Wenn am Sonntag in Italien gewählt wird, gibt es nur eine Gewissheit: die Wahl wird die notorische Instabilität der italienischen Politik nicht beseitigen. Die seit 1975 ständig sinkende Wahlbeteiligung wird einen neuen Tiefpunkt erreichen.
Bis zu 17 Millionen Italiener könnten am Sonntag zuhause bleiben und der Demokratie damit weiteren Boden entziehen. Der Wahlgang markiert die wachsende Distanz zwischen Bürgern und Parteien in einem politisch und ideologisch gespaltenen Land, in dem die Balkanisierung der Politik unaufhaltsam scheint.
Italien hat in 70 Jahren 65 Regierungen verheizt. Die Logik würde daher die Entführung eines Wahlrechts gebieten, das die Regierbarkeit gewährleistet und bei dem die Bürger am Wahlabend wissen, wer das Land fünf Jahre regiert. Doch das genaue Gegenteil trifft zu.
Die Mehrheit des Parlaments hat sich für ein bizarres Wahlrecht entschieden. Das Ergebnis: die nächste Regierung könnte nach jenen von Monti, Letta, Renzi und Gentiloni die fünfte in Folge sein, die nicht vom Volk gewählt wird, sondern nach langem Feilschen im Parlament entsteht. Das erhöht die Distanz zwischen Wähler und der Gaukelwelt der Parteien.
Während in anderen Ländern Parteien wie Sozialisten, Liberale oder Christdemokraten über 100 Jahre alt sind, dreht sich in Italien das Karussell unaufhörlich. War bis vor kurzem die Lega Nord die älteste im Parlament vertretene Partei, so ist sie es nach der Absage Salvinis an das territoriale Prinzip der Padania nicht mehr. Die Schlägerein, Strassenkämpfe und regelrechten Guerilla-Szenen der vergangenen Wochen zwischen rechten Ultras wie Forza nuova und Casapound und militanten Linken waren Begleiterscheinungen eines Wahlkampfs, der sich fast ausschliesslich im Fernsehen und Internet abgspielte und der von surrealen Wahlversprechen dominiert war. Steuersenkungen im Gesamtumfang von über 150 Milliarden Euro wurden in Aussicht gestellt.
Der Populismus feierte dabei fröhliche Urstände. Mit Rosenkranz und Bibel in erhobenen Händen kürte Lega-Chef Matteo Salvini das Evangelium zum politischen Wegweiser - zur Verärgerung des Mailänder Erzbischofs. Silvio Berlusconi will die Wahl bei ergebnislosem Ausgang sofort wiederholen - bei vorheriger Verabschiedung eines neuen Wahlrechts.
Kernfrage bleibt, ob ein politisches Lager die 40 Prozent-Marke überschreiten kann.
Mit Casa Pound könnte eine faschistische Partei ins Parlament einziehen, die Benito Mussolini als grossen Staatsmann verehrt. Als sicher gilt eine erhebliche Stärkung der Fünf-Sterne-Bewegung, die vor allem im Süden erheblich zulegen dürfte. Sollte das Rechtsbündnis eine Mehrheit erzielen, dürfte die Koalition zwischen Berlusconi und seinen ultrarechten Partnern Salvini und Meloni wegen interner Divergenzen kaum lange halten und bei der EU auf erheblichen Widerstand stossen. Erwartet wird auch eine erhebliche Schwächung des Partito Democratico, dessen Parteichef Matteo Renzi vorsichtshalber bereits seinen Verbleib im Amt angekündigt hat. Als sicher gilt der Einzug der Europa-Liste von Emma Bonino ins Parlament.
Seit Wochen spielen Italiens Medien alle surrealen Regierungsmöglichkeiten durch - von den maggioranze provvisorie über die larghe intese bis hin zum esecutivo sovranista Lega-M5S und zum governo di scopo.
Kernfrage bleibt, ob ein politisches Lager die 40 Prozent-Marke überschreiten kann. Andernfalls liegt das Schicksal Italiens in den Händes des integren Staatspräsidenten, der auch eine institutionelle Regierung beauftragen könnte.
Oder eine Übergangsregierung mit ganz bestimmten Aufgaben - etwa der Vorlage eines neuen Wahlrechts, das Mehrheitsbildung und Regierbarkeit garantiert. Ob am Montagmorgen ein verlässliches Endergebnis vorliegt, darf angesichts des komplizierten Auszählungsmodus bezweifelt werden.