103 Tage nach der Vereidigung der neuen Regierung ist noch immer kein Programm in Sicht. Das in Italien bestbewährte System der veti incrociati verhindert wirksam jede Einigung. M5S und Lega versteifen sich auf gegensätzliche Programmpunkte. Di Maio beharrt auf dem Grundeinkommen und fordert zusätzlich eine pensione di cittadinanza. Salvini will nicht einsehen, dass Nichtstuer vom Staat bezahlt werden sollen: "Non paghiamo nessuno per stare sul divano e guardare la televisione." Di Maio widersetzt sich der von Salvini vorgeschlagenen pace fiscale: "Non voteremo nessun condono". Unter pace fiscale versteht die Lega eine einmalige Sanierung von Steuerschulden sowie unbezahlten Strafen und Gebühren. Salvini besteht zusätzlich auf einer Herabsetzung des Pensionsalters auf 62 Jahre für jene, die 38 Beitragsjahre aufweisen.
Was beide Vizepremiers verbindet, ist der Griff in die Staatskasse, der unweigerlich zu einer Erhöhung der Verschuldung Italiens führt, die eine Rekordsumme von 2323 Milliarden Euro erreicht hat. Dagegen wiederum sperrt sich der parteilose Wirtschaftsminister Giovanni Tria.
Die Zeit drängt. denn das von der Tageszeitung Avvenire als "manovra bollente" definierte Haushaltsgesetz muss bis 27. September in Brüssel hinterlegt werden - ein knapper Termin angesichts der bestehenden Divergenzen. Die einzige unstrittige Ausgabe im Haushalt sind jene 12 Milliarden Euro, die erforderlich sind, um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu vermeiden. Salvini demonstriert Sturheit: "Dobbiamo essere più coraggiosi nelle nostre scelte, sul reddito di cittadinanza non arretreremo di un millimetro".
Der Lega-Chef will die Defizitgrenze von 3 Prozent aufweichen - um weitere 36 Milliarden zur Verfügung zu haben - der einzige Punkt, der die beiden Parteivorsitzenden eint. Di Maio: "Bisogna mantenere le promesse altrimenti è inutile governare. Non ce lo vogliono lasciar fare." Fast täglich kommen neue Vorschläge auf den Tisch - wie jener der Gesundheitsministerin Giulia Grillo nach einer Reduzierung der ticket sanitari. Einzige Gemeinsamkeit: das Vorhaben, die Reformen mit Staatsgeldern zu finanzieren - auch gegen Trias Willen. Di Maio "Se insiste, salta." Das wiederum würde Staatspräsident Mattarella sicher verhindern.
Salvini und Di Maio befinden sich in einer ungemütlichen Situation: sie können nicht öffentliche eingestehen, dass Steuersenkungen ( flat tax) und bedingungsloses Grundeinkommen unvereinbar sind. Und sie wissen mittlerweile, dass jede unbedachte Äusserung den spread in die Höhe treiben kann.
Ärgerlich ist, dass Lega und M5S auch dort untätig sind, wo ihr Einsatz gefragt ist: seit Wochen verzögern sie wegen interner Divergenzen die Ernennung des verantwortlichen commissario für den Neubau der eingestürzten Brücke in Genua und die Familien der Häuser im Einsturzbereich warten nach mehrere Protestkundgebungen noch immer darauf, dass sie kurz in ihre Wohnungen gelassen werden, um für sie wesentliche Dinge zu bergen. Das öffentliche Duell zwischen dem ligurischen Präsidenten Toti und Verkehrsinister Toninelli ist ein exemplarisches Beispiel von Uralt-Politik.