Politik | Euro und Euroskepsis

Gemeinsamer, aber auch demokratischer

Einen Monat vor dem EU-Gipfel Ende Juni mit Schwerpunkt auf der Euro-Reform schälen sich drei unterschiedliche Entwicklungslinien der Währungsunion deutlicher heraus.
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Weil unterschiedliche politische Mehrheiten in den drei größten Euroländern nicht am selben Strang ziehen, zeichnet sich beträchtlicher Konflikt ab. An einem dieser Stränge wird die neue grün-gelbe Regierung in Rom ziehen. Um das teure Regierungsprogramm umzusetzen, muss Rom die Ausgaben um mindestens 65 Milliarden Euro erhöhen und dafür neue Schulden aufnehmen. Dies geht nur mit einer Aufweichung des Euro-Stabilitätspaktes und der Neuverhandlung des Fiskalpaktes von 2012, der zum Haushaltsausgleich verpflichtet. Die Finanzmärkte werden diese Linie höchstwahrscheinlich mit höheren Risikoaufschlägen für die BoT und CCT abstrafen. So wird das Programm der Regierung Conte nochmals teurer, denn Italien muss jährlich für rund 400 Milliarden Staatsanleihen platzieren und der Zinsendienst auf die Staatsschuld wird weit über die 60 Mrd. Euro von 2017 steigen. Rom wird auch immer wieder Eurobonds fordern, um dem Würgegriff der Märkte zu entkommen sowie einen Ausbau der Bankenunion Richtung Haftungsgemeinschaft der Euroländer. Bei über 300 Mrd. Euro an faulen Krediten in den Bilanzen italienischer Banken eine für die EU kaum zu schluckende Kröte.

An einem zweiten Strang genau in die Gegenrichtung zerren 154 deutsche Wirtschaftsprofessoren, die Ende Mai 2018 davor warnten, die europäische Währungs- und Bankenunion noch weiter zu einer Haftungsunion auszubauen. In ihrem Memorandum lehnen sie die Reformvorschläge von Juncker ab und bringen die andere, „deutsch-konservative“ Skepsis gegenüber einer Haftungsunion auf fünf Punkte:

  1. kein Einsatz des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM für die Sanierung von Großbanken;
  2. keine Umwandlung des ESM in einen Europäischen Währungsfonds nach EU-Recht, wie von Juncker vorgeschlagen;
  3. keine gemeinsame Einlagensicherung der Eurozone;
  4. keine weiteren Transfers und Kredite im Rahmen des geplanten EU-Investitionsfonds an Euroländer, die keine Euro-gerechten Reformen durchziehen;
  5. keine Schaffung eines „Europäischen Finanzministers“ mit Fiskalkapazität, der die Geldpolitik noch stärker politisieren würde.

Außerdem fordern die 154 Wirtschaftsprofessoren ein Ende der Anleihenkäufe durch die EZB, was wiederum die am meisten verschuldeten Staaten der Währungsunion wie Italien treffen würde, sowie ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten der Eurozone und ein geordnetes Austrittsverfahren. Damit wird Euroskeptikern eine andere Art Rute ins Fenster gestellt.

Am dritten Strang zieht Emmanuel Macron und die EU-Kommission. Macron zielt auf eine gemeinsame Wirtschaftsregierung der Eurozone mit einer einheitlichen Geld- und Finanzpolitik ab. Juncker will einen Euro-Finanzminister mit eigenem Budget, eigenen Steuereinnahmen, stärkeren Kontrollbefugnissen gegenüber den nationalen Regierungen. Schulden könnten dann vergemeinschaftet und in Eurobonds umgewandelt werden, der Spekulation gegen einzelne, stark verschuldete Staaten würde das Wasser abgegraben. Ziel sei eine "geeintere und effizientere Wirtschafts- und Währungsunion“. Dieser Vorschlag steht auf dem Eurogipfel Ende Juni zur Diskussion.

Was Macron und Juncker weit weniger interessiert, sind demokratischere Entscheidungsverfahren innerhalb der bisher völlig exekutivlastigen Währungsunion. Diese liegen einer Gruppe französischer Forscher rund um Thomas Piketty am Herzen (Hennette/Piketty/Vauchez/Sacriste, Für ein anderes Europa. Vertrag zur Demokratisierung der Eurozone, C.H. Beck, 2017), die damit quer durch Europa Furore gemacht haben. Die Eurozone sei ein Machtblock aus nationalen und europäischen Wirtschafts- und Finanzbürokratien und würde im „toten Winkel der politischen Kontrollmöglichkeiten“ regiert; sie sei „schwarzes Loch der Demokratie“ (Piketty). Deshalb sei es Zeit, die repräsentative Demokratie wieder ins Zentrum der europäischen Wirtschaftspolitik zu rücken, um für demokratische Kontrolle und Legitimation zu sorgen. In diesem Sinn haben Piketty und seine Mitstreiter einen detaillierten Vorschlag für eine parlamentarische Versammlung der Eurozone vorgelegt. Dieses „Eurozonenparlament“ würde sich zu 4/5 aus Abgeordneten der nationalen Parlamente und zu 1/5 aus Europaparlamentariern zusammensetzen und hätte weitreichende Befugnisse für die gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die mächtige Eurogruppe der Regierungschefs und Finanzminister erhielte dadurch ein demokratisches Korrektiv. Der vorgeschlagene Vertrag wäre eine demokratische Bresche in den exekutiven Block der Eurogruppe, ein echter Pllan B.

Zwischen dem ohnmächtigen nationalen Rückzug (UK), den angestrebten Sonderwegen einzelner Staaten wie z.B. Italien und der exekutivlastigen heutigen Eurogruppe bildet dieser Vorschlag von Piketty und seinem Kreis den gangbaren Mittelweg. Denn immer wieder wird beklagt, dass der Mehrheitswille der Euroländer, vor allem in den „Südstaaten“ wie Italien, Griechenland, Spanien, dem Sparzwang und den Finanzmärkten geopfert werde. Diese Linie wird von der Lega zum „sovranismo“ aufgebläht. Doch der Euro drängt von sich aus zu mehr Einheit und Vergemeinschaftung in der Fiskal-, Geld- und Wirtschaftspolitik, wenn er Bestand haben soll. Nicht die Euro-Stabilitätspakte sind die Zwangsjacke Nr. 1 für Italien, sondern sein untragbarer Schuldenstand. Nicht die Eurogruppe allein beschränkt die Souveränität  und Bewegungsfreiheit Italiens, sondern seine 2300 Mrd. Euro Staatschulden. Diese Hypothek verschwände auch nicht mit einem Euro-Austritt, im Gegenteil. Diesem Sachzwang entgeht man nicht: mehr gemeinsame Haftung für die Gemeinschaftswährung erfordert mehr gemeinsame Kontroll- und Entscheidungsmacht, nicht weniger. Bei allen Schwachpunkten seines Vorschlags weist Piketty einen Ausweg aus dem Dilemma: wenn schon gemeinsamer, dann geht es auch demokratischer.

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Christian Mair Do., 07.06.2018 - 10:43

Lässt sich der Euro retten?

Die Folgen der Finanzkrise 2008 werden aber von Ökonomen völlig anders interpretiert. Es wird gezeigt,dass sich Deutschland nicht an den Stabilitätspakt haltet (zu geringe Inflation) und in Griechenland eine Bankenrettung deutscher und französicher Grossbanken stattgefunden hat (Marktwirtschaft?). Durch die Einführung von widersprüchlichen Rezepten der neuen italienischen Regierung (flat tax vs. Mindesteinkommen) lässt sich aber wohl keine Lösung herbeiführen. Trotzdem der Druck auf eine oben angeführte politische Kontrollmöglichkeit "Eurozonenparlament" zur Regelung einer gemeinsamen Wirtschafts-und Finanzpolitik wird durch die neue Regierung in Italien grösser.
Zusätzlich zu dieser strukturellen Änderung, müssen aber heissen Eisen wie bereits beschlossene Finanztransaktionssteuer, Bankenregulierung, Eurobonds oder auch Vollgeld angegangen werden.

Heiner Flassbeck:
"Es hat nichts mit den sognannten strukturellen Gründen zu tun, die immer genannt werden. Der Grund ist die gescheiterte europäische Wirtschaftspolitik, dieser Austeritäts- und Sparwahn, für den wir in Italien jetzt die politische Rechnung präsentiert bekommen haben." und
"Deutschlands Erfolg gründet darauf, dass sich seine Lohnstückkosten, also die Lohnkosten, die ein Unternehmer bezahlen muss, um ein bestimmtes Produkt zu produzieren, seit der Einführung des Euros 1999 kaum erhöht haben. In Deutschland sind über Jahre die Löhne nicht gestiegen. Deshalb blieb die Preisentwicklung unter dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank, das bei knapp zwei Prozent liegt. Es konnten aber nicht alle Länder unter diesem Ziel bleiben, denn dann hätten wir von Beginn des Euros an Deflation und eine wirtschaftliche Katastrophe gehabt. Den deutschen Erfolg können Deutschlands Nachbarn unmöglich wiederholen. Wenn alle dasselbe Rezept anwenden, funktioniert es nicht. Einer kann im Kino aufstehen, um die Leinwand zu sehen, aber wenn alle das tun, sieht keiner mehr etwas." (H. Flassbeck aus Die Frage ist ob sich der euro retten lässt https://www.republik.ch/2018/04/03/die-frage-ist-ob-sich-europa-retten-…)

Staatsgeheimnis Bankenrettung
https://www.youtube.com/watch?v=e28FG5glRe4

Do., 07.06.2018 - 10:43 Permalink
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Christian Mair Sa., 09.06.2018 - 22:38

Der Gläubiger bekommt aber einen Zins, weil das Ausfallsrisiko einen bestimmten Grad hat. Wenn aber der Bürger für die Ausfälle haftet ist das Risiko der Banken gleich Null.
Ausserdem gibt es ohne Schulden kein Geld mehr. Wenn alle Schulden weltweit zurückbezahlt würden, gibt es kein Geld.

ISt es wirklich angebracht, die Stabilität des politischen Systems und der Demokratie dem Gesetz der Kreditgeber zu unterwerfen?

Sa., 09.06.2018 - 22:38 Permalink
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Christian Mair Mo., 11.06.2018 - 19:40

Die Hayekianer sind zumindest in den letzten 40 JAhren (Reagan und Thatcher?) prägend. Irgendwie merkwürdig, dass sich unter Ihrer REgie das kranke System noch nicht verändert hat. Hier wird klassich Wirkung und Ursache verwechselt.

In einer MArktwirtschaft muss es möglich sein, dass Banken pleite gehen und KRedite ausfallen.
Das ist nicht passiert. Das hat aber nichts mit KEynes zu tun, sondern damit, dass Risiko vergesellschaftet und Gewinn privatisiert wurde und wird. Es wird zugunsten des KApitals massiv in den MArkt eingegriffen.

LÖsungen:
- Eurobonds
Wenn Eurobonds eingeführt werden ist die Spekulation auf steigende oder fallende Zinsen am Finanzroulette vorbei und vielleicht können dann ja Schulden zurückgezahlt werden.
- gemeinsame Fiskal-und Finanzpolitik
Verhinderung von Steuerwettbewerbs und Beteiligung der Finanzwirtschaft an den gesellschaftlichen Kosten
- gemeinsame soziale Sicherung abgestimmt auf das PReisniveau (Arbeitslosen,-PEnsions-und Gesundheitssicherung)
....

Mo., 11.06.2018 - 19:40 Permalink