Gesellschaft | Nachruf

Der Botschafter

Südtirol hat einen seiner wichtigsten Diplomaten verloren. Peter Gasser war der Mann in Rom, der für Land und Leute mehr getan hat als die meisten Politiker zusammen.
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Foto: Privat
Der Brief war typisch. 
Vor einigen Wochen erreichte mich ein dickes Briefkuvert. Drinnen ein Bündel Akten. Spätestens jetzt ist mir klar, dass es Ernst wird. Das Zeichen ist eindeutig: Peter räumt sein Archiv auf. Wie er war, ließ er mir noch die letzten Informationen zukommen. Perfekt sortiert. Zusammengeklammert und von einem Protokollblatt zusammengehalten. Mir seiner schönen, femininen Handschrift darüber „Christoph“ geschrieben und am Ende: „Dein Freund Peter“.
Peter Gasser ist vor wenigen Tagen in Brixen gestorben. Am 15. März hat er noch seinen 83. Geburtstag feiern können. Vor rund zwei Monaten an einem feuchtfröhlichen Abend, kamen wir auf Peter zu reden und eine Bekannte hat ihn umgehend angerufen. „Ich habe noch zwei Wochen oder vielleicht zwei Monate zu leben“, sagte Peter mit seiner rauchigen, tiefen Stimmen. So als würde er über das Wetter reden. Die Nachricht kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Nein, er wünsche keinen Besuch. Sein Wunsch: Wir sollen ihn so in Erinnerung behalten, wie er war.
 
Peter Gasser, 1935 in Brixen geboren, war eine Figur aus einer anderen, besseren Welt. In der Bischofsstadt geboren und in Rom aufgewachsen, wo seine Eltern in der Via Nicolò da Tolentino die Pension „Gasser“ führten. Nach einem Sprachenstudium verschlug es ihn als Lektor an die Universität Neapel.
1957 wurde er Sekretär der SVP-Mandatare in der Abgeordnetenkammer, später wechselt er dann an das „Landesaußenamt Rom“. Peter Gasser war jener Mann, der für Generationen von SVP-Politikern aber auch Mandataren anderen Couleurs im römischen Politik- und Minsteriumsdickicht wie ein Blindenhund wirkte. „Il dottore Gasser“ - wie man ihn überall nannte - kannte jeden und jede. Er wusste wie kein Zweiter, wie man sich in den Ministerien, in den Ämter und im Parlament bewegt. Vor allem kannte er jede Hintertür der Macht. Und die Spelunken in der ewigen Stadt, wo man bei ein paar Falschen Wein, oft weit mehr erreicht als in langen Sitzungen.
Peter Gasser war jener Mann, der für Generationen von SVP-Politikern aber auch Mandataren anderen Couleurs im römischen Politik- und Minsteriumsdickicht wie ein Blindenhund wirkte.
Peter Gasser war die rechte Hand von Peter Brugger. Sie wurden enge Freunde. Aber auch Hans Dietl hat die Hilfe des jungen Gasser in Rom geschätzt und in Anspruch genommen. Peter war dabei einer, der immer gerne im Hintergrund blieb. Historiker werden in den offiziellen Akten des Landes hunderte Briefe und Dokumente finden, die zwar den Namen anderer, wichtiger Persönlichkeit tragen, aber aus seiner Feder stammen.
Peters Schreibstil war dabei unnachahmlich. Barock, verschroben, sprachlich brillant und von jener Diplomatie, die man sonst nur vatikanischen Kardinalsekretären zutrauen würde. Er schaffte es seinem Gegenüber seitenlang Rosen zu streuen und ihn gleichzeitig verbal abzuwatschen, wie einen Schulbuben. Das hat er gerne getan, vor allem, wenn sein Gegenüber arrogant, mächtig und höhergestellt war.
Peter Gasser blieb auch im hohen Alter noch ein Spitzbub und er hat es genossen.
 
Sein „Kind“ war das Landesaußenamt in Rom. Die Räume in der Via del Gesù 56 waren sein Reich. Im größeren Teil des Stockwerks waren die Büroräume des Landes Südtirol untergebracht und in einem kleineren Teil wohnte Peter Gasser.
Er erfüllte alle institutionelle Aufgaben, die ihm zugewiesen wurden. Doch Zeit seines Lebens sah er sich nicht im Dienst der Politiker oder der „Bürokartenhengste“, wie er sie nannte. Sondern im Dienst der Bürgerinnen und Bürger.
 
Peter Gasser sah sich als Botschafter. Als Botschafter der kleine Leute in Rom. Er hatte für alle ein offenes Ohr. Er half wo er nur konnte. Hunderte Studientitelanerkennungen tragen sein Handschrift, Pensionsansuchen, Stipendien genauso, wie Entschädigungsansprüche von Bauern oder Arbeitern. Kein Anliegen war ihm zu minder. Peter kümmerte sich immer. Man konnte sicher sein, irgendwann einen Brief zu erhalten mit dem das Problem gelöst war.
Peter Gasser sah sich als Botschafter. Als Botschafter der kleine Leute in Rom. Er hatte für alle ein offenes Ohr. Er half wo er nur konnte.
Vom Wesen her galant, gekleidet wie ein englischer Gentleman war er absolut unkonventionell. Für unseren Film „Bombenjahre“ beschaffte er mir einmal im Kostümverleih von Cinecitta mehrere Carabinieriuniformen. Weil gerade Luis Durnwalder in Rom weilte, gab er ihm gleich das Paket nach Bozen mit. Durnwalder fragte zwar was drinnen sei, Peter wiegelte aber ab. Stellen sie sich vor: Man hätte den Südtiroler Landeshauptmann am Flugplatz durchsucht und in seinem Gepäck, die Carabinieri-Uniformen gefunden. Nicht auszudenken. Aber solche Späße gefielen ihm.
 
Es gab und gibt wahrscheinlich keinen Südtiroler, der die römische Maschinerie und Bürokratie besser kannte, als Peter Gasser. Er kannte jeden „Knopf der Macht“ und er drückte ihn auch, wenn es nötig war. Mit viel Charme wickelte er Hunderte von Sekretärinnen, Sachbearbeiterinnen aber auch Ministerialdirektorinnen ein. Man konnte sich von Peters Charme eine Schnitte abschneiden.
Jahrzehntelang belieferte Peter Gasser Dutzende Institutionen, Privatpersonen oder Vereine in Südtirol periodisch mit wichtigen Nachrichten und Infos aus Rom. Aus Eigeninitiative. Genau das führte schon bald zu einem schweren Konflikt mit der neuen, schnellen und arroganten Polit-Generation unterm Edelweiß. Den Damen und Herren Onorevoli war der Gasser ein Dorn im Auge. Immer, wenn sie etwas mit Stolz nach Südtirol vermeldetet, etwa eine Neuerung für den Bauernbund, kam die Rückmeldung: „Das hat uns der Gasser schon geschickt“.
Auch seine Hilfe für die kleinen Leute in Rom war den SVP-Politiker nur mehr lästig. Denn der Direktor in der Via del Gesú schaffte meistens das, was den gewählten Volksvertreter nicht gelang oder ihnen zu lästig war.
Den Damen und Herren Onorevoli war der Gasser ein Dorn im Auge. Denn der Direktor in der Via del Gesú schaffte meistens das, was den gewählten Volksvertreter nicht gelang oder ihnen zu lästig war.
Auch in der Landesverwaltung wurde Peter Gasser am Ende ganz bewusst zum Aussenseiter gestempelt. Sein Credo, „dass Artikel 1 in der Satzung jeder öffentlichen Verwaltung besagen müsse, dass diese ausschließlich im Dienst der Bürger stünde“ (so steht es etwa in einem Schreiben an einen seiner Vorgesetzten), wirkte auf die meisten Südtiroler Bürokraten und „Diener ihres Herren" wie eine gefährliche Drohung aus einer anderen Welt.
Peter Gasser hatte Zeit seines Lebens den Mut sich auch offen gegen seine politischen Vorgesetzten aufzulehnen. Sein Kampf gegen den von Remo Ferretti eingefädelten Kauf eines neues Sitzes des Landes Südtirol in Rom, ist ein Stück Südtiroler Zeitgeschichte im Kapitel von Tangentopoli. Auch Luis Durnwalder hat mehr als nur einen Strauß mit seinem Freund Peter ausgefochten.

2004 wurde Peter Gasser nach 27 Jahren die Leitung des Aussenamtes in Rom entzogen und der Amtsdirektor in Pension geschickt. Mit seinen Abgang ist auch ein Beamtenschlag ausgestorben. Aus seiner römischen Botschaft ist ein Ämtchen geworden. Ohne Charakter und wo Menschen nur mehr Nummer sind.
Genau das war Peter Gasser ein Gräuel. Er hat am Abbau seines Amtes gelitten wie ein Hund. Er hat ein paar bitterböse Brief geschrieben. Dann wurde er still und leise pensioniert. Ein Verdienstkreuz hat er nie bekommen. Wahrscheinlich hätte er es - wenn er es überhaupt angenommen hätte - am Klo aufgehängt.
Dafür reiste er endlich mehr für das Kinderhilfswerk der UNICEF durch die Welt. Das war eine seiner Berufungen.
Peter Gasser war keiner, der im Licht stand. Er hat aber weit mehr für das Land und die seine Leute getan hat, als die meisten, die in die Geschichte eingehen werden.
Wenn ich an Peter Gasser denke, dann sehe ihn im weißen Anzug und weißem Borsalino, so wie er auf einem meiner Feste auftaucht ist. Ich spüre seine wachen Augen, höre sein gutturales Lachen. Der Geruch seiner Mentolzigaretten liegt noch immer in der Luft.
Vor allem aber sehe ich einen Menschen, der für andere da war. Der Hilfe ohne Hintergedanken sah. Der in seinem Leben einen geraden Weg ging.
Peter Gasser war keiner, der im Licht stand. Er hat aber weit mehr für das Land und seine Leute getan hat, als die meisten, die in die Geschichte eingehen werden.
Es war eine Ehre und ein Genuss, ihn als Freund gehabt zu haben.
Bon voyage, Peter!
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Profil für Benutzer Christoph Franceschini
Christoph Fran… Do., 03.05.2018 - 15:52

Der Artikel bedarf einer Korrektur.
Hier das Schreiben eines Lesers.

"Sehr geehrter Herr Franceschini,
ich möchte Ihnen für Ihren Nachruf für Dr. Peter Gasser danken; sie haben ihn beschrieben, wie er war.
In einem Punkt muss ich Sie korrigieren:
Dr. Gasser hat das Verdienstkreuz des Landes Tirol bekommen, er hat es gerne entgegengenommen und sich sehr darüber gefreut (und es ganz sicherlich nicht am Klo aufgehängt gg).
Ich war bei der Verleihung zugegen und anschließend mit dem Ehepaar Gasser, Frau Hofrat Stadelmair und anderen zum Mittagessen
Mit freundlichen Grüßen."

Do., 03.05.2018 - 15:52 Permalink