Gesellschaft | Statistik

Italien ist nicht Südtirol

Wer gilt in Südtirol als armutsgefährdet? Weit weniger Menschen als das ASTAT belegt, sagen Daten aus dem WIFO. Was steckt dahinter?
briciole
Foto: Pixabay

“Das ist sehr wenig.” Horst Fuchs ist erstaunt. Als Mitarbeiter im ASTAT beschäftigt er sich unter anderem mit Armut. 17,1 Prozent der Südtiroler sind armutsgefährdet. Das hat Fuchs in der 2015 erschienenen ASTAT-Studie zur den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Haushalte festgestellt. Alle fünf Jahre führt das Landesstatistikinstitut diese Studie durch.
Doch die Zahl, mit der nun das Institut für Wirtschaftsforschung der Handelskammer (WIFO) aufwartet, lässt aufhorchen – und die Stirn runzeln: Vom Armutsrisiko betroffen waren demnach zwischen 2014 und 2016 nur 5,9 Prozent der Südtiroler Bevölkerung.
“Das ist tatsächlich sehr wenig”, wiederholt Horst Fuchs.

Da die Handelskammer die Daten mit der Schlagzeile “Wohlstand ist in Südtirol breit und gleichmäßig verteilt” versieht, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Wie kommt das WIFO auf seine Zahlen? Und weshalb unterscheiden sie sich derart von den Daten des Landesstatistikamtes?

 

Welche Gesamtbevölkerung?

Ein Blick auf die vom WIFO mitgelieferten Grafiken – eine zur Armutsgefährdung und einer zur materiellen Deprivation – verrät: Die Daten stammen aus der Erhebung EU-SILC. Die Europäische Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen wird seit 2003 durchgeführt, im Auftrag des europäischen Statistikinstituts Eurostat. Mittlerweile nehmen alle EU-Mitgliedsstaaten sowie die Schweiz, Norwegen, Island, die Türkei, Serbien und Mazedonien teil. Ziel der Erhebung ist, Armut und soziale Ausgrenzung im Blick zu behalten.

Ein Kernindikator von EU-SILC ist die Armutsgefährdungsquote: der Anteil der Personen an der Gesamtbevölkerung, der armutsgefährdet ist. Die Armutsgefährdungsquote erfasst somit jene Personen, die ein derart geringes Einkommen beziehen, dass sie Gefahr laufen, in die Armut abzugleiten. Um sie zu berechnen, wird das Einkommen herangezogen. Eine Person gilt als armutsgefährdet, wenn ihr Einkommen weniger als 60 Prozent des Medianäquivalenzeinkommens der Gesamtbevölkerung beträgt.

Darauf verweist die Handelskammer in der Aussendung am Montag Vormittag. Da aber auch das ASTAT denselben Indikator zur Berechnung der Armutsgefährdung verwendet, ist die Erklärung für die eklatant unterschiedlichen Daten – ASTAT: 17,1 Prozent der Südtiroler sind armutsgefährdet, WIFO: 5,9 Prozent – anderswo zu suchen. “Der Hauptgrund liegt mit Sicherheit in der Frage: Welches Medianäquivalenzeinkommen nimmt man? Jenes der EU? Von Italien? Oder Südtirol?”, sagt Horst Fuchs auf Nachfrage von salto.bz. Denn: “Armutsgefährdung ist relativ.”

 

Regional macht den Unterschied

Beim ASTAT hat man sich dafür entschieden, bei der Berechnung der Armutsgefährdungsquote Bezug auf das Medianeinkommen in Südtirol zu nehmen. Es war eine bewusste Entscheidung, erklärt Horst Fuchs: “Die Südtiroler Haushalte leben in einer Wohlstandssituation, die unterschiedlich ist zu jener italienweit. Entsprechend ist das gesamtstaatliche Medianeinkommen deutlich niedriger als jenes in Südtiol. Würden wir uns auf das gesamtstaatliche Medianeinkommen beziehen, würde dort auch das Einkommen aus Regionen mit deutlich weniger Wohlstand einfließen, zum Beispiel Kalabrien.” Was zur Folge hätte, dass ein Südtiroler in Südtirol und für die hiesigen Lebensverhältnisse als armutsgefährdet gilt, in Italien aber nicht.

Zur Veranschaulichung: Das Medianäquivalenzeinkommen lag 2013 italienweit bei 15.733 Euro, in Südtirol aber bei 19.800 Euro. Italienweit galten 2013 also all jene Personen als armutsgefährdet, die weniger als 9.439,80 Euro (60 Prozent von 15.733 Euro) an Einkommen hatten. In Südtirol hingegen all jene mit weniger als 11.880 Euro (60 Prozent von 19.800 Euro). Jene Personen, die zwischen 9.439,80 und 11.880 Euro verdienten, galten auf gesamtstaatlicher Ebene nicht als armutsgefährdet – in Südtirol schon.

Auch das ASTAT verweist in der Publikation zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Haushalte in Südtirol darauf: “Setzt man die Einkommen der Südtiroler Haushalte mit dem Südtiroler Medianeinkommen in Beziehung, erhält man einen bestimmten Anteil armutsgefährdeter Haushalte. Setzt man hingegen die Einkommen der Südtiroler Haushalte mit dem gesamtstaatlichen (italienischen) Medianeinkommen – welches niedriger ist als jenes in Südtirol – in Beziehung, so reduziert sich dieser Anteil deutlich.”
Und genau das ist im Falle der WIFO-Daten passiert.

 

Keine Schere?

“Wir haben immer wieder festgestellt, dass es zwischen unseren und den Daten von EU-SILC große Schwankungen gibt”, erklärt Horst Fuchs, “da die eigentlich auf nationale Gegebenheiten ausgelegt sind und auch die Stichproben entsprechend klein sind”. Tatsächlich liefert das nationale Statistikinstitut ISTAT mit einer eigener Erhebung die Daten für EU-SILC. Und ein Blick in die nach Regionen aufgeschlüsselten Daten erklärt, wie das WIFO auf seine  Armutsgefährdungsquote, die immerhin um 11,2 Prozentpunkte niedriger ist als jene des ASTAT, gekommen ist: Der Durchschnittswert der Quote bei Eurostat zwischen 2014 und 2016 ist 5,9 Prozent.

Dass diese Zahl aber nicht besonders aussagekräftig ist, bestätigt das ISTAT selbst. Immer wieder wird in den jährlichen ISTAT-Veröffentlichungen zu Armut und Ungleichheit darauf hingewiesen, dass die Stichprobe für Südtirol besonders klein sei oder gar so klein, dass sich kein signifikanter Wert ergeben habe.
Das bestätigt: “Armutsgefährdung ist relativ”, betont Horst Fuchs. Und damit auch die Aussagen, die damit verbunden werden.

Das Armutsrisiko im Vergleich zu Deutschland, Österreich und auch Tirol niedriger und Südtirol positioniere sich mit einem Anteil von 5,9 Prozent “unter den europäischen Regionen mit einer besonders ausgeglichenen Wohlstandsverteilung”, so die Meldung aus der Handelskammer. Falsch ist die Aussage nicht. Aber sie verzerrt dennoch das Bild vom Wohlstand und wie er in unserem Land verteilt ist.
“Südtirol unterscheidet sich hinsichtlich der Lebensverhältnisse sowie auch der Lebenshaltungskosten deutlich von der Gesamtheit der restlichen italienischen Regionen”, unterstreicht Fuchs. Und wer sich in Südtirol schwer tut, mit seinem Einkommen bis ans Monatsende zu kommen, dem nützt auch das Wissen nichts, statistisch in Italien nicht zu jenen zu zählen, die armutsgefährdet sind.

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Alois Abart Mi., 14.02.2018 - 22:37

ich glaube nur Statistiken die ich selbst gefälscht habe.
Ich habe eine Süditalienerin gut gekannt. Sie hat mir immer erklärt, dass sie dort normalerweise, (wenn man eine Arbeit bekommen will) Part-time angestellt sind. Fast immer im Gastgewerbe und Handel. Jedoch in Wirklichkeit immer den normalen Vollzeitturnus arbeiten. Den Rest gibt`s dann immer "auf die Hand". Einmal, damit der Betrieb Abgaben spart, zum Zweiten weil dann der/die Angestellte wenig verdient und dem Sozialamt und den "Gestori" Minderverdienerskonti geltend machen kann.
Hier in Südtirol, wer in der Gastronomie arbeitet, verdient beispielsweise lt. Lohnzettel 1150 €, 2000 € bekommt er aber auf die Kralle.
Statistik eben!

Mi., 14.02.2018 - 22:37 Permalink