Politik | Lohnerhöhungen

Bittgänge für höhere Löhne?

In letzter Zeit häuften sich die Appelle für höhere Löhne.Es fehlt eigentlich nur mehr eine gemeinsame Bittprozession von KVW und SVP-Arbeitnehmern nach Weißenstein.
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Politiker aller Parteien sprechen sich für höhere Löhne aus: „Wir haben das Ziel der Vollbeschäftigung erreicht,“ twitterte kürzlich selbst LH Kompatscher, „aber jetzt müssen noch die Reallöhne deutlich steigen.“ Werden die Unternehmer diese Einladung aufnehmen? Lassen sich in Südtirol höhere Löhne über Appelle bei 1.Mai-Ansprachen durchsetzen? Durch Bittgesuche von Sozialverbänden? „Jene Gewerkschaft, die anfängt „bitte“ zu sagen, schießt sich ins eigene Knie“, meinte einer der Gewerkschaftschefs. Der Normalweg sind Tarifverhandlungen für Zusatzabkommen auf Landes- und Betriebsebene und eben auch Arbeitskämpfe. Bei größeren Unternehmen gelingt es immer wieder, Betriebsankommen unter Dach und Fach zu bringen. In den Klein- und Kleinstbetrieben ist dies selten der Fall. Die Lösung liegt in branchenspezifischen Landeszusatzverträgen, zu welchen es in Südtirol viel zu selten kommt. Oft fehlt den Gewerkschaften die Macht, die Gegenseite überhaupt an den Verhandlungstisch zu bekommen.

Wenn die Gewerkschaft keine Verhandlungsmacht hat, liegt dies auch am zu geringen Organisationsgrad und der Mobilisierungsbereitschaft der direkt Betroffenen. Wenn die Mehrheit der Lohnabhängigen nicht mal gewerkschaftlich organisiert ist, ist an Arbeitskämpfe gar nicht zu denken. Somit geht der Ball zurück an die einzelnen Arbeitnehmerinnen. Lägen die Löhne so stark unter dem zumutbaren Mindestniveau, wären die Lebenshaltungskosten kaum mehr zu decken, müssten die Gewerkschaften eigentlich enormen Zulauf haben. Dem ist nicht so. Die Zahl der Beschäftigten steigt, jene der Gewerkschaftsmitglieder stagniert.

Überdies beherrschen die Unternehmer das „divide et impera“. Die Fach- und Führungskräfte werden übertariflich entlohnt, die untere und zum Teil auch die mittlere Kategorien kriegen nichts als den Tariflohn. Und der wird für ganz Italien per nationalem Kollektivvertrag flächendeckend gleich festgelegt. Angesichts dieses Dilemmas einige Vorschläge:

  1. Die zweite Verhandlungsebene, die Landeszusatzverträge, müssten in ihrer Bedeutung für die Lohnhöhe wesentlich gestärkt werden, damit sich Südtiroler Arbeitnehmer aufgerufen fühlen, die Verhandlungsmacht „ihrer“ Landesgewerkschaften zu stärken, statt sich bloß als Trittbrettfahrer auf die nationalen Kollektivverträge zu verlassen. Diese bescheren zwar staatsweit einheitliche Mindestlöhne, aber eben nicht den Südtiroler Lebenshaltungskosten und der Ertragslage und Produktivität der Südtiroler Unternehmen angepasste Löhne.
  2. Die Landesregierung soll die Wertschöpfungssteuer IRAP als Druckmittel einsetzen, wie es auch die L.Abg.en Köllensperger und Renzler gefordert haben. Wenn Südtirol den tiefsten IRAP-Satz in ganz Italien hat, muss diese Steuerersparnis auch an die Mitarbeiterinnen weitergereicht werden. Das Land soll die Vergabe von Subventionen an tatsächlich erfolgte Lohnerhöhungen oder an den bloßen Abschluss von Betriebsabkommen knüpfen. Doch in kleinbetrieblich strukturierten Branchen wie Handel, Tourismus und Handwerk braucht es Landeszusatzabkommen, die über solche Steueranreize nicht durchzusetzen sind.
  3. Ein weiterer Vorschlag – wie in meiner Publikation „Mehr Eigenständigkeit wagen“ (POLITiS-ARCA 2016) dargelegt – läuft darauf hinaus, einen gesetzliche branchenspezifische Mindestlöhne nur für Südtirol festzulegen. Die entsprechende Zuständigkeit muss im Rahmen der Autonomiereform erreicht und im Statut verankert werden. Voraussetzung dafür ist aber die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in ganz Italien, die eben Teil des Koalitionsabkommens der neuen Regierung sein soll. Dann könnte die hierzulande relativ geringe Verhandlungsmacht der Gewerkschaften zumindest für die Niedriglohnbereiche durch Beschlüsse von Landtag und Landesregierung ausgeglichen werden.
  4. Auf jeden Fall unverzichtbar wäre die Stärkung der Gewerkschaften und ihrer Verhandlungsmacht mit mehr Zuständigkeiten für Landeskollektivverträge. Mehr Geschlossenheit in der Vorgangsweise, mehr Zusammenarbeit in der Strategie, aber auch mehr Beteiligung der Betroffenen wäre gefragt. Sicher ist: von bloßen Appellen und Bittgängen allein lässt sich „das Kapital“ kaum beeindrucken. Zumindest dies müsste vom vor genau 200 Jahren geborenen Marx als Lehre übrig geblieben sein.

"Von bloßen Appellen und Bittgängen allein lässt sich „das Kapital“ kaum beeindrucken." Volkommen richtig!
Die Arbeiter müssten ihre Komfortzone verlassen und selbst aktiv werden, um gemeinsam das ungerechte Lohniveau zu heben. Am einfachsten und wirkungsvollsten wäre meiner Meinung nach, wenn die Arbeitnehmer aufgeweckter und volatiler würden. Regelmäßig in Jobbörsen stöbern, sich bei anderen interessanten Stellen bewerben und gegebenenfalls wechseln. Auch Fortbildung bringt niemanden um. Das setzt die Arbeitgeber unter Druck, gute Arbeiter kann momentan niemand einfach aus dem Ärmel schütteln.
Wenn in einer Firma einige Gute gehen, können sich die verbleibenden oft selbst die Gehälter schreiben...
In gut wirtschaftenden Firmen würde sich das Gehalt fairer verteilen. Einige "kranke" Firmen die von Unfähigen geführt werden oder aus anderen Gründen nicht mehr konkurrenzfähig wären, würden verschwinden.
Meiner Ansicht nach gibt es in Südtirol eine Menge Arbeitgeber, die uns mit dem niedrigen Lohnniveau hier melken, ihre Produkte/Arbeit aber nach Österreich, Deutschland usw auf dem dortigen Preisniveau verkaufen. Dort sind die Gehälter annähernd ein Drittel höher als hier. Die Differenz fließt in die Taschen unserer südtiroler Chefs, oder es wird benötigt um deren Unfähigkeit auszugleichen.. (natürlich gibt es auch weisse Schafe, nicht nur Schwarze ;))

Do., 17.05.2018 - 15:24 Permalink

Nein, geschätzte kleine Nachtmusik, Lohnerhöhungen bloß auf der individuellen Ebene durchzusetzen, bringt die Arbeitnehmer eines Unternehmens oder einer ganzen Branche oder Sektors nicht weiter. Sie mögen zwar auch für einzelne Brufsgruppen mit starker Position auf dem Arbeitsmarkt oder im Betrieb Lohnerhöhungen erbingen, aber nur individuell, nicht für die ganze Belegschaft oder die Arbeitnehmer einer Branche insgesamt. Das strukturelle Problem von Gewerkschaftsorganisationen mit zu geringerer Verhandlungsmacht in einem Handlungsrahmen mit zu wenig Kompetenzen für Kollektivverhandlungen auf Landesebene löst man so nicht. Südtiroler Arbeitnehmer müssten insgesamt den Gewerkschaften den Rücken stärken, somit sich besser gewerkschaftlich organisieren, um gegenüber den lokalen Arbeitgeberorganisationen Bestand zu haben. Derzeit scheint dies für einen großen Teil der Südtiroler Arbeitnehmer/innen nicht obenan in der Agenda zu stehen.

So., 20.05.2018 - 21:47 Permalink