Chronik | Tenti-Prozess

Backdoor Man

Im Prozess gegen Katia Tenti und Antonio Dalle Nogare wird ein Stück System Südtirol offengelegt. Eine zentrale Rolle bei dieser Offenlegung spielt die digitale Forensik.
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Foto: upi
Es war eine Art lectio magistalis. Über drei Stunden lang redete Alessandro Fontana am Montag in der Aula des Bozner Landesgerichts über sein Spezialgebiet: Digitale Forensik. Es handelt sich dabei um ein Teilgebiet der Kriminaltechnik, das in Gerichtsverfahren immer zentraler wird. Die Untersuchung von verdächtigen Vorfällen im Zusammenhang mit IT-Systemen und der Feststellung des Tatbestandes und der Täter durch Erfassung, Analyse und Auswertung digitaler Spuren.
Alessandro Fontana ist der IT-Spezialist der Carabinierisondereinheit ROS. Der Inspektor hatte eine zentrale Funktion im Rahmen der Ermittlungen, mit denen vor Jahren in Südtirol der SEL-Skandal aufgedeckt wurde. Er ist federführend an den Ermittlungen der Bozner Staatsanwaltschaft zu den Manipulationsvorwürfen um die Doping-Proben des Olympiasiegers Alex Schwazer beteiligt. Und er spielt im Gerichtsverfahren gegen die ehemalige Ressortdirektorin Katia Tenti und den Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare, das derzeit vor dem Bozner Landesgericht über die Bühne geht, eine entscheidende Rolle.
 

Der Prozess

 
In diesem Strafverfahren geht es um den Vorwurf, Katia Tenti, die höchste Beamtin im Wohnbau-Assessorat von Christoian Tommasini habe ihrem damaligen Partner, dem Bozner Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare, interne Informationen des Amtes und des Wohnbauinstitutes zukommen lassen, sodass dieser Ausschreibungsunterlagen abändern und seine Unternehmen Ausschreibungen in Millionenhöhe gewinnen konnten.
Doch das laufende Verfahren ist viel mehr. Nicht erst am Montag wurde im Gerichtssaal ein Stück des Systems Südtirol offengelegt. Es geht in diesem Prozess um Privatinteressen, Druck auf öffentliche Beamte, honorige SVP-Politiker, die als Anwälte bei Landesstellen intervenieren und eine Seilschaft zwischen Wirtschaft, Politik und Verwaltung, die sich - laut Anklage - die Dinge so zurechtlegt, dass sie den höchsten Gewinn macht. In diesem Verfahren wird ein System offengelegt, das in Südtirol nicht erst seit diesem Fall praktiziert wird. Auffallend dabei: Es ist nicht eine deutsche oder italienische Gruppe, sondern die vermeintlich unlauteren Machenschaften sind sprachgruppenübergreifend.
 
Alessandro Fontana und sein ehemaliger Vorgesetzter, ROS-Kommandant Michael Senn, haben die Ermittlungen in diesem Verfahren geleitet. Sie sind der Alptraum jeder Verteidigung. Hört man Fontana an diesem Vormittag im Zeugenstand zu, versteht man warum.
 

Durch die Hintertür

 
Alessandro Fontana spricht konzentriert und sachlich. Vor allem aber versucht der IT-Experte komplizierte technische Sachverhalte so darzulegen, dass sie der Richtersenat und auch die Laien im Saal verstehen.
Fontana schildert minutiös die Ermittlungen gegen das Duo Tenti-Dalle Nogare und gibt damit einen seltenen Einblick in die Methoden der Sondereinheit ROS, deren Haupteinsatzgebiet eigentlich der Terrorismus und die organisierte Kriminalität sind.
Bei mehreren Haus- und Bürodurchsuchungen beschlagnahmen die ROS-Beamten im Frühjahr 2013 auch das Mobiltelefon von Katia Tenti und einen Macpro-Laptop, der Antonio Dalle Nogare gehört, aber von Tenti genutzt wird.
Als man die Geräte den Besitzern wieder zurückgibt, hat Fontana einige unsichtbare Veränderungen vorgenommen. Der IT-Spezialist installiert - mit der Staatsanwaltschaft abgesprochen und gerichtlich genehmigt - sowohl auf Tentis Handy als  auch auf Dalle Nogares Laptop sogenannte Backdoors. Ein Backdoor ist eine Software, die es ermöglicht, unter Umgehung der normalen Zugriffssicherung Zugang zu einem Computer oder den sonst geschützten Funktion eines Computers zu erlangen.
Man steigt sozusagen durch die Hintertür in den Computer ein. Backdoors werden meistens zusammen mit sogenannten Trojanern installiert. Programme, die als Anwendung getarnt sind, in Wirklichkeit aber etwas ganz anderes machen, ohne dass es der Benutzer merkt.
Der IT-Fachmann installiert je eine solche Backdoor auf dem Handy Tentis und auf dem Laptop. Die Verteidiger der Angeklagten werden später in der Voruntersuchungsphase vor Gericht versuchen, den Einsatz dieser technischen Mittel für nicht zulässig erklären zu lassen. Die Kassation gibt aber den Ermittlern und dem Bozner Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante recht, der in diesem Fall die Anklage vertritt. Der Einsatz der Backdoors und der Trojaner sei rechtens. Damit können auch die dadurch gewonnen Erkenntnis in den Prozess einfließen.
 

Dokumente auf Reisen

 
Die Backdoors im Handy und im Laptop aktivieren heimlich das Mikrophon und schneiden alles mit, was im Umfeld gesprochen wird. Die Files werden automatisch an den Server der Ermittler geschickt und dort gespeichert. So erfahren die Ermittler in Echtzeit, was die beiden Angeklagten reden und tun.
Etwa als Katia Tenti den beschlagnahmten Computer ihrem Ex-Ehemann zeigt, der technisch versiert ist. Die Ermittler hören dabei die Befürchtung der Landesbeamtin, man habe ihr einen Trojaner in den Computer eingebaut. Es ist ihr Ex-Mann, der hier abwiegelt. Nein, so wichtig sei sie nicht.
Katia Tenti und Antonio Dalle Nogare sind ab einem gewissen Zeitpunkt dennoch besonders vorsichtig. Ob sie konkret gewarnt wurden, ist nicht klar. Jedenfalls gehen beide ab einem gewissen Zeitpunkt davon aus, dass sie von den Ermittlern abgehört werden.
 
Im August 2013 kommt es dann zu jener strafbaren Weitergabe von Dokumenten, um die es in diesem Prozess primär geht. Alessandro Fontana zeichnet im Gerichtssaal den Weg der Dokumente detailliert nach. Das Wohnbauinstitut übermittelt an den zuständigen Amtsdirektor Wilhelm Palfrader den Entwurf für die Ausschreibung von 100 Mittelstandswohnungen in Bozen/Reschenstraße. Palfrader leitet den Entwurf umgehend an seine Vorgesetzte Tenti weiter. Die Ressortdirektorin schickt den Ausschreibungstext von ihrer Amtsadresse auf ihren privaten Email-Account. Wenig später lädt Tenti den Ausschreibungstext dann auf den Dalle-Nogare-Laptop herunter. Von dort wird das Dokument auf einen Stick kopiert und am Firmensitz Dalle Nogares mehrmals ausgedruckt.
Einige Wochen später wird der Ausschreibungstext dann von Tenti an die zuständigen Ämter retourniert. Mit entscheidenden Änderungen, die allesamt zum Vorteil des privaten Bauunternehmers sind.
 

Die Fotos

 
Den Ermittlern gelingt es durch die moderne Abhörtechnik aber in Echtzeit mitzuverfolgen, wer diese Änderungen durchgeführt hat - und wie.
Alessandro Fontana legt im Zeugenstand dabei Fakten auf den Tisch, die deutlich machen, wie ausgeklügelt das Duo Tenti/Dalle Nogare vorgegangen ist. Weil beide die Befürchtung haben, abgehört zu werden, trifft man sich im Porsche Cayenne Dalle Nogares. Der Laptop wird eingeschaltet und das Liebespaar tut so, als würde man Urlaubsfotos anschauen. Beide unterhalten sich lautstark über die Fotos, die man angeblich gerade betrachtet. Weil sowohl das Handy als auch der Computer als Wanze funktionieren, wird dieses Gespräch gleich zweimal von den Ermittlern mitgeschnitten. Am Montag wird im Gerichtssaal eine Kostprobe dieser Abhörungen vorgespielt.
Es ist der eindeutige Versuch der beiden Angeklagten, die mithörenden Ermittler in die Irre zu führen. Denn beide rechtfertigen sich in den Verhören später damit, dass man nur Fotos angeschaut habe.
In Wirklichkeit aber gehen Tenti und Dalle Nogare im Porsche Cayenne zu diesem Zeitpunkt den noch absolut geheimen Ausschreibungstext durch und bringen gemeinsam eine Reihe von Änderungen an.
Der Bluff wäre wahrscheinlich aufgegangen.
Doch Katia Tenti und Antonio Dalle Nogares Pech heißt Alessandro Fontana. Der IT-Fachmann ist es gewohnt, solche Ermittlungen nicht nur doppelt, sondern wenn möglich dreifach abzusichern.
Fontana hat deshalb in den Laptop eine zweite Backdoor eingebaut. Es ist ein Programm, das unbemerkt alle zwei Sekunden einen Screenshot des Computers vornimmt - eine Abbildung des Bildschirms, die auch offenbart, welche Programme in ebendiesem Moment laufen. Diese Screenshots werden automatisch an den Carabinieriserver geschickt.
So kann der ROS-Beamte im Gerichtssaal exemplarisch nicht nur aufzeigen, wie die beiden Angeklagten den Ausschreibungstext verändert haben, sondern auch den Ablenkungsversuch.
 
Tenti und Dalle Nogare verwenden dabei den Foto-Code ganz bewusst. So hören die Ermittler mit, wie sie erklären, sie müssten dringend den Fotografen anrufen. Erst als dieser Anruf erfolgt, wird den Ermittlern klar, wer der angebliche Fotograf in Wirklichkeit ist: Tentis Anwalt Carlo Bertacchi.
Weil Gespräche zwischen Personen, die unter Ermittlung stehen, und ihren Anwälten nicht abgehört werden dürfen, werden diese Teile der Abhörungen später aus den Prozessakten genommen.
 

Parlamentarische Intervention

 
Alessandro Fontana und seine Mitarbeiter stellen mit einer besonderer Software aber auch Terabytes von Daten wieder her, die bewusst gelöscht wurden.
Als man den Server im Unternehmen Dalle Nogare beschlagnahmt, merkt der IT-Fachmann bei der Auswertung, dass rund zwei Jahre an Mails im Account fehlen. Die ROS-Beamten kehren einen Tag später in das Unternehmen zurück und finden auf dem Balkon einen Server, der mutwillig zertrümmert wurde.
Die ROS-Beamten stellen fest, dass der Server am Tag der Hausdurchsuchung kurzerhand vom Stromnetz genommen wurde. Auch hier gelingt es Fontana, den Großteil der Daten wieder herzustellen.
Dabei findet man auf diesem Server, aber auch auf Tentis Computer eine Vielzahl von Mails, in denen die Ressortdirektorin Amtsgeheimnisse und Informationen in anderen Fällen an den Bauunternehmer weitergeben hat.
Zudem stellt man auch die gelöschten SMS in Dalle Nogares I-Phone wieder her. Dabei kommt ein brisanter SMS-Verkehr zwischen Antonio Dalle Nogare und seinen Anwalt zu Tage. Es handelt sich dabei um keinen Geringeren als den SVP-Parlamentarier Manfred Schullian.
Damit das Geschäft mit den 100 Wohnungen durchgeht, braucht es ein positives Gutachten der Landesraumordnungskommission. Katia Tenti übermittelt Antonio Dalle Nogare zeitgerecht das Einsetzungsdekret der Landesregierung für diese Kommission. Dalle Nogare gibt Schullian per SMS den Auftrag, die einzelnen Kommissionsmitglieder vor der entscheidenden Sitzung zu kontaktieren. Der SVP-Parlamentarier tut das auch. Und gibt per SMS auf Nachfrage seinem Auftraggeber mehrmals einen Zwischenstand, wer wie abstimmen dürfte.
Alessandro Fontana hat anhand von Daten, Dokumenten und Logfiles im Gerichtsaal eine genaue Chronologie abgeliefert. Es ist eine Chronologie, die einen Blick auf dieses Land durch die Hintertür erlaubt.
Was man dabei zu sehen bekommt, ist kein schöner Anblick.
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Albert Hofer Di., 13.03.2018 - 07:47

Tenti ist schon die tragischste Landesbeamtin aller Zeiten... Zuerst verantwortet sie diese unglückselige, geldvernichtende Kulturhauptstadt-Initiative für das "Triveneto" (ein Wort, bei dem jeder deutschsprachige Südtiroler Politiker sofort auf rot schaltet, aber das hätte man ja eigentlich wissen können), jetzt diese blamable Gangsterkomödie...

Di., 13.03.2018 - 07:47 Permalink
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Maria Theresia… Di., 13.03.2018 - 12:22

Interessanter Wirtschaftskrimi..wenn das alles stimmt, dann bin ich gespannt auf das Urteil des Richters. Ist Schullian dann auch verwickelt und somit als Politiker noch handlungsfähig?

Di., 13.03.2018 - 12:22 Permalink
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Sell Woll Di., 13.03.2018 - 13:28

Tja, das System Südtirol erinnert hier doch stark an die Vorgehensweise bei den Dopingskandalen Russland und Schwazer. Große Frage: wußte Schullian von der Begünstigung seines Klienten durch Insiderinformationen?

Di., 13.03.2018 - 13:28 Permalink
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alfred frei Do., 15.03.2018 - 10:56

Wer schreibt ein Gedicht "The Story of Bonnie and Clyde in Südtirol" ? - auch ein Drehbuch für einen Krimi-Reißer "The Backdoor Man" könnte man andenken. Ein paar Filmszenen im Webcam Kaltern Zentrum drehen wäre ein richtiger Hammer. Star-Anwalt C. Tarfusser für die strafrechtlichen Hinweise und Absicherungen gewinnen. Warum nicht ? Ciak

Do., 15.03.2018 - 10:56 Permalink