Vier Monate nach der Vereidigung des neuen Kabinetts ist die anfängliche Euphorie der Regierungspartner der Ernüchterung gewichen. Lega und M5S liegen auf Konfrontationskurs. Wichtigstes Konfliktthema: die Justiz. Die Fünf-Sterne-Bewegung hält eine Reform der Verjährungsfristen für vordringlich, die Lega lehnt den entsprechenden Vorstoss von Justizminister Bonafede ab. Im Gegenzug drohen die Grillini, im Senat Salvinis umstrittenes decreto sicurezza zu kippen. Der Innenminister wiederum droht mit der Vertrauensfrage. Damit hat das Verhältnis zwischen den Regierungsparteien einen Tiefpunkt erreicht. Jede Seite pocht auf Priorität für die eigenen Reformvorschläge. Die Fünf-Sterne-Bewegung will erreichen, dass bei Korruptionsvergehen die Verjährungsfrist ausgesetzt wird, um eine Straffreiheit der Täter zu verhindern. Die Ministerin und Anwältin Giulia Bongiorno weist das Ansinnen entrüstet zurück: "Significa introdurre una bomba atomica nel processo penale." Das Klima ist gereizt, eine Gruppe M5S-Senatoren hat angekündigt, gegen Salvinis Dekret zu stimmen, scheint sich aber nach langen Diskussionen damit zu begnügen, vor der Abstimmung den Saal zu verlassen.
Insgesamt mutet die Lage eher chaotisch an. Die Fünfsterne-Bewegung musste ihren Widerstand gegen die Trans-Adria-Pipeline aufgeben. Die Basis reagierte aufgebracht. Die Lega wiederum musste auf Drängen der Grillini im Turiner Gemeinderat plötzlich gegen die von ihr stets befürwortete Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon stimmen. Innenminister Salvini hat mittlerweile die Verantwortlichen für die jüngste Überschwemmungskatastrophe ausfindig gemacht: "L'ambientalismo da salotto che non ti fa toccare l'albero nell'alveo."
Doch mittlerweile bestimmen offenbar nicht mehr die Parteien die Agenda der Regierung, sondern die Naturkatastrophen oder andere unvorhergesehene Ereignisse. Eine Millarde Euro wurden den betroffenen Regionen bereits zur Verfügung gestellt.
Die 12 Toten in Sizilien wiederum haben die Diskussion um illegales Bauen neu entfacht. Auf der Insel sind nach einer vom Corriere publizierten Statistik 57 Prozent der Häuser gesetzeswidrig gebaut.
Der vor 7 Jahren verfügte Abriss des überschwemmten Gebäudes wurde nie durchgeführt. Nach der simplen Logik, dass im Süden abgewählt wird, wer illegales Bauen bekämpft. Bei den Regionalwahlen in Sizilien war auch der M5S-Spitzenkandidat Giancarlo Cancelleri ins Fettnäpfchen getreten, als er den "abuso per necessità" rechtfertigte.
Finanzminister Tria kämpft derweil vor der EU-Kommission um das Haushaltsgesetz. In dem in Brüssel hinterlegten Gesetz fehlen Kernstücke der versprochenen Reformen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist nur angedeutet, wichtige Details fehlen. Der Bürgerlohn galt als wichtigste Reform der Fünfsterne-Bewegung. Doch Lega-Staatssekretär Giancarlo Giorgetti winkt ab: "Il reddito di cittadinanza ha complicazioni attuattive non indifferenti." Was für die Cinque Stelle das Grundeinkommen war, ist für Salvinis Lega die Reform der Pensionsregelung Fornero: wer 38 Beitragsjahre aufweist, sollte mit 60 in Pension gehen dürfen. Doch auch hier bleibt vieles nur angedeutet. Die hohen Kosten wirken abschreckend.
Das von den Grillini nun vorgelegte "anticorruzione"-Gesetz, das Steuerhinterzieher und korrupte Politiker und Verwalter hinter Gitter bringen soll, ist der Lega ebenso ein Dorn im Auge wie die vom M5S geforderte "absolute Transparenz" bei Parteispenden. In einem Abänderungsantrag fordert sie die Streichung von 8 missliebigen Artikeln.
Vizepremier Di Maio ist indessen erneut nach China geflogen ("con nun velivolo Alitalia ed in 2a classe"), Innenminister Salvini hält sich in Ghana auf. Ab Dienstagnachmittag kommt es im Senat zur Konfrontation über das umstrittene decreto sicurezza des Innenministers. Der an Deutlichkeit wie üblich keine Wünsche offen lässt: "Speriamo che non facciano scherzetti, se no cade il governo."
Dass ein Vizepremier wenige Monate nach seinem Amtsantritt mit dem Sturz der Regierung droht, ist kaum ermutigend für die politische Zukunft des Landes. In den Umfragen liegen die beiden Regierungsparteien fast gleichauf: 30,6 % für die Lega, 29 % für die Fünf-Sterne-Bewegung. In der Liste der beliebtesten Politiker führt Staatspräsident Mattarella mit 65 % vor Giuseppe Conte mit 61, Salvini mit 60 und Di Maio mit 57 Prozent.
Die für 11 Uhr anberaumte Sitzung der Verfassungskommission der Kammer ist indessen unter lautstarken Auseinandersetzungen auf unbefristete Zeit verschoben worden