Meine Tochter war am Unsinnigen Donnerstag in Terlan. Sie kam sichtlich angeheitert nachhause und ging früh schlafen. Ich habe sie nicht darauf angesprochen und werde es auch nicht tun. Aus Respekt. Oder gefällt es Ihnen, wenn man Sie fragt: „Bisch besoffen“?
Ich gehe davon aus, dass der Unsinnige Donnerstag dazu da ist, unsinnige Dinge zu tun. Womöglich auch zu viel zu trinken. Genau das haben wir als Halbwüchsige und Jugendliche getan. Genau das tun Tausende von rechtschaffenen Südtiroler Bürgerinnen und Bürgern auch heute. Der Fasching ist zum Lachen und Feiern da.
Genau das hat meine Tochter am Donnerstag in Terlan getan. Mit Tausenden anderen jungen und nicht mehr ganz so jungen Menschen.
Wer am nächsten Tag allerdings die Zeitungen aufgeschlagen hat, der war plötzlich in einer anderen Welt. „Carnevale, venti in coma etilico. Pomeriggio di follia a Terlano, Ragazzi sui binari, treni bloccati“, titelte der Alto Adige am Freitag. Der „Corriere dell´ Alto Adige“ durfte da nicht nachstehen. „Come ogni anno, i festeggiamenti di Carnevale degenerano tra i ragazzi a livello di consumo di alcol.“, steht dort auf der Titelseite zu lesen.
Und es war wieder da!
Eines der Lieblingsthemen, das periodisch medial und politisch aufgekocht wird: Die Alkoholexzesse der Jugend. Die Medien schlagen Alarm und die Tugendwächter überbieten sich in Unverständnis und Sorge über die halbwüchsigen Komasäufer. Der Ruf nach der harten Hand wird wieder laut. Und natürlich braucht es weitere Verbote. Die Schuldigen sind schnell ausgemacht: die unverantwortlichen Organisatoren, der Terlaner Bürgermeister Klaus Runer und die Gemeindeverwaltung.
Denn laut Berichterstattung konnte nur mit viel Glück in Terlan eine Katastrophe verhindert werden.
Offiziell mussten 5 junge Leute spitalärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Bei 10.000 Besuchern ein Witz. Sowohl bei einer Papstmesse als auch bei jeden Landesschützenfest dürfte die Anzahl höher sein.
Schaut man sich die Vorgänge allerdings genauer an, so ergibt sich ein deutlich anders Bild.
Im vergangenen Jahr besuchten rund 5.000 Menschen den Terlaner Faschingsumzug. Heuer waren es gut doppelt so viele. Rund 10.000 zum Großteil junge Menschen feierten ausgelassen auf dem Hauptplatz und in den Gassen des Dorfes. Es waren zu viele, das ist klar. „Wir waren überfordert“, sagt Bürgermeister Klaus Runer offen, „aber gemeinsam haben wird das Fest ordentlich zu Ende gebracht“.
Offiziell mussten 5 junge Leute spitalärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Bei 10.000 Besuchern ein Witz. Sowohl bei einer Papstmesse als auch bei jeden Landesschützenfest dürfte die Anzahl höher sein. Nur da sagt niemand etwas. Schlimm ist immer nur die Jugend.
Natürlich haben die Jugendlichen übertrieben. Aber nochmal: Gehört das zum Erwachsenwerden nicht dazu? Wer nie übertrieben hat, der werfe das erste Glas.
Was einem aber wirklich den Fasching verderben kann, ist die politische Hinterfotzig- und Scheinheiligkeit, die hinter diesem Alarmruf steht.
Warum sind 10.000 jungen Menschen aus dem ganzen Land - von Niederdorf bis Mals und Sterzing - am Unsinnigen nach Terlan gepilgert? Die einleuchtende Erklärung sind die sozialen Medien. Über Facebook & Co hat sich die Nachricht viral verbreitet, dass man dort zu Techno ordentlich abtanzen kann.
Doch das ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit.
Der andere Teil der Wahrheit liegt an der repressiven, jugendfeindlichen Politik vieler Südtiroler Gemeinden. So hat man in Bozen seit längerem ein idiotensicheres Patentrezept, um solchen Ereignissen wie in Terlan vorzubeugen. In der Landeshauptstadt werden an diesen neuralgischen Faschingstagen ganz einfach alle Feste für Jugendliche verboten.
Der Besitzer des Batzenhäusl, Bobo Widmann, könnte ein ganzes Liederbuch davon singen. Ein paar Jahre lang hatte er am Unsinnigen Donnerstag nachmittags das Sudwerk für jungen Menschen geöffnet. Weil der Zulauf groß war und hundert Jugendliche in der Altstadt bereits als staats- und landesgefährliche Zusammenrottung angesehen werden, hat man den Wirt jahrelang mit absurden Vorgaben schikaniert, um am Ende die Lizenz zu verweigern.
Vielen anderen ging und geht es ähnlich. Die traditionelle Bozner Techno-Party zu Fasching musste deshalb heuer auch aussiedeln. Der „Electric Carnival“ mit 14 DJs fand in der Aurer Disco „Zoom“ statt.
In fast allen anderen Südtiroler Städten und Gemeinden hat diese Politik Schule gemacht. Man löst das Problem ganz einfach durch Verbote. Es ist ein zynisches Gedankengebäude, das sich dahinter verbirgt: aus den Augen, aus dem Sinn.
Den Gemeindeverwaltern ist der Applaus der Straße sicher. Denn Säufer, Pöbler und Massen sind in der Landeshauptstadt von Amts wegen nur während des Weihnachtsmarktes willkommen. Vielleicht noch beim Alpinitreffen. Dort gibt es natürlich weder Exzesse noch Bedenken.
Man löst das Problem ganz einfach durch Verbote. Es ist ein zynisches Gedankengebäude, das sich dahinter verbirgt: aus den Augen, aus dem Sinn.
Das ist der Grund, warum heuer 10.000 junge Menschen nach Terlan kamen. Weil die anderen Gemeinden ihre Verantwortung abschieben, den Kopf in den Sand stecken und beten, dass dieser Fasching an ihnen jugendexzessfrei vorübergeht.
Weil die Gemeindepolizei - oder besser gesagt die Polizei in der Gemeinde - die Treffpunkte junger Menschen in der Landeshauptstadt systematisch eingeschränkt hat, geht es an den Wochenenden am Obstmarkt zu wie auf der Rambla in Barcelona.
Genau das ist vor zwei Tagen auch in Terlan passiert. Zuerst treibt man alle zusammen, und danach wundert und beklagt man sich, wenn es dort aufgeht. Schon jetzt ist klar: Der Faschingsumzug in Terlan darf im nächsten Jahr nicht mehr stattfinden. Die jungen Menschen werden wieder einmal weitergeschoben.
Es ist eine heuchlerische Vorgangsweise, die auch den Wert zeigt, die die Jugend in unserer Gesellschaft hat.
Vielleicht ist aber genau das die Erklärung, warum sich mancher oder manche lieber ins Koma säuft.