Das lvh-Leck
Ein grüner Container. Leer. Auf einem Parkplatz abgestellt. Ein unverdächtiges Bild. Wer vergangenen Donnerstag Morgen in der Tiefgarage des Gebäudes mit der Hausnummer 30 in der Meraner Kuperionstraße unterwegs war, mochte sich bei diesem Bild nichts denken.
Die Tage zuvor aber hat sich dort etwas abgespielt, das zumindest Anlass für Fragen gibt. Wenn nicht sogar zur Sorge. Über das Datenschutz-Verständnis im Jahre 2018.
Geduldiges Papier
In der Meraner Kuperionstraße 30 ist das Bezirksbüro des Wirtschaftsverbandes Handwerk und Dienstleister lvh untergebracht. 2.885 Betriebe mit 7.821 Beschäftigten sind laut lvh-Webseite Mitglieder des Bezirks Burggrafenamt. All den Mitgliedsbetrieben – die meisten sind Kleinunternehmen mit bis zu fünf Angestellten – bietet der lvh auch in Meran diverse Dienstleistungen. Unter anderem wickelt er Jahr für Jahr zahlreiche Steuererklärungen ab. Stapelweise Papier sammelt sich dabei an, das im Sitz in der Kuperionstraße archiviert wird.
Fünf Jahre müssen zum Beispiel Steuererklärungen laut Gesetz im Normalfall aufbewahrt werden. Danach können sie entsorgt werden.
Und es dürfte auf der Hand liegen, dass ein großer Wirtschaftsverband wie der lvh dabei besonders sorgfältig vorgehen muss. Nicht zuletzt aufgrund der Privacy-Bestimmungen, die auf dem Grundsatz fußen, die widerrechtliche Nutzung von Daten zu verhindern.
Doch genau dafür hat man im Meraner lvh-Sitz nicht alles getan, wie ein Vorfall von vergangener Woche zeigt. Einen guten halben Tag lang stand zwischen Montag und Dienstag ein nicht verschlossener Container in einer öffentlich zugänglichen Tiefgarage – bis oben hin gefüllt mit unversehrten Unterlagen, die sensible personenbezogene Daten enthalten.
Ungeschützter Datenverkehr
Üblicherweise werden Akten, Dokumente und sonstige Unterlagen, die in großem Stil aussortiert werden, geschreddert, sprich vernichtet. “Zumindest aber in einem versperrten Raum oder Behälter gelagert”, weiß man bei der Verbraucherzentrale Südtirol. Üblich ist auch, ein Übergabeprotokoll mit der Firma zu vereinbaren, die sich um die fachgerechte Entsorgung kümmert.
So landen zum Beispiel in Bozen aussortierte Unterlagen vieler Anwaltskanzleien, Steuer- oder Wirtschaftsberater in der Müllverbrennungsanlage. Erst sobald die Autorisierung für die Verbrennung der Unterlagen ausgestellt ist, holt die mit dem Transport beauftragte Firma diese ab und bringt sie direkt zur Verbrennungsanlage. Bis zum Moment der Übergabe ist der “Inhaber” der Dokumente für sie – und damit für die Garantie des Datenschutzes – verantwortlich.
Wie kann es also sein, dass ein unversperrter Container mit aussortierten Unterlagen wie Steuererklärungen von Mitgliedsbetrieben einen halben Tag lang in einer Tiefgarage steht? Zu der in der Meraner Kuperionstraße 30 haben nicht nur die lvh-Mitarbeiter Zugang. Sondern auch über zwei Dutzend Parteien, die im selben Gebäude untergebracht sind – Firmen, Kondominiumsbewohner –, Lieferanten. Und über den Haupteingang praktisch jeder. Rund um die Uhr. Ungeschützt vor neugierigen Blicken und Diebstahl stand derselbe Container, randvoll mit aussortierten Steuererklärungen etc., auch vergangenen Mittwoch in der Tiefgarage.
Mehr als ein Grund also, beim lvh in Meran nachzuhaken. Auf Anfrage von salto.bz heißt es aus dem Burggräfler Bezirksbüro: Das Ganze sei wohl ungeplant unglücklich verlaufen. Doch die Ausführungen, die Peter Hofer – er ist beim lvh in Meran für Steuerberatung, Buch- und Lohnbuchhaltung zuständig – schriftlich liefert, werfen mehr Fragen auf als dass sie beantworten.
Lediglich Missverständnis?
“Da wir uns der Verantwortung bezüglich des Datenschutzes hier auch bewusst sind, haben wir einen spezialisierten Betrieb für die fachgerechte Entsorgung der Dokumente beauftragt”, beginnt Hofer. Der “spezialisierte Betrieb”, konkret die Firma Transcontainer mit Sitz in Lana, habe allerdings keinen verschließbaren Container zur Verfügung stellen können – “aufgrund der Garagenhöhe”, so Hofer.
Am Montag sei schließlich ein offener Container geliefert worden, mit der Vereinbarung mit Transcontainer, diesen “so schnell wie möglich” abzuholen, “da es sich um Dokumente handelt, auch wenn die Dokumente schon älter als zehn Jahre sind und ihre rechtliche Gültigkeit verloren haben”. Der Container wurde auf einen für den lvh in der Tiefgarage reservierten Parkplatz abgestellt und am Montag mit Dokumenten gefüllt. “Dabei wurde auch darauf geachtet, die Dokumente in Boxen und anderen Aufbewahrungsmitteln zu lassen und möglichst zu bedecken”, so die Auskunft. Gegen 16 Uhr sei der Container voll gewesen.
Allerdings habe die Firma Transcontainer die Unterlagen “statt am Montag Abend erst am Dienstag abgeholt” – “wohl durch ein Missverständnis”, meint Hofer. Dabei sei ein zweiter, leerer, offener Container geliefert worden, der am Mittwoch Vormittag befüllt wurde und noch am selben Tag abgeholt werden sollte. Doch die Transportfirma habe die Unterlagen am Mittwoch nicht abholen können und so seien sie wieder ins Archiv geräumt worden. “Auf keinen Fall sollte sich das Missverständnis vom Montag wiederholen”, unterstreicht Hofer.
Außerdem will er festgehalten wissen, dass, wer sich Einsicht in die Unterlagen verschaffen wollte, “den Container durchwühlt, oder zumindest eindringlich durchsucht”, dafür Privatbesitz des lvh betreten und sich “somit auf Privatgrund mit fremden Eigentum befasst” haben müsste. “Wir werden aber daraus unsere Konsequenzen ziehen und in Zukunft bei solchen Vorgängen eine ständige Überwachung des Objektes garantieren”, schließt Hofer. Genügt das?
Fragen über Fragen
Warum wurden die Unterlagen nicht geschreddert oder anderweitig vernichtet bevor sie entsorgt wurden? Weshalb wurde nicht darauf bestanden, zumindest einen verschließbaren Container für den Abtransport der Dokumente zu erhalten – zumal man laut Auskunft aus dem Meraner lvh-Büro ein “spezialisierten Betrieb für die fachgerechte Entsorgung” beauftragt hat?
Laut Unternehmenswebseite arbeitet die Firma Transcontainer hauptsächlich mit Bauabfällen und ist ein Partnerbetrieb der Firma Erdbau. Transcontainer stellt Container zur Verfügung, deren Inhalt von Erdbau verarbeitet bzw. recyclet wird. Was geschieht mit den Unterlagen aus den lvh-Archiven, wohin werden sie gebracht und wie entsorgt? Wer könnte dabei theoretisch noch Einblick in die Dokumente erlangen?
Und noch eine Frage drängt sich auf: Ist dieses Vorgehen bei der Entsorgung von Dokumenten mit sensiblen Daten gängige Praxis beim größten Handwerkerverband Südtirols?
Datenschutz im Jahre 2018 dürfte definitiv anders aussehen.
Update
Eine erste Reaktion auf den salto.bz-Artikel kommt am Montag Vormittag vom lvh-Präsidenten. Den nachlässigen Umgang mit sensiblen Daten im Bezirksbüro von Meran spielt Gert Lanz herunter:
In den Kommentaren unter dem Facebook-Post fragt jemand nach: “Empfinden Sie den kritischen Artikel als ‘denunzieren’? Das wäre doch wohl ein Unterschied.” Lanz’ Antwort: “Ja, empfinde ich. Denn ich frage mich, wer ein Interesse hat, in ein privates Haus zu gehen und im Müll herumschnüffelt.”
Datenschutz bagatellisiert.
Datenschutz bagatellisiert. Wozu braucht’s den noch?
sehr aufschlussreicher
sehr aufschlussreicher Artikel samt Kommentare. Danke.