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Das Wunder von Schönau

Wie sauber ist der Strom aus der (südtiroler) Steckdose tatsächlich? Wie Bürger, Stromrebellen aus einem Bergdorf im Schwarzwald, die Sache in die eigene Hand nahmen.
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Foto: EWS Schönau

Das Wunder von Mals ist in aller Munde, doch gallische Dörfer unerschrockener Pioniere der Nachhaltigkeit gab und gibt es auch anderswo - dazu später mehr.

Bei uns Südtirolern kommt nur saubere, heimische erneuerbare Energie aus der Steckdose - so der Volksglaube.  Dabei kommt die Entzauberung dieser Illusion jedes Jahr per Post in den Briefkasten. Bei allen Alperia Kunden war es Anfang des Monats August wieder so weit. Da listet die Alperia im Detail auf woher der Strom aus der Steckdose tatsächlich kommt, dank einer verpflichtenden gesetzlichen Bestimmung (siehe Bild Gallerie). Heraus kommt, dass auch für Südtirol Bäume im Hambacher Forst gefällt werden.

Siehe da, nicht einmal die Hälfte des Stroms ist erneuerbar.

Wir bekommen dafür recht viel Strom aus Erdgas, vermutlich aus Italien (34%), Stein- oder noch schmutzigere Braunkohle, vermutlich aus Deutschland und somit auch aus den Tagebauen der RWE am Hambacher Forst (11%) und auch Atomstrom, vermutlich aus Frankreich, Schweiz oder Slowenien (knapp 3%).

Dabei geht es nicht darum wer genau "meine" Elektronen in meinem Stromkabel angeschubst hat. In ganz Europa hängen wir an einem gemeinsamen Netz. Es geht darum wer mein teueres Geld für die Stromrechnung bekommt und was er damit macht.

In Südtirol verkaufen wir offensichtlich unsere Wasserkraft, die wir im Überschuss produzieren, für gutes Geld nach Italien oder vermutlich auch an Ökostromkunden ins Ausland. Für die eigenen Kunden kaufen wir dafür "schutzigen" Strom möglichst billig zu, und finanzieren diese "schmutzigen" Anlagen damit mit.

Was also tun? Ich habe momentan die Option "Grüne Energie" von Alperia gewählt, für einen monatlichen Aufpreis von einem Euro. Alperia verspricht damit Strombeschaffung zu 100% aus erneuerbaren Quellen. Doch trage ich damit tatsächlich entscheidend zu einem nachhaltigen ökologischen Umbau der Energieversorgung bei?

Szenenwechsel - die Geschichte einer Stromrebellion

Noch viel tiefgreifer waren die Fragen, die sich eine Gruppe um Lehrerin Ursula und Arzt Michael Sladek aus dem beschaulichen und ländlich-konservativen Schönau im südlichen Schwarzwald (2500 Einwohner) im Jahr 1986 nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl gestellt haben:

Können wir unser Gemüse im Garten noch essen? Können unsere Kindern noch auf dem Spielplatz spielen? Wie können wir auf Atomkraft verzichten?  Wie können wir auf erneuerbare Energien umsteigen?

Man beratschlagt sich mit anderen Eltern und wird aktiv. Eine Anzeige im lokalen Anzeiger gibt den Anstoß zur Gründung der Bürgerinitiative «Eltern für eine atomfreie Zukunft».

Die Schönauer Bürger wollen nicht auf Politiker und Energieversorger warten. Sie halten Stromsparberatungen ab, sorgen mit Infoständen für Aufklärung. Sie veröffentlichen Energiespartipps und schreiben Stromsparwettbewerbe aus. Zudem organisieren sie Hilfe für eine Kinderkrebsklinik in Kiew. Und mit ungewöhnlichen Aktionen machen sie ihr Anliegen populär: Die Kabarettgruppe «Wattkiller» geht auf Tournee. 

Im nächsten Schritt gründen Schönauer Bürger eine kleine Firma, um die Produktion von ökologischem Strom zu fördern. Sie reaktivieren kleine Wasserkraftwerke und unterstützen Bürger, die in Blockheizkraftwerke und Photovoltaikanlagen investieren. Vom damaligen örtlichen Energieversorger und Atomkraftwerksbetreiber fordern die Aktivisten energiesparfreundliche Tarife mit geringen Fixanteil und die Förderung regenerativer Energien. Der Strommonopolist blockiert jedoch die Initiativen der Aktivisten.

Die schönauer "Stromrebellen" entscheiden folglich die lokale Energieversorgung in die eigenen Hände nehmen zu wollen und versuchen das lokale Stromnetzt zu übernehmen.

Nach einer athemberaubenden Geschichte, zwei Bürgerentscheiden und einer nationalen Spendenkampagne, der «Störfall-Kampagne», zur Aufbringung eines völlig überhöhten Kaufpreises, wird das Netz gekauft und 1997 die EWS Schönau gegründet. Auf dem Dach der evangelischen Kirche wird eine große Solaranlage errichtet. (Damals war Photovoltaik ja fast noch Weltraumtechnik) (siehe Bild, einfach Gallerie durchblättern)

1998 wird dann der Strommarkt liberalisiert: Nun kann jeder Stromkunde selbst entscheiden, woher er seinen Strom bezieht. Die EWS bieten sofort bundesweit Ökostrom an, später auch Biogas. Mit dem Förderprogramm «Sonnencent» unterstützen die EWS mittlerweile bereits rund 2.700 kleine dezentrale Kraftwerke in Bürgerhand, 160 000 Kunden beziehen Schönauer Ökostrom.

Diese Geschichte habe ich als junger Student vor fast 10 Jahren von Ursula Sladek in Schönau selbst erzählt bekommen. Geschlafen haben wir auf Isomatten in einem Schönauer Kindergarten.

Die Schönauer werden anschließend mit Preisen überschüttet, unter anderem mit dem Goldman Environmental Prize 2011, dem "Nobelpreis für Umweltschutz". Ursula Sladek wird dazu von Barack Obama empfangen. (siehe Bild Gallerie)

Warum würde ich auch heute noch Strom bei der EWS Schönau kaufen?

Die Stadtwerke beziehen Ökostrom aus Neuanlagen nach zertifizierten Kriterien. Mit meinem Geld wird so laufend in neue Anlagen investiert. EWS Schönau ist und bleibt zudem eine Bürgergenossenschaft. Förderprogramme wie der Sonnencent fördern die Bürgerenergiewende, Energiegerechtigkeit und Klimaschutz. Bürger werden vom Konsumenten zum Produzenten und zu aktiven Vorantreibern der Energiewende.

Schade, dass die EWS Schönau nicht nach Südtirol liefert.

Wo bleiben die Stromrebellen in Südtirol?

In Südtirol dagegen wiegt man sich indessen im falschem Gutglauben der sauberen "Energie Autonomie".

Dabei haben die Südtiroler im  Energiebereich eine Geschichte von Betrug, Vetternwirtschaft und Umweltverbauung hinter sich, mit dem SEL Skandal als Höhepunkt. Wurden die Südtiroler noch nicht genug wachgerüttelt um das Thema Energieerzeugung endlich kritisch zu hinterfragen?

Energie ist Politik und Macht und Geld. So propagiert man die unverhältnismäßige Ausreizung der Wasserkraft bis zum letzten Tropfen. Das letzte Kapitel dieser Reihe ist die Zulassung von Kleinwasserkraft auch für Höfe mit Stromanschluss, mit dem Risiko der Verbauung der letzten verbliebenen Wildbäche im Gebirge.

Es braucht jetzt verantwortungsvolle, wachsame und nachhaltige Politik, sowie mündige Bürger. Menschen, die Eigeninitiative zeigen, mit mir den Stromanbieter wechseln (hat jemand einen Tipp?), und vielleicht auch die gerade erst neu geschaffenen Möglichkeiten der direkten Demokratie nutzen. Es gibt zudem neue Herausforderungen, wie die (saubere) Elektrifizirung der Möbilität.

Auch die Malser haben schon ihr Stromnetz zurückgekauft!

Ansonsten fände ich die Sarner ganz gut geeignet das Thema Energie in die eigene Hand zu nehmen. Etwas eigen waren die Sarner wohl schon immer, Photovoltaik und Wasserkraft haben sie schon sehr viel und auf dem Penser Joch dreht das erste Kleinwindrat. Machen wir doch auf den Kirchendächern weiter.