Mit Jubel und Euphorie hat die Fünf-Sterne-Bewegung am Donnerstag auf die Verabschiedung des Dekrets zum Neubau der eingestürzten Autobahnbrücke in Genua reagiert. Verkehrsminister Danilo Toninelli reckte wie bei einem Fussballtor die Faust in die Höhe und wurde dafür von der Senatspräsidentin gerügt: "Non venga più in questa'aula ad alzare i pugni. Non glielo permetteremo." Forza Italia protestierte zusätzlich gegen den Kaugummi im Mund des Verkehrsministers.
Grund zum Jubel besteht freilich nicht. Denn nichts könnte die byzantinischen Rituale und die schleppende Arbeit des römischen Parlaments deutlicher demonstrieren als das Gezerre und die Leerläufe um die Tragödie von Genua mit ihren 43 Toten. 80 Abänderungen wurden am Dekret vorgenommen. Mit lähmender Langsamkeit widmeten sich die Parlamentarier überflüssigen Details, während dem Kommissar für den Wiederaufbau, dem Genueser Bürgermeister Bucci, die Hände gebunden waren. Der Staatsanwalt wiederum konnte infolge der für Italien üblichen bürokratischen Verflechtungen die Beschlagnahme der zerstörten Brücke noch nicht aufheben. Deren Abriss kann so erst zu Weihnachten beginnen. Toninellis Vizeminister Edoardo Rixi (Lega) hatte diesen für Anfang September in Aussicht gestellt. Wem die Arbeiten anvertraut werden, ist ebenfalls unbekannt. Fest steht nur, dass es keine offizielle Ausschreibung geben wird. Unklar ist auch, ob die Gesellschaft Autostrade sich an den Arbeiten beteiligen darf. Dafür steht fest, dass die von der Regierung ausgewählten Großunternehmen Fincantieri und Italferr nicht über die notwendigen bürokratischen Voraussetzungen verfügen, um sich an den Arbeiten zu beteiligen.
Toninellis Jubel ist unangebracht. Denn für den Neubau der Brücke gibt es weder ein Projekt noch einen Termin.
Der Plan muss zunächst von dem (oder den) Unternehmen erstellt werden, die den Auftrag erhalten. Es wird damit gerechnet, dass vier oder fünf Bauunternehmen zunächst aufgefordert werden, Projekte mit verbindlichen Bauzeiten und Kostenvoranschlägen vorzulegen. Bis dahin werden weitere Monate vergehen. Überdies legt das Dekret fest, dass die Arbeiten von der Gesellschaft Autostrade bezahlt werden müssen, die dagegen gerichtlich vorgehen will. Denn die Schuldfrage der Katastrophe ist keineswegs geklärt, der Rechtsstreit könnte sich über viele Monate hinziehen.
Mehrere Mitglieder der Untersuchungskommission sind bereits zurückgetreten, Einzelteile der Brücke sollen an der technischen Universität Zürich untersucht werden. Bürgermeister Bucci schloss am Freitag aus, dass der Neubau vor April 2019 beginnen kann.
Und hier schließt sich der Kreis. Denn der Fall demonstriert einmal mehr, dass es eine wirksame Reform dieses Landes erst dann geben wird, wenn das allgegenwärtige Gestrüpp bürokratischer Fesseln radikal beseitigt wird. Wenn Hunderte überflüssiger Gesetze und Normen endlich abgeschafft werden. Italien hält auf diesem Gebiet einen kaum beneidenswerten Rekord. Großbritannien kommt mit rund 500 Gesetzen aus, in Deutschland sind es rund 3000, in Italien über 50.000.
Giovanni Conte hatte vor der Wahl als potentieller Justizminister dazu ein detailliertes Programm vorgelegt, das offenbar mittlerweile in einer Schublade verschwunden ist. Doch die von der jetzigen Regierung versprochene Erneuerung Italiens ist ohne radikale Entbürokratisierung unmöglich. Aber das scheint die Fünf-Sterne-Bewegung kaum zu stören, die eine Entscheidung bejubelt, die an der tragischen Situation in Genua nichts ändert, sondern die Bevölkerung lediglich weiter vertröstet - auf das nächste Jahr.