Politik | Wahlkampf

Der Stimmenfänger vom Spatzenfest

Lega-Chef Matteo Salvini brilliert am Kastelruther Spatzenfest in seiner Paradedisziplin, dem Wahlkampf. Und liefert ein Paradebeispiel für Populismus.
Selfie-Salvini
Foto: Salto.bz

Den Ritterschlag erfährt Lega-Chef Matteo Salvini um Punkt 14 Uhr. Er darf auf die Festbühne, zu den Kastelruther Spatzen. Zuvor schon hat ihn Norbert Rier von dort aus begrüßt: “Es ehrt uns ganz besonders”, dass “der italienische Innenminister Salvini” sich das Spatzenfest “und die vielen treuen Fans” auch “einmal anschauen möchte”.

Vorige Woche noch glaubte Rier an einen Scherz, als er von der Nachricht hörte, wer beim Spatzenfest aufkreuzen wird. Davon lässt er sich jetzt nichts anmerken, Rier ist genauso Profi und Showman wie Salvini.
Später jedenfalls werden sich die beiden zuprosten. Gemeinsam auf der Bühne.

 

Es ist aber nicht der Innenminister Salvini, der am Sonntag kurz vor 13 Uhr das weitläufige Festgelände oberhalb von Kastelruth betritt. Es ist auch nicht der “Spatzen”-Fan oder der Südtirolurlauber Salvini. Sondern der Wahlkämpfer Salvini.

In seiner Paradedisziplin brilliert der Lega-Chef auch abseits großer Städte und italienischem Publikum. Das hat sein Besuch beim Spatzenfest am Sonntag gezeigt. Der war ein Paradebeispiel für Populismus.

 

Slogans, Selfies, Show

 

Zu Fuß biegt Matteo Salvini um die Kurve. Die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel. Als er zum ersten Mal angehalten wird, weht hinter ihm weithin sichtbar die Tiroler Fahne in Weiß-Rot. Er freue sich, unter dieser “splendida comunità” zu sein, sagt er in die aufdringlichen Mikrofone der Journalisten. Hier, in “Südtirol”, bringt Salvini fast akzentfrei über die Lippen. Alsbald fragt er nach einem Bier. Er ist gekommen um zu essen und zu trinken, signalisiert er. So wie die allermeisten der Festbesucher auch.

 

Vom Bier trinkt Salvini reichlich, noch bevor er sich an den Tisch setzt, der ihm inmitten des knapp 14.000 Menschen fassenden Festzeltes reserviert wurde. Am Montag habe man erfahren, dass Salvini zum Spatzenfest kommen wolle, verrät einer aus dem OK-Team. “Sie haben nach Orten gesucht, wo an diesem Wochenende besonders viele Leute sind.”

“Sie”, die Lega, die in Südtirol am 21. Oktober als stärkste italienische Partei in den Landtag einziehen könnte. Dank Salvini. Deshalb muss der Capitano ran. “La Lega diventerà il primo partito”, prophezeit er, legt gekünstelt eine Pause ein und meint: “Dopo la SVP, naturalmente.”

 

Rom, Riace, sind weit weg. Dass nur wenige Stunden später der nationale Partisanenverband ANPI wegen Salvini bei dessen Koalitionspartner intervenieren wird, wird wohl die wenigsten scheren, die sich in Kastelruth um 45-Jährigen scharen.
“Non girate lo sguardo da un’altra parte. Fermate Salvini”, ruft ANPI-Präsidentin Carla Nespolo die 5 Sterne Bewegung am späten Sonntag Nachmittag auf. Weil Salvini als Innenminister beschlossen hat, das Vorzeigeprojekt für Integration, das das kleine kalabresische Riace war, zu beenden.

Aber als Innenminister ist Salvini nicht in Kastelruth. Nur die Journalisten bleiben hartnäckig. Für sie ist am Tisch von Salvini Platz, zwischen gut gefüllten Biergläsern und einer bisweilen hysterischen Menge im Selfie-Rausch.

Die Antworten auf die Journalistenfragen könnten aus dem Lehrbuch für Populisten stammen: “Un po’ di lavoro in più, un po’ di sicurezza in più, un po’ di immigrati in meno” wünscht sich Salvini für das Land. Er lässt sich über “un’Europa che ha rotto le scatole” aus und nach der Schuldenkrise gefragt, in die Italien zu schlittern droht, meint er: “Oggi niente spread, ma solo spritz.”

Er hat die Lacher auf seiner Seite, genießt das Bad in der Menge, Gefahr durch unliebsame Störenfriede droht ihm hier keine.

 

Die Orchestrierung zwischen Salvinis Staff und den Veranstaltern des Festes ist prächtig gelungen. Kein geringerer als der langjährige Chef des Organisationskomitees hängt Matteo Salvini einen blauen Schurz um. Ebenso wie Richard ist auch dessen Sohn Martin Fill im OK-Team. Er, der auch Ortsobmann der SVP in Kastelruth ist, weicht nicht von Salvinis Seite, lotst ihn durch die Menschenmenge.
Zu “Herzschlag für Herzschlag” bewegt sich der Tross zum Tisch Nr. 104. Dort wartet Weißbier und ein Giggerle mit Semmel.

Während im Hintergrund die Kastelruther Spatzen ihren letzten Auftritt auf dem diesjährigen Spatzenfest absolvieren, zieht Salvini seine ganz eigene Show ab.

 

Selfie für Stimme?

 

Eine Großveranstaltung wie das Kastelruther Spatzenfest – die perfekte Kulisse zur Selbstinszenierung für einen Mann wie Salvini, der sich berechnend und mit Kalkül als einer “wie du und ich” gibt.

Wahlkampf? Dass Salvini das Fest und seine Besucher dafür missbrauchen könnte, kommt den allerwenigsten in den Sinn. Er gibt sich volksnah, spricht und benimmt sich eher als Popstar denn als der übliche Politiker. Er trinkt aus Biergläsern, die ihm hingehalten werden. Er nimmt Kinder in den Arm, deren Eltern sie ihm hin- und dann auf den Auslöser der Handykamera drücken. Wie der Papst.
Er kennt keine Berührungsängste, schüttelt Hände, verschickt Luftküsse, lässt sich kein Selfie entgehen. Die sind die Wahlgadgets der Lega in diesem Wahlkampf.

Zwischen Bierschwaden, Fett- und Schweißgeruch scheint er sich wohler zu fühlen als seine Begleiter. Die sonnen sich im blendenden Lichte ihres Capitano, wirken ansonsten völlig verloren. Und niemand schert sich um den Kammerabgeordneten Filippo Maturi und das Lega-Spitzentrio für die Landtagswahlen. Einheimische und Gäste wollen ihn sehen – ihn, der sich unters Volk mischt und für jeden ein Lächeln und einen Scherz übrig hat. “Che simpaticone!”

 

Allen weiß-roten Flaggen und Tiroler Adlern, allen Liebeshymnen auf die Heimat – selbst “Dem Land Tirol die Treue” stimmen die Spatzen an bevor der Ehrengast die Bühne betreten darf – zum Trotz: Matteo Salvini darf das Kastelruther Spatzenfest mit dem Gefühl verlassen, “einer von uns” zu sein, als der er sich gegeben hat. Nicht zuletzt deshalb, weil er die Festbühne als politische Bühne nutzen darf – als Innenminister getarnter Wahlkämpfer, der “sichere Grenzen” verspricht. Umringt von der Wahlkampftruppe der Südtiroler Lega, die sich auf der Bühne hinter ihren Capitano schart. Wohl kaum ohne Ok des OK-Teams.
Das Bild scheint jedenfalls niemanden zu stören.

Um 14.19 Uhr fährt ein VW Passat mit Matteo Salvini an Bord ab. Er hat noch Termine in Brixen, Bozen und Meran. Im Festzelt verklingt das letzte Lied der Spatzen. “Ciao Amore...”
Das Fest ist Geschichte. Der Wahlkampf läuft weiter. Am Donnerstag wird der Lega-Chef erneut nach Bozen kommen. Damit die Erinnerung an den simpaticone vom Spatzenfest bis zum 21. Oktober anhält. Und besonders viele Selfies dann an den Urnen in eine Stimme umgewandelt werden.

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Martin Daniel Mo., 15.10.2018 - 07:52

Beeindruckend, wie dem nationalistischsten Minister seit etlichen Legislaturen eine Bühne von der heimattümlerischen Welt geboten wird. Wie sich viele anbiedern, von den Musikprofis zu den Südtiroler Festbesuchern u. natürlich von unseren Promis, die aus dem öffentlich wirksamen Kontakt die eigene Selbsterhöhung ziehen. Dass Salvini hier die deutschsprachige Seite seines Italiens für dessen Arbeitsamkeit lobt und direkt danach die siamo-in-Italia-Fans des HCBolzano scharfmachen und sich als Verteidiger der Italianità geben wird, interessiert im Festzelt anscheinend keinen. Ob der LH aus dem Nachbardorf einen herzlichen Empfang des hohen Gastes nahegelegt hat? Jedenfalls wird die Lega, ungefähr wie von Salvini prophezeit, stärkste italienische Kraft im Lande werden, ohne dass ihre lokalen Kandidaten u. Vorhaben irgendeine Bedeutung hätten, während andere ausgefeilte Programme und qualifizierte Köpfe zu kommunizieren suchen. Halt weniger Selfie-tauglich.

Mo., 15.10.2018 - 07:52 Permalink
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△rtim post Mo., 15.10.2018 - 10:12

Wahlkampf - für wen?
Denn seltsamerweise, anders als manche in Italien glauben, haben die Tiroler Bergmenschen, bereits ja ihre eigenen Parteien, auch ohne Romzentrale. Im Gegenteil, ökologisch betrachtet, gibt vielleicht auch eine zuviel.
Mair hat's auf den Punkt gebracht. Die Lega in Tirol sind die Freiheitlichen, u.z. dies und jenseits des Brenners.
Mich erinnert die Veranstaltung an typische Unterhaltungsprogramme für Kolonialherren von früher und heutigen Touristen in Australien, Afrika, Amerika, Asien nur halt ortsversetzt bei den Tiroler Bergindianern.
Ich denke wir hatten schon schlimmere Zeitgenossen und Vertreter-innen Italiens in Bozen. Zumindest hat er, anders als seine politische Mitstreiterin im Jahr 2017, nicht gleich die ethnische Reinigung, die Zwangsvertreibung der Deutsch-Südtiroler-innen gefordert.

Mo., 15.10.2018 - 10:12 Permalink