Verächtlich haben wir immer auf den Orient gezeigt. Mitleidig. Etwa dann, wenn von Staates wegen religiöse Praktiken und Symbole verordnet wurden. Kreuze in Amtsstuben. Demokratieschwächen verortet und angeprangert, dort wo Minderheitenrechte geschmäht wurden. Zählung von Sinti und Roma. Die ganze islamische Welt, und Israel gleich mit eingeschlossen, wegen Missachtung der Menschenrechte geächtet. Aquarius das Anlanden verweigert. Menschenrechte wären sowieso etwas aus der Zeit, sagt man heute.
Wir fanden es unerhört, wenn Kopten ihres Glaubens willen verunglimpflicht wurden, schüttelten über den Kinderreichtum der Untermenschen den Kopf. Heute rufen wir zur Fruchtbarkeit auf, um uns gegen Andersgläubige zu behaupten. Wir, die wir uns mit aufgeklärter Selbstverständlichkeit selbstbestimmt fühlten, in individualistischer Selbstverwirklichung auch mal gerne aufs Kinderkriegen und auch aufs Heiraten verzichteten, zeugen Kinder als unser Bollwerk. Die Lederhose ist, nein, nicht mehr Ausdruck selbstbewusster Kultur, sondern ängstliche Waffe gegen Überfremdung.
Christliche Traditionen haben wir mehr der Tradition als der Christlichkeit wegen gepflegt. Heute verteidigen wir christliche Werte mit pervertiert unchristlichen Wertvorstellungen, als würden die Türken vor Wien stehen und uns die Kreuzzüge immer noch am Sack jucken. Als wären wir, die Kinder des Abendlandes, nicht Kinder der Aufklärung, der Ratio, der Wissenschaft, der Nachkriegsmoderne, sondern dem Bann eines vor-lutherischen, päpstlichen Dogmas erlegen.
Wir konnten es nicht glauben, dass dort den Frauen vorgeschrieben wurde, welche Klamotten sie denn zu tragen hätten. Heute laufen Facebook und co heiß, wenn wir über Burkinis im Freibad und Kopftücher in Schulen diskutieren. Anstatt aber mit demonstriert selbstbewusster Freizügigkeit der Verhüllung barbusig oder bararschig zu begegnen, entdecken wir eine neue Spießigkeit, ein neues Biedermeiertum, als wäre es das unsere immer gewesen, und wetteifern mit dem Islamismus über dessen Urheberrechte. Selbst die 1968-Zeit verleugnen wir.
Keine Dialektik zwischen Moderne und vorsintflutlicher Unkultur findet hier statt, sondern archaischer Wettbewerb, wer in vorsintflutlichen Unkultur das Revier als erster abgebrunzt hat.
Wenn Islamisierung etwas Negatives ist, dann hat sie uns schon lange erfasst. Von innen heraus hat sie uns gefressen.