausubstanz zu nutzen statt neue auszuweisen“, sagt der Neumarkter Bürgermeister. „Denkmalgeschützte und alte Häuser können restauriert und erhalten werden, Ortszentren bleiben lebendig und man zieht damit eine neue Gästeschicht an.“

Albergo – was? “, lautete wohl nicht nur in der salto-Redaktion die Reaktion, wenn das erste Mal über das horizontale Hotelkonzept „made in Italy“  gesprochen wird, das in manchen Regionen schon eine jahrzehntelange Tradition hat und mittlerweile auch im Ausland auf immer mehr Anklang trifft. In Südtirol dagegen ist bislang noch niemand auf die Idee gekommen, die Kernangebote eines Berberbergungsbetriebs auf bestehenden Strukturen in einem Dorfzentrum zu verstreuen, wie die Idee der albergo diffuso oder in Kurzform AD auf den Punkt gebracht werden kann.

 

Die Wurzeln des Konzepts reichen bis zum verheerenden Erdbeben in Friaul im Jahr 1976. Damals wurden Gelder für den Wiederaufbau dafür verwendet,  leerstehende Häuser für touristische Zwecke zu sanieren, um so wieder Leben in die Dörfer zu bringen. Die Belebung von Dorfkernen, die Aufwertung bzw. Erhaltung von historisch interessanter Bausubstanz sowie eine nachhaltige und authentische touristische Entwicklung sind die Kerngedanken hinter dem Modell, das von Tourismusberater Giancarlo Dall’Ara weiterentwickelt wurde und vor allem in Süditalien wieder Bewegung in so manches vom Aussterben bedrohte Dorf gebracht hat. 1998 wurde das Konzept in Sardinien erstmals formal mit einer spezifisch dafür geschaffenen gesetzlichen Regelung anerkannt. „In Österreich wurde die Idee beispielsweise mit dem Projekt Pixel Hotel  aufgegriffen“, erzählt Horst Pichler. Teils kenne man die Hotelform auch unter der Bezeichnung „Satellitenhotel“ oder „verstreutes Hotel“. Zumindest bei der nationalen Vereinigung Alberghi diffusi sieht man es aber ohnehin lieber, wenn die eigene Formel auch in anderen Sprachen unter dem italienischen Originaltitel firmiert.

Für eine touristisch strukturschwache Gemeinde wie Neumarkt jedenfalls scheint ein Albergo Diffuso ein äußerst interessantes Konzept zu sein, um die Bemühungen zu verstärken, den historischen Ortskern mit seinen malerischen Laubengängen lebendig zu erhalten. Schon heute wird in Neumarkt jede Geschäftseröffnung im Zentrum mit einem Verlustbeitrag von 5000 Euro belohnt, erzählt der Bürgermeister. Mit Veranstaltungen und interessanten Initiativen versucht die Arbeitsgruppe „Neumarkt Marketing“ auch immer mehr der jährlich rund 170.000 Radfahrer, die ihr Dorf am Radweg passieren, in ihr sehenswertes Zentrum zu bringen. Die Rahmenbedingungen für die Einrichtung eines albergo diffuso zu schaffen ist das nächste große Ziel, das man sich nun in der Gemeinde gesetzt hat. Dafür wurde laut Pichler bereits eine Architektengruppe engagiert, um konkrete Vorschläge für das originelle Hotelkonzept auszuarbeiten. Empfohlen wird, dass die verwalteten Zimmer nicht weiter als 200 bis 300 Meter von einer zentralen Rezeption entfernt sind. In Frage kommen dafür laut Pichler sowohl bestehende Zimmer, die allerdings getrennt von Wohnungen begehbar sein müssen oder auch Dachböden, die noch ausgebaut werden könnten. Wesentlich sei auch, dass das Hotel eine einheitliche Führung und Vermarktung habe und es bestimmte Wiedererkennungseffekte in den einzelnen Unterkünften gäbe, erklärt der Neumarkter Bürgermeister. Lokale Produkte oder kulinarische und kulturelle Geheimtipps fern des Massentourismus zählen ebenso zur Philosophie der alberghi diffusi wie die Unterkünfte in geschichtsträchtigen oder sonst lokalspezifisch interessanten Gebäuden. Profitieren kann davon nicht zuletzt die lokale Gastonomie, die durch ein Vouchersystem in das Hotel miteinbezogen werden kann. 

Chance für Airbnb

23 Eigentümer hätten sich schon bislang gemeldet, um mögliche Unterkünfte für das Projekt zur Verfügung stellen. „Das hat unsere Überwartungen übertroffen“, sagt Bürgermeister Pichler. Das Potential in Neumarkt schätzte er allerdings noch höher ein, weshalb er auf eine rege Teilnahme der Neumarkter an der Tagung am 8. März hofft. Dort wird auch Begründer Giancarlo Dall’Ara selbst für diese besondere Art der Gastfreundschaft werden. Mit dabei wird auch Landeshauptmann Arno Kompatscher sein, der die Idee laut Pichler auch für andere historische Zentren in Südtirol als höchst interessant einstuft.

Sicher ist, dass es für einer konkreten Umsetzung in Neumarkt nicht nur eine Trägerorganisation braucht, für die sich auch ein genossenschaftliches Modell anbieten würde, wie im Rahmen der Tagung von einem Vertreter des Dachverbandes LegaCoop erläutert werden wird. So sehr das Konzept des albergo diffuso auch den Geist der Raumordnungsreform trifft, wird es auch eine gesetzliche Anpassung brauchen, um Unterkünfte in einem bestehenden Wohnhaus im Ortszentrum zu schaffen. Die Suche nach einer urbanistischen Lösung für solche Lizenzen könnte laut dem Neumarkter Bürgermeister auch eine Chancen bieten, das verwandte Thema Airbnb besser zu regeln. „Denn dort wirken heute viele Anbieter in einer gesetzlichen Grauzone“, so Pichler.

L’Albergo diffuso è una avventura tutta italiana, che ripropone la cultura dell’accoglienza del nostro paese, e lo stile di vita “orizzontale”, cioè relazionale e comunitario che caratterizza i borghi italiani“, beschreibt Giancarlo Dall’Ara auf der Homepage der Dachorganisation. In einem Monat wird er in Neumarkt klarer machen, ob ein solches Konzept das Zeug hat, auch in Südtirols Tourismus eine neue Nische zu begründen.