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In versicherten Händen

Die verspätete Verlängerung der Versicherung hat Thomas Schael den Kopf gekostet. Was steckt aber wirklich hinter dem Versicherungsschutz der Ärzte? Eine Spurensuche.
Ärzte
Foto: upi
Der Tsunami kam nicht gleich nach der Aussprache. 
Nachdem der damalige Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes Thomas Schael auf einer Sitzung am 26. Juni 2018 erklärt hatte, dass der Versicherungsschutz für „grob fahrlässigen Verschuldens des Personals“ (colpa grave) mit Mitternacht 30. Juni 2018 enden würde und sich jeder Arzt deshalb so schnell wie möglich selbst versichern müsse, reagiert die Krankenhausgewerkschaft ANAAO mit professioneller Gelassenheit. 
Il nostro sindacato si è attivato per aderire urgentemente alla polizza dell'ANAAO nazionale, che offre condizioni ancora migliori di quella attuale ed è una delle migliori sul mercato“, heißt es in einem absolut nüchternen Rundmail an die Ärzte einen Tag nach Schaels Ankündigung.
Besondere Aufregung verursacht die Nachricht bei der sonst so kritischen, nationalen Ärztegewerkschaft nicht. Denn Schaels Präzisierung war in Wirklichkeit nichts anderes als die Rückkehr in die normale Versicherungsrealität auf dem italienischen Sanitätssektor. Die ANAAO bietet ihren Mitgliedern in den letzten Juni-Tagen dann auch ein Treffen mit ihrem Versicherungsbroker an, um die Verträge für die Ärzte abzuschließen. Schnell und unkompliziert.
 
Inzwischen spielt die Welt draußen aber verrückt. Die Südtiroler Ärzte-Gewerkschaft BSK/VSK und die Primargewerkschaft ANPO machen über die Medien - allen voran die Tageszeitung Dolomiten - mobil. Von „Dilettantismus“ , von „Versagen”. von „völlig unkorrektem Verhalten“ und vom „bisher größtem Skandal” in der Sanität ist die Rede. Gleichzeitig rufen diese Ärztegewerkschaften eine Art Streik aus. „Ab Montag werden wir nur mehr Notfälle behandeln, denn dazu sind wir ethisch gezwungen”, heißt es kämpferisch. Und: „Die Leute müssen auch wissen, dass sie sich in die Hände von Leuten begeben, die nicht versichert sind.
Wer der Schuldige für die Misere ist, steht dabei vom ersten Moment an fest: Thomas Schael, der ungeliebte Generaldirektor des Südtirol Sanitätsbetriebes. Jetzt hat man endlich den Hebel gefunden, um Schael aus dem Amt zu lupfen.
 

Die Panikattacke

 
Drei Monate vor den Landtagswahlen befällt die Politik eine akute Panikattacke. Gesundheitslandesrätin Martha Stocker zuerst und unmittelbar danach Landeshauptmann Arno Kompatscher springen voller Elan auf diesen publizistisch-politischen Entsorgungskurs auf.
Thomas Schael wird zum Rapport gerufen, abgekanzelt und schließlich fünf Wochen später in die Wüste geschickt. Im Protokoll der „einvernehmlichen Trennung“ zwischen dem Sanitätsbetrieb und Schael - das wie ein Staatsgeheimnis gehütet wird - heißt es dazu wörtlich:
 
Durch das Verhalten des Generaldirektor (als letzter Vorfall wird auf die verspätete Verlängerung der Haftpflichtversicherung des Sanitätsbetriebes und des Personals Bezug genommen) könnte der Grundsatz der Unparteilichkeit und der guten Verwaltung beeinträchtigt werden, was zu einem Vertrauensverlust der Bevölkerung in das öffentliche Gesundheitswesen führt.“
 
Es ist das Wahlgeschenk, das sich die SVP zehn Wochen vor den Landtagswahlen selbst macht. Man will zeigen, dass man auf die Kritik an der Sanitätsverwaltung reagiert.
In Wirklichkeit aber passiert in dieser angeblichen Ausnahmesituation etwas, was kaum dem „Grundsatz der guten Verwaltung“ entsprechen dürfte.
 

Wiener Millionenauftrag

 
Der Sanitätsbetrieb und dessen Angestellte waren in den vergangenen Jahren bei der österreichischen Versicherungsanstalt UNIQA versichert. Als Broker trat dabei die Bozner Agentur Assiconsult auf. Ausgehandelt wurden die Verträge ursprünglich von Schaels Vorgänger Andreas Fabi.
Weil seit langem klar war, dass dieser Versicherungsauftrag mit 30. Juni 2018 endet und der Auftrag schon einmal verlängert worden war, bereiten die zuständigen Ämter des Sanitätsbetriebes eine Ausschreibung für den Versicherungsdienst vor. Dabei schlampt man außerordentlich. Denn die Ausschreibung kann erst am 8. Juni 2018 eröffnet werden. Abgabetermin ist der 16. Juli 2018. Bis zur Vergabe hätte es so rund zwei Monate gegeben, in denen man versicherungstechnisch nicht gedeckt war.
Thomas Schael verhandelt deshalb mit der UNIQA über eine viermonatige Verlängerung bis zum Ende der Ausschreibung. Der Aufschlag, den die österreichische Versicherung für diese Zeitspanne aber will, ist den Sanitätsverantwortlichen zu hoch. Deshalb unterschreibt Schael am 25. Juni einen Beschluss, mit dem die Sanitätseinheit fünf Versicherungen zu einer Ausschreibung einlädt. Die Zeitspanne: 4 Monate. Damit soll eine Weiterführung aller Dienstleistungen gesichert werden. Bis dahin soll die neue Ausschreibung abgeschlossen und der Auftragszuschlag erfolgt sein.
 
Doch Arno Kompatscher lässt Thomas Schael diesen Beschluss zurückziehen. Der Landeshauptmann persönlich spielt Feuerwehrmann. In einem Treffen mit dem Südtiroler Broker von Assiconsult und einem Telefonat in die Wiener UNIQA-Zentrale handelt man eine weitere Verlängerung der laufenden Versicherungen für ein Jahr aus. Kostenpunkt: 7.960.000 Euro.
Innerhalb einer Stunde ist der Deal gelaufen, der gleichzeitig das Todesurteil für Thomas Schael bedeutet.
Es ist eine gefährliche Aktion. Kann man während einer laufenden Ausschreibung, per Telefon und Mail eine fast 8-Millionen-Verlängerung vergeben? Und das vom Büro des Landeshauptmann aus?
Kann man während einer laufenden Ausschreibung, per Telefon und Mail eine fast 8-Millionen-Verlängerung vergeben? 
Mit dieser Frage befasst sich inzwischen die italienische Anti-Korruptionsbehörde ANAC. In den Rechtsämtern des Sanitätsbetriebes geht man davon aus, dass diese Vergabe so nicht möglich ist. Deshalb hat man alle Beschlüsse im Selbstschutzweg der ANAC übermittelt.
So schnell wie der Versicherungs-Tsunami in Südtirol aufzog, verschwindet er auch wieder. Und das aus gutem Grund.
 

Südtiroler Besonderheit

 
Hinter dem Theater um die Haftpflichtversicherung steht ein System, das den Steuerzahler viel Geld kostet und den Südtiroler Ärzten einen Sonderstatus einräumt, den es so nirgends in Italien gibt.
Krankenhäuser und ihr Personal müssen natürlich versichert sein. Dazu gehören das Verwaltungspersonal ebenso, wie Pfleger und Ärzte. Für die Versicherung ist der Arbeitgeber zuständig. Er schließt für alle Bediensteten einen Vertrag mit einer Versicherungsgesellschaft ab. Jahrzehntelang hatten die einzelnen Gesundheitsbezirke verschiedene Verträge mit verschiedenen Versicherungsanstalten. Dabei gab es die unterschiedlichsten Modelle.
Unter Generaldirektor Andreas Fabi wurde dann der Versicherungsvertrag für alle Bediensteten des Südtiroler Sanitätsbetriebes mit der Wiener UNIQA ausgehandelt.
Es ist von Beginn an ein Vertrag der besonderen Art.
Die höheren Verwalter und vor allem die Ärzte brauchen auch eine Versicherung gegen grobe Fahrlässigkeit. Diese Versicherung ist eigentlich rein privat und wird überall auf der Welt vom Betroffenen selbst abgeschlossen und auch von diesem bezahlt. Jede Ärztegewerkschaft oder jede wissenschaftliche Vereinigung von Krankenhausärzten hat Konventionen mit Versicherungen und bietet diese Versicherung ihren Mitgliedern an.
 
In Südtirol ticken aber auch hier die Uhren anscheinend anders. Der bisherige und bis zum nächsten Jahr verlängerte UNIQA-Vertrag schließt auch diese Versicherung gegen grobe Fahrlässigkeit mit ein. Den Versicherten werden die Beiträge für diese Versicherung dann vom Monatslohn abgezogen. „Weil das Unternehmen so 7.000 Leute gegen grobe Fahrlässigkeit versichert, bekommt man den weit besseren Preis“, argumentiert man für dieses System.
Tatsache ist, dass Primare derzeit etwa 49 Euro im Monat dafür zahlen. Hohe Verwalter 25 Euro. Auf dem freien Markt kostet die Monatsprämie drei bis fünfmal so viel.
Was man aber bewusst zurückhält.
Den Preis für diese Vergünstigung trägt der Sanitätsbetrieb und damit der Steuerzahler.

Verzicht auf Regress

 
Macht ein Arzt aus grober Fahrlässigkeit einen klaren Kunstfehler, so zahlt die Krankenhausversicherung dem Betroffenen eine Entschädigung. Der Sanitätsbetrieb und die Versicherung gehen dann aber den Arzt und dessen Versicherung an, um das Geld wegen grober Fahrlässigkeit zurückbezahlt zu bekommen.
So ist es im Normalfall. Doch den gibt es in Südtirol nicht.
Weil Krankenhausversicherung und die persönliche Versicherung der Ärzte ein- und dieselbe sind, müsste die UNIQA gegen sich selbst vorgehen. Was völliger Nonsens wäre.
L' attuale Polizza Aziendale prevede la rinuncia da parte della Compagnia Assicurativa a rivalersi sul medico per danno causato al paziente in seguito a sua colpa grave.
Vor allem steht im Vertrag aber etwas, was für die Ärzte eine Art Freibrief ist. In einem Rechtsgutachten zum Südtiroler System, das die renommierte römische Kanzlei „D'Agostino“ für eine nationale Ärztevereinigung erstellt hat, heißt es unmissverständlich;
 
„L' attuale Polizza Aziendale prevede la rinuncia da parte della Compagnia Assicurativa a rivalersi sul medico per danno causato al paziente in seguito a sua colpa grave.“
 
Konkret heißt das: Der Arzt hat finanziell - sollte er einen fahrlässigen Fehler machen - nichts zu befürchten. Das finanzielle Risiko der privaten Haftpflichtversicherung des Arztes wird damit auf die allgemeine Haftpflichtversicherung des Krankenhauses abgewälzt.
Thomas Schael war Ende Juni dabe,i den Göttern in Weiß dieses verschwiegene Privileg zu entreißen.
Das ist der Hauptgrund für den Aufschrei und den Aufstand der Krankenhausärzte.
 

Gesetzliche Änderung

 
Landeshauptmann Arno Kompatscher hat den bestehenden Vertrag unter gleichen Bedingungen für ein Jahr verlängert und damit auch dieses besondere Privileg für die Ärzte.
Im Schreiben der Südtiroler Sektion einer nationalen Ärztevereinigung an die hiesigen Mitglieder von Ende September heißt es dann auch:
 
„Sicuramente l'attuale contratto stipulato fra UNIQA e la nostra Azienda è ormai unico nel panorama nazionale“.
 
Denn seit rund einem Jahr gibt es in Italien ein Gesetz, das es konkret verbietet die Versicherung des Sanitätsbetriebes und die persönliche Haftpflichtversicherung des Personals gemeinsam auszuschreiben. Deshalb muss man jetzt auch in Südtirol einen anderen Weg gehen.
 
Die laufende Ausschreibung für den Versicherungsdienst vom 1. Juli 2019 bis zum 30. Juni 2022 ist seit dreieinhalb Monaten beendet. Zuschlag gibt es bisher aber noch keinen. Es geht dabei um viel Geld: Für die drei Jahre werden 23.880.000 Euro veranschlagt.
In den Erläuterungen zur Ausschreibung heißt es:
 
„Die persönliche Prämie für die Deckung des grob fahrlässigen Verschuldens, welche das Personal mit eigener Bezahlung tätigen wird, deren Höchstleistungen sowie deren rückwirkenden und nachwirkenden Garantieleistungen werden nur nach Abschluss dieser Ausschreibung, Gegenstand eines Angebots von Seiten der Versicherungsgesellschaft, welche den Zuschlag erhalten hat, sein.“
 
Die Öffentlichkeit wird kaum mitbekommen, wie dieses Angebot ausschauen wird.
Denn dann würde klar werden, warum Thomas Schael so schnell verräumt werden musste.

 

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Frei Erfunden Mo., 29.10.2018 - 13:02

tendenziöser Artikel.
an Herrn Franceschini: als 'Gott in weiss' würden Sie auf manchen Abteilungen kein halbes Jahr durchhalten.
an die Südtiroler Bevölkerung und Politik: die (Südtiroler) Ärzteschaft und das Pflegepersonal sollten mit Samthandschuhen angefasst werden um dem zunehemenden Ärzte- und Fachkräftemangel minimal entgegenzuwirken.

Mo., 29.10.2018 - 13:02 Permalink
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Adalbert Stifter Mo., 29.10.2018 - 20:19

Ich kann es kaum glauben, was Sie da von sich geben, FR°G. Natürlich soll man nicht nur ÄrztInnen, sondern jeder Berufsgruppe mit dem nötigen Wohlwollen und Respekt begegnen. Dies rechtfertigt aber keineswegs die berufliche Vernichtung eines höchst korrekten Ehrenmannes, wie es Herr Schael trotz so vieler falscher Anschuldigungen nun einmal ist. Und es rechtfertigt auch nicht den fast hysterischen Aufschrei der Ärztegewerkschaft, die übrigens knapp, nachdem Schael unter der fadenscheinigen Begründung des Versicherungsskandals abgesetzt war, in den Medien erklärte, dass man diese Versicherung nicht gebraucht hätte, da man ohnehin auch selbst eine solche abschließen könnte. Ich halte das für eine miese Taktik, um einen unliebsamen Gegner ungerechtfertigter Privilegien los zu werden.

Mo., 29.10.2018 - 20:19 Permalink
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Frei Erfunden Di., 30.10.2018 - 15:44

Der Artikel ist tendenziös und schürt Neid und Missgunst gegen die Ärzteschaft. Begriffe wie 'Götter in weiss' und Aussagen wie Ärzte hätten auch bei 'grob fahrlässigem Verhalten' nichts zu befürchten, zeugen einerseits davon, dass der Verfasser wenig Einblick in den Krankenhausalltag hat und zweitens seine offensichtliche Aversion gegen den Ärztestand.
Woher meinen Sie kommt dann die Welle der Defensivmedizin , wie sie immer mehr betrieben wird, wenn einem Arzt ja eh nichts geschieht.
Mir scheint es, dass der Arztberuf heutzutage dem eines Immobilienmaklers oder Finanzhai gleichgesetzt wird.
Nundenn, dann sollte auch eine klare Trennung zwischen Beruf und Ethik die Folge sein, und wissen Sie , welches Szenario dann zu erwarten wäre, Herr Stifter? Dann wird im Nachtdienst bei einem Notfall erst mal die Kreditkartennummer überprüft und ein Betrag von einigen Tausend Dollar abgebucht, bevor ein Spezialist im Krankenhaus erscheint.

Wenn ein Lufthansa Ingeneur zu einem Notfall nachts in den Dienst wegen Turbinenausfall gerufen wird , malen Sie sich mal aus , was er an Rechnung stellt.

Damit will ich sagen , dass ich hoffe, in Zukunft weiterhin Spezialisten im Nachtdienst vorzufinden, ohne meine Kreditkarte zücken zu müssen.

Di., 30.10.2018 - 15:44 Permalink
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A H Di., 06.11.2018 - 22:13

Die Versicherung für grobe Fahrlässigkeit kostet für den Arzt am freien Markt deutlich weniger als jene, die direkt über den Sanitätsbetrieb abgeschlossen werden kann, das muss ich mal klarstellen.
Am meisten profitiert die Versicherung selbst, wenn sie beide Prämien einholt - gegen sich selbst wird kaum jemand prozessieren.... & die Streitkosten fallen weg

Di., 06.11.2018 - 22:13 Permalink