Gesellschaft | 21. März

"Normalität": Rassismus

Ein Blick nach vorne und zurück und mittendrin die Gegenwart
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Foto: http://www.thequotepedia.com/say-no-to-racism-we-are-all-human/

Am 21. März 1960 wurden bei Anti-Apartheids-Protesten in Südafrika 69 Schwarze Menschen kaltblütig von der Polizei ermordet. Die Vereinten Nationen hatten nach diesem sogenannten „Sharpeville Massaker“ den Tag zum internationalen Tag gegen Rassismus erklärt.

Fast 60 Jahre später ist es immer noch von höchster Dringlichkeit, sich die europäische Gewaltgeschichte vor Augen zu führen und ihre Kontinuitäten in der Gegenwart wahr- und ernstzunehmen.

Spätestens nach den Anschlägen von Macerata und Florenz auf Schwarze Menschen ist klar, Italien hat ein Rassismus Problem. Obwohl das für die Menschen, die selbst davon betroffen sind, lange schon offensichtlich ist, wehrt sich die weiße Mehrheitsgesellschaft konstant gegen solche Vorwürfe. Aber es bedarf keinem allzu genauen Hinsehen, um zu bemerken, dass in Italien- aber auch in anderen Teilen Europas- Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe unterschiedlich behandelt, ausgegrenzt, kriminalisiert und auch ermordet werden.

Der Begriff „institutioneller Rassismus“ beschreibt wie Personen nicht nur im zwischenmenschlichen Umgang, sondern auch von staatlichen Institutionen diskriminiert werden. So ist es längst akzeptierte „Normalität“, dass in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf der Straße vermehrt Menschen, die als nicht „weiß“ gelesen werden, unverhältnismäßig häufigen und strengen Polizeikontrollen zum Opfer fallen. Racial profiling, also ein Vorgehen bei dem Personen aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft als generell verdächtig eingestuft und ohne konkrete Anhaltspunkte kontrolliert werden, ist auch hierzulande trauriger Alltag.

Wer mit dem Fernbus in den letzten Monaten über die italienisch-österreichische, oder österreichisch-deutsche Grenze gefahren ist, hat wahrscheinlich erfahren, wie eine solche Praxis in der Realität aussieht. Die Polizist*innen durchkämmen den Bus, kontrollieren flüchtig die Personalausweise von als-weiß-gelesenen Personen, nur um dann Schwarze Menschen und People of Color genauestens zu überprüfen und auch aus den Fahrzeugen rauszuholen. Dabei sieht die Mehrheit im Bus schweigend zu, wie das Schengenabkommen Schritt für Schritt an der europäischen Xenophobie zerbröselt.

Doch nicht nur in Bussen und Zügen, auch auf dem hiesigen Arbeits- und Wohnungsmarkt werden Menschen diskriminiert, die nicht in das klassische Bild des/der Südtiroler*in passen. So werden vielfach Stellenanzeigen aufgegeben, in denen gezielt nach „einheimischen“ Mitarbeiter*innen gesucht wird (was auch immer das heißen mag). Eigentlich ist es laut italienischer Verfassung verboten, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Hautfarbe, ihrer Sprache, Religion, ihren politischen Einstellung, persönlichen oder sozialen Umständen in jeglicher Phase des Arbeitsverhältnisses zu diskriminieren. Das bezieht sich auch auf die Stellenausschreibung (Art. 3 Cost.).

Auch Alltagsrassismus ist in Südtirol flächendeckende Realität. Wenn zum Beispiel eine Diskothek im Vinschgau beschließt nur mehr „Einheimischen“ den Zutritt zu gewähren, ist das eine Form von Alltagsrassismus oder auch strukturellem Rassismus. Ein Schwarzer Freund von mir, wird häufig sogar bei seinen täglichen Einkäufen aus dem Laden geschmissen, noch bevor er die Möglichkeit hat, seine Einkäufe zu beginnen.

Nun sind also nicht-weiße Menschen, die hier leben, nicht bloß von Stigmatisierung, Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung betroffen, sie müssen sich auch einer öffentlichen Debatte stellen, die nicht die Gesellschaft, ihre politischen Strukturen und Wirtschaftsweise in Frage stellt, sondern diese Personen selbst zum Problem macht. Rassistische und menschenfeindliche Hetze nehmen in ganz Italien und auch in Südtirol zu.

Eine Partei, deren Vorsitzender damit droht eine halbe Million Migrant*innen zu „deportieren“ und in der andere Mitglieder fordern, separate Zugabteile je nach Religion und „Ethnie“ zu errichten, kriegt bei den Parlamentswahlen im März von mehr als 17% der Wähler*innen ihre Stimme. Aber auch das stimmenstärkste Movimento 5 Stelle schreckt vor rassistischen Parolen und Hetze nicht zurück. So warnt etwa Grillo auf seinem Blog vor der „Flüchtlingswelle“, die er als „Gesundheitsrisiko“ für Italien bezeichnet. Die Freiheitlichen hier in Südtirol wettern derweil mit Stickern gegen vermeintlich „gewaltbereite Ausländer“, während im Bozner Gemeinderat drei Vertreter der neofaschistischen Casapound sitzen.

Während also auf parteipolitischer Ebene, ein Großteil auf den xenophoben Dampfer mitaufsteigt, nehmen Angriffe auf Migrant*innen in Italien weiterhin zu. Von den 2.562 erfassten Fällen von Diskriminierung, waren 2016 fast 70 Prozent - also über 1.800 - rassistisch motiviert. Dennoch werden solche Motive auf politischer und medialer Ebene bagatellisiert und bewusst ignoriert, wie etwa beim jüngsten Fall in Florenz, bei dem der Senegalese Idy Diene auf offener Straße erschossen wird. Viele der ersten politischen und medialen Reaktionen schließen eine rassistische Motivation sofort aus. 2011 hatte in der selben Stadt Casapound Anhänger Gianluca Casseri zwei Menschen aus dem Senegal, Samb Modou und Diop Mor, ermordet und weitere Personen verletzt.

Es ist also eine traurige Realität geworden, dass im Italien des 21. Jahrhunderts neofaschistische Kräfte zu Hetze und Gewalt gegen Migrant*innen aufrufen, dass Schwarze Menschen Angst haben müssen, auf offener Straße ermordet zu werden und dass Parteien Stimmenfang mit rassistischen Parolen machen.

Das Südtiroler Netzwerk gegen Rassismus „STOP RACISM BZ“ wurde im November 2017 gegründet. Es versucht dem Thema Rassismus in Südtirol Raum zu geben, damit rassistische Strukturen aufgedeckt, benannt und hoffentlich abgebaut werden können. Außerdem soll es eine Plattform sein, auf der von Rassismus betroffene Menschen über ihre Erfahrung sprechen und sich vernetzen können.

Die Situation in Europa und Italien ist ernst und wir sollten die Augen nicht verschließen, wenn Faschisten wieder in den Parlamenten sitzen, Menschen aufgrund ihrer religiösen oder „kulturellen“ Identität ermordet werden, wenn wir Debatten darüber führen, wer ein Recht zu leben hat und wer nicht. Spätestens dann sollten wir darüber nachdenken, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Einer Gesellschaft in der Misstrauen, Gewalt und Ausschluss herrschen, oder in einer Gesellschaft, die solidarisch ist, aufgeschlossen und gleichberechtigt.

Ich kämpfe lieber für die zweite Variante.

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Sell Woll Mi., 21.03.2018 - 22:26

Und was, wenn viele einfach Probleme, darunter des Typs Überforderung, mit zu viel Zuwanderung haben, ganz ohne rassistische Beweggründe? Vielleicht bedarf es einer Debatte, ob der Wunsch nach Zusammenleben mit Menschen desselben Kulturkreises eine Daseinsberechtigung hat oder einfach nur als historisch belastet und folglich verwerflich angesehen werden muss. Fakt ist: Nicht alle kommen zurecht mit dem Verlust der Koordinaten, die ihnen in dieser Welt Orientierung boten und reagieren in Kombination mit wirtschaftlichen Ängsten mit der Wahl extremer Parteien auf eine aus ihrer Sicht unverständliche und als nicht mit ihren Emotionen in Verbindung stehend wahrgenommenen Politik. Werden sie dann als Rassisten apostrophiert, wird es sehr schwer, sie wieder für moderate Positionen zu gewinnen. Zu groß die Kränkung verunsichter Gemüter.

Mi., 21.03.2018 - 22:26 Permalink
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Erwin Demichiel So., 25.03.2018 - 16:23

Ich würde mir wünschen, dass bei solchen berechtigten Überlegungen und Darstellungen auch Platz ist für den größeren Rahmen, in dem das alles passiert und für die entsprechenden Zusammenhänge.
Zum Beispiel: Warum wohl verschwinden die diversen Panama-, Paradise- und andere Papers nach wenigen Wochen aus den Medien und kein Mensch redet mehr davon, warum regt sich niemand wirklich und dauerhaft über die darin enthaltenen Ungeheuerlichkeiten auf, warum gibt es nach der sog. Finanzkrise 2008 immer noch keine ernsthafte Regulierung des Casinokapitalismus, warum wächst die Anzahl der armen bzw. von Armut bedrohten Menschen, warum besitzen immer weniger Menschen einen immer größeren Anteil am gesellschaftlichen Reichtum, warum hat die sog. öffentliche Hand für Gesundheit, Soziales, Bildung usw. immer weniger Geld, usw. usw.
Damit die Menschen von diesen Dingen abgelenkt werden, muss man ihnen saftige emotionale Themen bieten, indem man ihnen zum Beispiel täglich die Migration als Hauptproblem darstellt. Sie ist tatsächlich ein Problem, aber nicht das Hauptproblem. Die Hauptprobleme sind solche wie oben angesprochen und mit denen gibt es Zusammenhänge. Wie auch immer - der Trick funktioniert: damit wird die Gesellschaft gespalten in die „Rassisten“ und die „Antirassisten“, in die Bösen und die Guten. Beide Seiten lassen sich „vera .….“ – auch die „Guten“, beide spielen das dumme Spiel mit und verhindern damit, dass sich wirklich etwas ändern kann. Und die Gewinner dahinter lachen sich ins Fäustchen.

So., 25.03.2018 - 16:23 Permalink
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19 amet Di., 27.03.2018 - 01:09

Alles Bla Bla. Kriminelle Ausländer in ihre Heimat zurück. Wie denn ? Gerne höre ich ihr Patentrezept?. In Österreich haben Sie ja ihre Freunde an der Macht.Was tun die ? Faires Einwanderungsgesetz ? Ja das beschliessen wir morgen im Gemeinderat.
Es ist auch verwunderlich dass Sie andauernd über Österreich reden.Von Italien und Südtirol haben Sie anscheinend wenig Ahnung. Ach ich vergaß. Sie haben ja ein faschistisches Rezept für Italien vorgetragen. Schon vergessen ? Man muss es
wiederholen, denn es ist köstlich. Ein "Leiter der Executive" erlässt die Gesetze und das Parlament darf sie "absegnen".So einfach ist das !

Di., 27.03.2018 - 01:09 Permalink