Surrealer könnte das Szenario kaum sein: ein ausländischer Regierungschef kommt zu Besuch nach Italien. Nicht in die Hauptstadt, sondern nach Mailand, wo er in der Präfektur vom Innenminister empfangen wird. Dort huldigte Matteo Salvini seinem "Freund und Vorbild" Viktor Orban. Und Ungarns ultrarechter Premier genoss seine erste politische Anerkennung in Westeuropa: "Mein Freund Salvini ist in Ungarn so populär, dass er die Wahlen gewinnen könnte". Zu sagen hatten sich die beiden Rechtsausleger nichts, was man nicht bereits vorher gewusst hätte. Dass die EU in jeder Hinsicht obsolet sei, Afrikaner auf den schwarzen Kontinent gehören und die Grenzen mit Stacheldraht zu sichern seien. An grossen Sprüchen liess es Salvini wie gewohnt nicht fehlen: "Siamo vicini a una svolta storica a livello continentale." Frankreichs Präsident Macron wurde einmal mehr zum gemeinsamen Feindbild gekürt. Die Begegnung der beiden dauerte gerade mal 20 Minuten. Ein paar Fragen von Journalisten wurden zugelassen. Dann verschwand der ungarische Präsident wieder von der Bildfläche. Auf der Piazza San Babila protestierten derweil rund 10.000 Menschen gegen den Besuch.
Fast gleichzeitig empfing Regierungschef Giuseppe Conte im römischen Chigi-Palast den tschechischen Präsidenten Andrej Babis, der das Regierungsgebäude sichtlich zufrieden verliess, nachdem er dem Premier versichert hatte, sein Land werde "keinen einzigen Migranten aufnehmen." Italiens gefährlicher Schwenk nach Visegrad war mit der Aufwertung zweier Länder vollzogen, die für Roms Interessen völlig nebensächlich sind.
Das Murren in der Fünf-Sterne-Bewegung über die Huldigung an Orban ist für Salvini ein nebensächlicher Effekt. So wie die Ermittlungen der Staatsanwälte: "Inchieste, indagini e processi non mi faranno cambiare idea." Beide verfolgen dieselben Ziele: einen autoritären, antieuropäischen und migrantenfreien Staat, der sich an erzkonservativen Wertvorstellungen orientiert - ganz im Sinne von Salvinis Rosenkranz-Eid.
Wie lange die Fünf-Sterne-Bewegung dieses Spiel im Kielwasser des stets tonangebenden Vizepremiers mitmachen kann, bleibt fraglich. Ein Grossteil ihrer Ministerriege bleibt unsichtbar.
Für die Fünf-Sterne-Bewegung ist der Mailänder Auftritt der beiden ein deutliches Warnsignal. Denn Matteo Salvini, dessen Popularität ständig steigt, hat sich einmal mehr als der starke Mann gezeigt, der das Land von Grund auf verändern will. Nächster Schritt ist das Gesetz über die nationale Sicherheit, mit dem der Gebrauch von Schusswaffen erleichert werden soll.
Wie lange die Fünf-Sterne-Bewegung dieses Spiel im Kielwasser des stets tonangebenden Vizepremiers mitmachen kann, bleibt fraglich. Ein Grossteil ihrer Ministerriege bleibt unsichtbar. Die Gegner des harten Salvini-Kurses scharen sich um Kammerpräsident Roberto Fico. Luigi Di Maio begnügt sich mit fast täglichen Interviews, in denen er von den geplanten Reformen schwärmt.
Doch der Regierung bleiben nur noch wenige Wochen, um dem Parlament ihren Haushalt vorzulegen. Dann schlägt die Stunde der Wahrheit und dann wird man sehen, was von der angekündigten Pensionsreform, vom Bürgerlohn und der Reduzierung der EU-Beiträge übrig bleibt. Di Maios Ankündigung, die Regierung werde sich nicht um die Drei-Prozent-Defizithürde kümmern, wurde von dem in Peking weilenden Finanzminister Giovanni Tria umgehend dementiert. Internationale Investoren haben allein im Juni 30 Milliarden an italienischen Staatspapieren abgestossen. Salvinis Ankündigung, Italien werde der EU in Zukunft nicht mehr 20 Milliarden "in den Rachen schmeissen", wurde in Brüssel umgehend dementiert. Rom habe bisher jährlich 14 Milliarden überwiesen, von denen 11 an Beiträgen wieder nach italien geflossen seien. Der Netto-Betrag belaufe sich auf rund drei Milliarden. 12,5 Milliarden wird die Regierung allein der Verzicht auf die Anhebung der Mehrwertsteuer kosten.
Salvini verfolgt vor allem ein vordringliches Ziel. Er strebt baldige Wahlen an, um seine wachsende Popularität auszunützen. Und um der EU in ihrer bisherigen Form den Todesstoss zu versetzen. Doch das Triumphgeschrei soll vor allem davon ablenken, dass Italien mit 0,2 Prozent das geringste Wachstum aller OECD-Staaten aufweist. Und dass die internationalen Finanzmärkte bei neuer Verschuldung den sattsam bekannten Zinsaufschlag in die Höhe treiben könnten. Das hat mit Silvio Berlusconi bereits einen Verbündeten Salvinis zum Rückzug gezwungen.