Gesellschaft | Medien

"Fake News leben von Emotion"

Warum werden Falschmeldungen so leicht geglaubt, welche gesellschaftlichen Auswirkungen haben sie und was können wir dagegen tun? Antworten der Autorin Ingrid Brodnig*.
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Foto: Ingo Pertramer/Brandstätter Verlag

Salto.bz: Frau Brodnig, Lügen im Netz gibt es viele. Haben Sie ein Beispiel für eine, die besonders gut zeigt, wie Fake News funktionieren?
Dazu fällt mir der erfolgreichste Artikel auf Facebook im deutschsprachigen Raum zum Thema Flüchtlinge im Jahr 2017 ein. Das war eine kurze Meldung mit dem Titel „700 Euro Weihnachtsgeld für Flüchtlinge.“ Natürlich eine komplette Erfindung, die aber dennoch 180.000 Kommentare, Likes und Shares ausgelöst hat. Das ist ein klassisches Beispiel, weil es eigentlich leicht durchschaubar gewesen wäre. Mit ein bisschen Aufmerksamkeit hätte jeder herausfinden können, dass diese Meldung nicht stimmt.

Wie?
Zum Beispiel, indem man auf die Seite geht, auf der die Meldung veröffentlicht wurde. Ganz unten steht dort der Hinweis: Alle Artikel auf dieser Seite sind erfunden und es handle sich hier nur um Witze – auch wenn viele diese erfundenen Meldungen gar nicht lustig sind. Es ist sehr bezeichnend, dass eine solch unseriöse Meldung, die nur aus einer knackigen Überschrift und ein paar Zeilen bestand, so gut funktioniert.

Welche Mechanismen werden dabei deutlich?
Es zeigt eben, dass wir Internetnutzer oft nur sehr oberflächlich Information scannen: Man scrollt auf Facebook nach unten und überfliegt eine Überschrift nach der nächsten. Und wir wissen zum Beispiel, dass einige Menschen Meldungen kommentieren oder sogar teilen, ohne sie überhaupt gelesen zu haben.

Also, Internet wird hastig genutzt...
Genau. Ein weiterer Mechanismus, der eine große Rolle spielt, ist die Wut, die solche Meldungen hervorrufen. Denn die Menschen fragen sich natürlich: Warum krieg ich nicht 700 Euro zu Weihnachten? Und das ist ein wichtiger Trick, wie Falschmeldungen funktionieren. Sie versetzen Menschen in Rage, in Wut. Dann teilen sie vieles, dann sind sie sehr gesprächsfreudig. Wut ist eine sehr geschickte Emotion, um Klicks zu ernten.

Wut oder generell starke Gefühle?
Falschmeldungen funktionieren generell gut über Emotionen. Das können auch schockierende Meldungen sein, wie zum Beispiel, dass rund um einen See Hunde vergiftet werden. So etwas teilen Menschen.

Doch Wut versetzt dem Ganzen noch einmal einen Turbo?
Wut ist eine besonders aktivierende Emotion, mit der die Viralität von Meldungen noch einmal extra gesteigert werden kann. Das haben auch wissenschaftliche Auswertungen gezeigt. Zum Beispiel wurden die Artikel der New York Times analysiert, die LeserInnen dort per Klick auf der Webseite weitermailen können. Und Artikel, die Wut generierten, hatten laut den Wissenschaftlern eine um 34 Prozent höhere Chance weiter gemailt zu werden.

"Das größte und schwerwiegendste Problem sehe ich darin, dass Falschmeldungen die Bruchlinien in unserer Gesellschaft verstärken."

Good News fallen dagegen durch?
Nein, Meldungen, die positive Gefühle erzeugen, waren überhaupt am erfolgreichsten. Doch gerade in der politischen Debatte ist es leichter, Wut zu säen als große Freude.

Sie sind ja mittlerweile Spezialistin in diesem Bereich, haben Bücher zum Thema geschrieben, wie zuletzt  2017 den Titel „Lügen im Netz - Wie Fake News, Populisten und unkontrollierte Technik uns manipulieren.“ Wie fasziniert Sie am Thema Fake News, warum haben Sie sich darauf spezialisiert?
Begonnen hat das Ganze mit den Hasskommentaren. Ich war als Journalistin auf den Bereich Digitales spezialisiert und da hat mich einfach interessiert, warum es im Internet so viel Wut gibt, warum wir so viele Debatten erleben, die entgleisen. Meine ersten zwei Bücher habe ich dann auch diesem Thema gewidmet. Mit der Flüchtlingsdebatte wurde dann aber auch offensichtlich, dass sehr viel Wut eine Folge von Falschmeldungen ist. Menschen lesen eine Falschmeldungen, werden in Rage versetzt und dann posten sie unglaubliche Dinge, bis hin zum strafbaren Hasskommentar. Und deshalb habe ich dann begonnen, mich auch mit Falschmeldungen auseinander zu setzen.

Wie groß ist das Phänomen Fake News in Österreich mittlerweile?
Es hat in den letzten Jahren zugenommen. Einerseits rund um das Thema Flüchtlinge, aber auch rund um Wahlen...

Wie zuletzt bei den österreichischen Nationalratswahlen demonstriert wurde....
Ja. Auch wenn wir ein kleines Land sind, hinken wir anderen keineswegs nach, was die Gehässigkeit im Internet betrifft. Diesbezüglich ist Österreich sehr modern. Auch Italien ist übrigens nicht ohne. In italienischen Wahlkämpfen gab es immer wieder immense Falschmeldungen, die große Reichweite erzielten. In den vergangenen Jahren konnte man generell beobachten, dass in überhitzten und emotionalen Wahlkämpfen besonders viele Falschmeldungen auftreten.

Von Seiten der Medien oder anderer Kanäle?
In Europa sind komplette Erfindungen, also 100-prozentige Fake News, eher die Seltenheit. Die kommen dann von einschlägige Seiten im Internet, die äußerst unseriös sind. Das größere Problem sind aber Halbwahrheiten. Also Geschichten, die zumindest teilweise einen wahren Kern haben, der aber dann mit sehr viel Falschem aufgeladen wird. Solche Geschichten kommen beispielsweise zum Teil auch von den Boulevardmedien. Ich erinnere mich an eine ältere Geschichte der Bild-Zeitung. Dort wurde berichtet, dass die Rettungskräfte jetzt wegen Flüchtlingen schon Schutzwesten tragen müssen.

Tatsache war aber...?
... dass sie zwar Schutzwesten trugen, doch vor allem deswegen, weil sie so oft mit aggressiven und beispielsweise alkoholisierten Menschen konfrontiert waren. Es wäre also falsch zu sagen, dass irreführende Meldungen nur von neuen Internetseiten kommen. Ein Teil des Problems stammt auch aus dem klassischen Journalismus.

Der mittlerweile immer häufiger von Klicks lebt.
Ja, und je mehr sich ein Medium an Klicks orientiert, desto eher neigt es dazu, Geschichten zuzuspitzen oder lieber nicht zu viel nachzurecherchieren. Eine Sorte leicht irreführender Geschichten, die auch im klassischen Journalismus weit verbreitet ist, sind Artikel, deren Titel nicht ganz zum Inhalt des Textes passt. Jeder kennt das, manchmal liest man etwas, und die Überschrift ist total spektakulär...

...doch im Artikel selbst liest es sich dann ganz anders.
Ein Beispiel, das mir dazu einfällt: Bei uns hat die Kronen-Zeitung einmal berichtet, dass die Grünen gegen den Christbaum seien. Zitat: „Unzeitgemäßes Ritual“. Diese Geschichte ist im Internet richtig abgegangen. Doch was war dran? Nichts. Erstens ging es nicht um die österreichischen Grünen, sondern um die Grünen in Düsseldorf. Und zweitens haben die nicht das Ende des Christbaums gefordert, sondern vorgeschlagen, jedes Jahr eine lebende Tanne zu schmücken statt extra einen Baum umzuschneiden. Aber so etwas funktioniert eben irre gut, weil die meisten Menschen den Artikel selbst ohnehin nicht gelesen haben und wütend gepostet haben: „Nein, die Grünen gehören abgeschafft“ oder „Jetzt nehmen uns die Muslime auch noch den Christbaum weg.“

"Was mich immer wieder beeindruckt ist, wie schnell wir auf Falschmeldungen hereinfallen. Auch ich. Gefährdet sind wir dabei vor allem bei solchen Meldungen, die gut zu unserem Weltbild passen."

Das fällt dann wohl schon unter bewusste Manipulation. 
Das Problem ist, dass man schon davon ausgehen muss, dass manche Redaktionen wissen, was sie da machen. Doch im Zweifelsfall entscheiden sie sich für die härtere Headline, weil sie mehr Klicks bringt.

Und so wachsen immer mehr WutbürgerInnen heran?
Problematisch wird es vor allem, wenn Menschen wiederholt ähnliche Falschmeldungen hören. Je öfter ich etwas Falsches höre, desto plausibler klingt es. Das haben Wissenschaftler bereits in den Siebziger Jahren herausgefunden.

Doch 2018 ist die Wahrscheinlichkeit, öfter etwas Falsches zu hören, eindeutig gestiegen.
Vor allem, wenn man viele unseriösen Seiten online abonniert hat. Und so glauben Menschen zuweilen richtig skurrile Dinge. Da gab es die Geschichte, dass Mitarbeiter von Hillary Clinton im Keller eines Pizzalokals einen Kinderpornoring betreiben würden. Dieser Fake während des US-Wahlkampfs hat dazu geführt, dass ein junger Amerikaner mit einem Sturmgewehr in diese Pizzeria gelaufen ist und dort Schüsse abgefeuert hat, um die Mädchen zu befreien. Nur dass er dann gesehen hat, dass es dort keinen Kinderpornoring und nicht einmal einen Keller gibt.

Wohin führt uns das alles?
Ich würde sagen, Falschmeldungen haben drei Schattenseiten. Sie können Wahlen überschatten. Also, ein Kandidat, über die oder den extrem viel Falsches verbreitet wird, muss deshalb nicht zwingenderweise verlieren. Aber sie oder er muss in jedem Fall viel Zeit in die Aufklärung von Falschem investieren und das raubt Kräfte, die anderswo besser eingesetzt werden könnten.

Und die anderen beiden Schattenseiten?
Falschmeldungen zielen besonders oft auf Minderheiten ab, sprich, sie schüren zusätzlichen Hass gegenüber solchen Gruppen. Das größte und schwerwiegendste Problem sehe ich drittens darin, dass Falschmeldungen die Bruchlinien in unserer Gesellschaft verstärken. Denn sie zielen oft auf Themen ab, die ohnehin schon für Streit sorgen, wie Flüchtlinge, Religion, im speziellen der Islam... Durch Falschmeldungen wird es noch schwieriger, sachliche Diskussionen zu solchen Themen zu führen. Das heißt, sie haben ein spaltendes Potential in einer ohnehin schon erhitzten Zeit.

"Das Schöne ist, dass das Internet auch eine Art Selbstreinigungskraft hat. Es gibt zwar unseriöse Akteure oder unfaire Zeitgeister, die das Web zur Manipulation nutzen. Wir sehen aber auch, dass es eine Gegenbewegung gibt, dass User von selbst versuchen, solchen Meldungen hinterher zu recherchieren oder selbst Fakten-Checker-Websites starten. Das heißt, wir können im Internet das Hässlichste und das Grausamste sehen, aber oft auch das nobelste und schönste am Menschen erkennen."

Müssen wir uns dem ergeben?
Nein. Mir ist es sogar sehr wichtig aufzuzeigen, dass jede und jeder etwas dagegen tun kann – und zwar mindestens zwei Sachen. Erstens kann man einfach geschickter werden, auf Desinformation nicht hineinzufallen. Wenn mehr Bürger rechtzeitig erkennen, dass sie gerade manipuliert werden und solche Fakes nicht teilen, ist schon viel erreicht. Und das Zweite ist mehr Effizienz in der Aufklärung.

Wie kann das funktionieren?
Falschmeldungen leben wie gesagt von Emotion. Und wenn ich nun merke, dass mich eine Meldung sehr aufregt, dass ich emotional stark darauf aufspringe, dann sollten wir das als Warnsignal sehen. Also innehalten und fragen: Moment, was lese ich da gerade, ist das seriös? Denn eine starke Emotionalisierung kann ein Hinweis darauf sein, dass man gerade manipuliert wird. Und wenn wir geschickter im Erkennen sind, können wir auch geschickter in der Aufklärung solcher Falschmeldungen werden. Und zwar vor allem, indem wir die richtigen Fakten in Erinnerung rufen.

Haben Sie ein Beispiel dafür?
Nehmen wir Donald Trump und seine Behauptung, dass Medien, die er nicht mag, Fake News bringen. Die erste Reaktion vieler Medien ist dann zu sagen: Nein, wir bringen keine Fake News.  Und eigentlich wiederholen sie damit nur das Gleiche...

Doch mit einem Nein davor....
Effizienter ist aber die richtige Information hervorzuheben und sie auch einzuordnen. In dem Fall zum Beispiel: Nein, bei Präsident Trump ist vielmehr auffällig, dass er selbst oft die Unwahrheit sagt, es ist auffällig, dass er ein zutiefst problematisches Medienverhältnis hat. Es ist wichtig, nicht nur Falsches zu verneinen, sondern auch einen Kontext zu liefern. In dem Fall zum Beispiel zu sagen: Das eigentliche Problem ist ein Präsident, der ein zutiefst rüpelhaftes Verhalten gegenüber Medien hat.

Ist eine solche Aufklärung vor allem Aufgabe der Medien oder wünschen Sie sich diesbezüglich das Engagement aller BürgerInnen?
Ich denke, die größte Aufgabe haben die Medien. Doch auch jeder Bürger kann etwas machen, wenn ihn diese Entwicklungen beunruhigen. Und oft sind es auch wirklich normale BürgerInnen, die uns JournalistInnen weiterhelfen. Zum Beispiel mit Fact-Checking-Websites, die vielfach außerhalb von Medien gestartet werden, wie Mimikama.at, das ist die wichtigste Fact-Checking-Seite im deutschsprachigen Raum. Sie wurde von normalen Bürgern, die ursprünglich gar keine Journalisten, waren, ins Leben gerufen.

Das heißt es gibt auch Gegenkräfte gegen solch negative Entwicklungen.
Ja, das Schöne ist, dass das Internet auch eine Art Selbstreinigungskraft hat. Es gibt zwar unseriöse Akteure oder unfaire Zeitgeister, die das Web zur Manipulation nutzen. Wir sehen aber auch, dass UserInnen von selbst versuchen, solchen Meldungen hinterher zu recherchieren oder eben selbst Fakten-Checker-Websites starten. Das heißt, wir können im Internet das Hässlichste und das Grausamste sehen, aber oft auch das nobelste und schönste am Menschen erkennen.

Was hat Sie selbst bei Ihren vielen Recherchen zu dem Thema am meisten überrascht oder berührt?
Was mich immer wieder beeindruckt ist, wie schnell wir auf Falschmeldungen hereinfallen. Auch ich. Gefährdet sind wir dabei vor allem bei solchen Meldungen, die gut zu unserem Weltbild passen. Den Hintergrund dafür nennt man „motiviertes Denken“. Das heißt, man ordnet Fakten immer danach ein, ob sie einem gut ins Konzept passen. Ich kann mich zum Beispiel an einen Satire-Text des Portals Tagespresse erinnern. Die haben eine Geschichte gemacht, dass die Kirche ein neues Maskottchen namens Keuschi das Känguru gemacht hat.

Und Keuschi plädiert für Enthaltsamkeit?
Genau. Konkret dafür, dass Jugendliche enthaltsam leben sollen. Das hat so gut zu meinem Bild von der Kirche gepasst, dass ich im ersten Moment daran geglaubt habe. Und das ist bei jedem gleich, egal wie man die Welt sieht. Es ist diese Emotion und das eigene Weltbild, die es dann so einfach machen, Falsches zu glauben.

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Die kleine Nac… Mo., 19.03.2018 - 13:42

Sehr guter Artikel!
Er regt mit recht zur kritischen Betrachtung unserer täglich "inhalierten" Informationen an. Dabei würde ich den Focus nicht nur speziell aufs Netz setzen, das Problem besteht gleichermasen bei Print, TV und Radio, sowie Busfahrer und Friseur News ;) Jeder Informationsverbreiter hat seine Interessen und bedient sich der bekannten psychologischen Tricks um seine Weisheiten an den Mann zu bringen.

Mo., 19.03.2018 - 13:42 Permalink
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Markus Lobis Mo., 19.03.2018 - 14:16

Sehr interessant und auch schön rund, in dem Sinne, dass nicht nur die Problematik aufgezeigt und eine kulturpessimistische Grundstimmung geschürt wird, wie wir das leider oft erleben, sondern auch Lösungsebenen aufgezeigt und die in den Neuen Medien angelegten Selbstheilungskräfte thematisiert werden.

Im Übrigen vertrete ich die Auffassung, dass Fake News keine Erscheinung unserer Zeit sind - im Gegenteil! Heute werden sie schneller aufgedeckt.

Mo., 19.03.2018 - 14:16 Permalink