(Alb-)Traum vor Traumkulisse
“Das wäre skandalös!” Wenn Riccardo Insam an die Zukunftspläne seiner Gemeinde denkt, stehen ihm die Haare zu Berge. Anfang August hat sich der Gemeinderat von St. Christina in einem Grundsatzbeschluss für eine Zugverbindung zwischen den Skigebieten Monte Pana und Seiser Alm ausgesprochen.
Einzig Riccardo Insam stimmt dagegen. “Weil das Projekt fatale Auswirkungen hätte”, erklärt er im Gespräch mit salto.bz. Dieser Meinung ist man auch andernorts im Grödnertal. Als “leichtsinnig und beängstigend” bezeichnet man in St. Ulrich die Pläne der Nachbargemeinde, während andere davon träumen, nach einer jahrzehntelangen Diskussion endlich Nägel mit Köpfen zu machen.
Großer, alter Traum
Das kleine Skigebiet Monte Pana am Rande von Gröden an die große Seiser Alm anbinden: Diesen Traum gibt es seit über zwanzig Jahren, sowohl auf Grödner Seite als auch im Schlerngebiet. Schon 1998 wird ein erster Vorschlag für eine Lifttrasse ausgearbeitet, dann aber wieder verworfen.
Indes wird eine Busverbindung zwischen Monte Pana und den Liftanlagen in Saltria eingerichtet. Damit können Skifahrer im Winter zwischen den beiden Skigebieten verkehren. Vor allem jene, die über den Monte Pana in die berühmte Sellarunde einsteigen möchten, nutzen den Busdienst. Doch der Bus verkehrt auf einem Forstweg, belastet die Umwelt. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird immer wieder auf eine fixe Verbindungsanlage gepocht.
Zwei Gemeinden, zwei Geister
Seilbahn oder Schiene? An dieser Frage scheiden sich die Geister in den beiden betroffenen Gemeinden. Am 28. März 2017 spricht sich der Gemeinderat von Kastelruth einstimmig für eine Liftverbindung zwischen Monte Pana und Saltria aus. Doch die Landesregierung erklärt das Vorhaben ein knappes Jahr später “für offensichtlich unzulässig”. Im entsprechenden Beschluss vom 27. Februar 2018 verweist die Landesregierung auf den geltenden Fachplan für Aufstiegsanlagen und Skipisten.
Darin heißt es: “Die Seilbahnverbindung Saltria-Monte Pana könnte eine interessante Alternative darstellen, um in den Wintermonaten definitiv den Busverkehr als Transportmittel für die Skifahrer zwischen Gröden und der Seiser Alm zu ersetzen.” Und weiter: “Auf jeden Fall sollte eine neue Verbindung Gröden-Seiser Alm so geplant und errichtet werden, dass der motorisierte Individualverkehr auf der Alm massiv reduziert und die Verbindung auf jeden Fall gemäß den angeführten Prinzipien des Masterplans Vision Gherdeina entwickelt wird.” Zum Skigebiet Monte Pana wird im Fachplan folgendes vermerkt: “Die Skizone kann als skitechnisch gesättigt eingestuft werden. Zusätzliche Eingriffe müssen daher das Ziel einer qualitativen Verbesserung des bestehenden Angebotes verfolgen und im Rahmen einer Gesamtstrategie bewertet werden, welche den Prinzipien des Masterplan Vision Gherdeina folgt.”
Nur gemeinsam weiter
Der Masterplan “Vision Gherdeina”, auf den sich die Landesregierung bezieht, stammt aus dem Jahr 2014. Und ist ein Novum: das erste übergemeindliches Planungsinstrument in Südtirol – für die zukünftige Entwicklung des Grödner Tales –, entstanden in einem partizipativen Prozess unter Beteiligung der Gemeinden Wolkenstein, St. Ulrich, St. Christina, Kastelruth und Lajen. Darin verpflichten sich die fünf Gemeinden unter anderem, bis 2018 “die Vernetzung der Skigebiete in Gröden mit dem Skigebiet auf der Seiser Alm” zu prüfen. “Hierfür richten wir eine übergemeindliche Arbeitsgruppe ein, welche die wichtigsten Stakeholder involviert. Diese Arbeitsgruppe prüft und bewertet alle verschiedenen Alternativen in jeglicher Hinsicht und in alle Richtungen.” Weiter soll “die Bevölkerung des gesamten Tales in die Entscheidung zur Vernetzung” einbezogen werden.
Auch wenn der Masterplan “Vision Gherdeina” keine bindende Gesetzesgrundlage darstelle, so handle es sich dennoch “um ein richtungsweisendes Instrument”, an das sich die Gemeinden bei der Anbindung von Monte Pana an die Seiser Alm zu halten hätten. Zu diesem Schluss kommt die Landesregierung im Februar 2018. Und weil das Anliegen der Gemeinde Kastelruth nach einer Liftverbindung im Alleingang initiiert wurde, erteilt die Landesregierung dem Vorhaben eine Absage. Und “erhofft sich eine einvernehmliche Vorgangsweise zwischen den betroffenen Gemeinden”.
Zug um Zug
Inzwischen ist auf der anderen Seite des Grödner Baches der Gemeinderat von St. Christina tätig geworden. Denn es liegen bereits drei Machbarkeitsstudien vor: Neben der klassischen Kabinen-Seilbahn auch für eine Zugverbindung.
Bislang war man in St. Christina immer gegen eine Anbindung Monte Pana-Seiser Alm. Ein entsprechender Grundsatzbeschluss des Gemeinderates geht auf das Jahr 2009 zurück.
2015 wird gewählt. Der neue Gemeinderat und Bürgermeister Moritz Demetz leiten eine Kehrtwende ein. “Wir haben die ersten zwei Jahre unserer Amtsperiode gearbeitet und keine Kosten und Mühen gescheut, eine Verbindung vom Talboden bis Monte Pana schmackhaft zu machen.” So steht es im Dokument mit der Nr. 30, das am 23. Oktober 2017 im Gemeinderat von St. Christina verabschiedet wird. Es ist ein neuer Grundsatzbeschluss: Ja zur Verbindung Monte Pana-Saltria, und zwar zur Bahnverbindung. Man erlegt sich ein sechsmonatiges Moratorium auf, in dem die Schienenanbindung “auf die effektive Realisierbarkeit” hin überprüft werden soll.
Am 26. Juli 2018 tritt der Gemeindeausschuss von St. Christina um Bürgermeister Demetz zusammen. Mittlerweile ist ein einziges Projekt samt Machbarkeitsstudie für die schienengebundene Verbindung Monte Pana-Saltria eingereicht worden. Demetz hat sich diesbezüglich auch bereits mehrmals mit seinem Kastelruther Amtskollegen Andreas Colli getroffen.
An diesem Tag beschließt der Gemeindeausschuss von St. Christina das weitere Vorgehen. Zunächst soll die Zustimmung der Gemeinderäte von St. Christina und Kastelruth zur Zugverbindung eingeholt werden, die Trassierung im Fachplan Skipisten und Aufstiegsanlagen bzw. in die Bauleitpläne der beiden Gemeinden, auf deren Gebiet die Zugverbindung entstehen soll, eingetragen. Parallel soll eine gemeinsame, beratende Arbeitsgruppe gebildet werden.
Behutsam weiter
Schon eine Woche später ist der Gemeinderat von St. Christina am Zug. Am 2. August kommt es zur Abstimmung über die Pläne des Gemeindeausschusses. Es ist ein weiterer Grundsatzbeschluss, mit dem der Gemeinderat mehrheitlich für die Zugverbindung Monte Pana-Saltria stimmt. “Der Gemeinderat spricht sich für eine Verbindung Monte Pana-Seiseralm auf Schienen aus und für das Eintragen der diesbezüglichen Trassierung wie in den überprüften Plänen der Machbarkeitsstudie aufgezeigt, im Fachplan für Skipisten und Aufstiegsanlagen oder andere sowie in den diesbezüglichen Bauleitplan der Gemeinde St. Christina Gröden (und Kastelruth).” Darüber hinaus fordert der Gemeinderat “auch die Machbarkeit einer Weiterführung der Trasse bis ins Tal nach St. Christina-Zentrum”.
Die Message aus St. Christina ist klar: Wir wollen einen Zug von Monte Pana nach Saltria – der bestenfalls bis ins Dorf fährt.
Die Entscheidung in Kastelruth steht noch aus. Bekanntlich bevorzugt man dort eine Liftverbindung. Das Land aber pocht auf ein gemeinsames Vorgehen der beiden Gemeinden. Das weiß man auch in Kastelruth – und wagt sich behutsam an die Öffentlichkeit. “Die Gemeinde St. Christina hat sich nun erstmals für eine Verbindung ausgesprochen, jedoch mittels Zugverbindung”, informieren SVP-Fraktionssprecher und -Ortsobmänner die Basis im Mai. “Da eine übergemeindliche Lösung gefunden werden muss, wird sich wohl auch unser Gemeinderat mit dieser Lösung anfreunden, obwohl die Gleise landschaftlich sicher einschneidender sind.”
Widerstand in Gröden
“Landschaftlich einschneidender” – Riccardo Insam hat für eine mögliche Zugverbindung nur ein Wort übrig: “Skandalös!” Als einziger hat der Bürgerlisten-Gemeinderat und Wanderführer sowohl im August 2018 als auch im Oktober 2017 gegen das Vorhaben gestimmt. “Eine Zugverbindung wäre fatal”, sagt Insam zu salto.bz. Sie würde das Kleinod, die “Oase für Familien”, die “Ruhezone” und das “Idyll”, das das Gebiet um den Monte Pana für Insam darstellt, verunstalten – und die massiven Eingriffe das fragile Gleichgewicht dort empfindlich stören. “Die Trasse würde dem Straßenverlauf folgen und dort befinden sich Trinkwasserquellen”, gibt Insam zu bedenken. Mit seinem Widerstand steht er nicht alleine.
Im Grödner Tal hat sich eine Initiative gebildet, die sich offen gegen die Zugverbindung und für den “Schutz des Monte Pana und der Cunfin-Wasserquellen” ausspricht. “Wir finden es leichtsinnig und beängstigend, dass man gedenkt, auf diesem Gebiet mit schwerem Gerät und giftigen Stoffen einzugreifen”, schreibt die Initiative um Sara Stuflesser (Gemeinderätin von St. Ulrich), Tullio Mussner (Vorsitzender der “Lia da Mont Gherdeina” AVS-CAI) und Engelberth Maurone (Vorsitzender der “Lia per Natura y Usanzes”) in einer Aussendung. Sie warnen: “Unterirdische Wasserwege zu verunreinigen könnte katastrophale Folgen für St.Ulrich und das Tal mit sich bringen, deren Auswirkungen unsere Lebensqualität für immer verändern könnte.” Und: “Es wäre kurzsichtig und anachronistisch, eines unserer wertvollsten verbleibenden Naturreservate sehr kurzfristigen Geschäftsinteressen zu opfern, wofür die Allgemeinheit und unsere Kinder den Preis zahlen müssten. Wir sind DAFÜR, dass das Gebiet ein von sämtlichen Bahn-und Aufstiegsanlagen frei gehaltenes Natur- und Erholungsgebiet bleibt und fordern mit Nachdruck, dass es für die einheimische Bevölkerung und für die Touristen unseres Tales in der jetzigen Form erhalten bleibt.”
Auch in St. Christina selbst scheint das Vorhaben nicht auf ungeteilte Zustimmung zu stoßen. “Ich höre von allen Seiten, dass die Menschen dieses Projekt nicht wollen”, berichtet Riccardo Insam. Er verspricht: “Sollte die Zugverbindung beschlossen werden, würde ich ein Referendum darüber beantragen, damit sich die Bevölkerung damit befassen und entscheiden kann.”
Aktuell befahren alte und
Aktuell befahren alte und uralte Busse – in der Hochsaison teilweise vier gleichzeitig – die Trasse. Abgesehen von der Abgas- und Lärmbelastung kann es aufgrund des Alters der Busse und des im Winter teilweise sehr schlechten Zustandes der Schotterstrasse jederzeit zu einem Austritt toxischer Flüssigkeiten (Diesel, Hydrauliköl, Bremsflüssigkeit). Ein modernes schienengebundenes elektrisches System à la Gherdeina Ronda oder Mendelbahn wäre platzsparender, umweltfreundlicher, leiser und effizienter als die derzeitigen Busse.
Wenn man die Verbindung zwischen Saltria und Cendevaves aufrecht erhalten will, dann sollte allein schon aus umweltschutzgründen das bestehende Bussystem schnellstmöglich ersetzt werden. Vom mangelnden Komfort, vom Skipass abgekoppeltes System, Überlastung usw. will ich gar nicht erst reden …
Es wäre ein fatales Signal,
Es wäre ein fatales Signal, im Jahre 2018 eine bis dahin weitgehend unberührte Landschaft am Fuße der Langkofelgruppe durch eine Zugtrasse mit tausenden Tonne Beton und Stahl ein für allemal zu zerschneiden. Wir würden mit dieser Verbindung nur noch mehr Menschen in noch kürzerer Zeit auf die Seiser Alm bzw. in die Sellaronda bringen, die bereits jetzt aus allen Nähten platzt, verkaufen es allerdings als qualitative Aufwertung des Gebiets. Wir glauben offensichtlich immer noch an grenzenloses Wachstum in einem sehr labilen alpinen Ökosystem, und verscherbeln auf dem globalen Markt aus Profitgier das Erbe unserer Großväter. Wir haben eine moralische Verpflichtung unseren Enkeln gegenüber, diese einmalige Natur-und Kulturlandschaft zu schützen und zu erhalten. Es wäre ein mutiges und konsequentes Signal, die gesamte Zone unter Naturschutz zu stellen, und ein für allemal den Begehrlichkeiten der Tourismusindustrie zu entziehen. Dies hätte Signalwirkung weit über unser Tal hinaus, und könnte eine Wende hin zu einem sanfteren Tourismus einleiten.