Der Angeklagte, der vor Fernsehkameras zu Monologen neigt, schweigt beharrlich. Nicht unbedingt aus eigener Überzeugung. Seine Verteidiger haben Silvio Berlusconi wenige Tage vor dem entscheidenden Urteil des Höchstgerichts absolutes Redeverbot erteilt. Jeder überflüssige Kommentar könnte die Situation des Ex-Pemiers unnötig erschweren. Auch Berlusconis Verteidiger geben sich im Vorfeld der Gerichtsverhandlung eher wortkarg. Sein
neuer Anwalt Franco Coppi, ein prominenter Strafverteidiger, der nicht aus Berlusconis Dunstkreis kommt, will den Cavaliere davon überzeugen, auf die Verjährung zu verzichten und einen Freispruch anzupeilen, der im Kassationsgericht durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Der übliche Vorwurf der roten Roben geht dort ins Leere.
Freispruch im Bereich des Möglichen
Das Höchstgericht hat Berlusconi bereits im Mediatrade-Verfahren freigesprochen. Keiner der fünf Richter, die am Dienstag in letzter Instanz über den Vorwurf des Steuerbetrugs entscheiden, ist jemals durch Sympathien für die Linke aufgefallen. Berlusconis Hausblatt "Il Giornale" heizt seit Tagen mit bürgerkriegsähnlichem Vokabular die Stimmung an. Seine kämpferische Vertraute Daniela Santanché stellt im Falle einer Verurteilung Massenkundgebungen seiner aufgebrachten Anhänger in Aussicht - ein im August kaum realistisches Unterfangen. Kein Zweifel: eine Bestätigung des Urteils zweiter Instanz würde Italien erneut in schwere politische Turbulenzen stürzen und das Überleben der Regierung gefährden.
Er hat Angst vor der Bedeutungslosigkeit
Was Berlusconi fürchtet, ist nicht die Haftstrafe. Von den fünf Jahren fallen vier unter Strafnachlaß, den Rest müsste er wegen seines Alters ohnedies nicht absitzen. Was er fürchtet, ist der Ausschluß von allen öffentlichen Ämtern. Der Cavaliere müsste als Senator zurücktreten und könnte bei zukünftigen Wahlen nicht mehr kandidieren - mit unabsehbaren Folgen für seine monarchisch strukturierte Partei. Die Richter wissen um die Folgen ihrer Entscheidung für die Zukunft des Landes und könnten der Versuchung erliegen, die heiße Kartoffel weiterzugeben. Als konkrete Möglichkeit gilt neben einer Vertagung die Rückverweisung des Verfahrens an das Mailänder Berufungsgericht, dessen Urteilsbegründung als rechtlich unzulänglich eingestuft werden könnte. In diesem Fall müsste der Berufungsprozeß in einigen Monaten neu aufgerollt werden - die in acht Monaten drohende Verjährung würde beim Schneckentempo der italienischen Justiz ein rechtskräftiges Urteil durch das Kassationsgericht ausschließen. Noch ist unklar, welche Anträge die Anwälte Berlusconis und seiner drei Mitangeklagten beim Obersten Gerichtshof einbringen und ob sie auf die Verjährung verzichten - als Gegenleistung fuer eine Verschiebung des Prozesstermins auf September oder Oktober. Auch eine mögliche Zweiteilung des Verfahrens wird von Juristen nicht ausgeschlossen. Sicher ist: am Dienstag steht eine Entscheidung an, die Italiens politische Zukunft nachhaltig beeinflussen könnte.