Politik | Meran

“Werden uns wehren müssen”

Der Meraner Bürgermeister kündigt Widerstand gegen das “decreto sicurezza” und “diese menschenverachtende Lega” samt Innenminister Matteo Salvini an.
Paul Rösch
Foto: Stadtgemeinde Meran

“Grausam!”, entfährt es Paul Rösch. Laut den jüngsten Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind im Jahr 2018 mehr als 2.200 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Immer noch suchen zwei Rettungsschiffe mit insgesamt 49 Flüchtlingen an Bord nach einem sicheren Ort zum Anlegen. Seit den Weihnachtstagen wird der “Sea-Watch 3” und der “Professor Albrecht Penck” die Einfahrt in die Häfen der Mittelmeerländer verwehrt. “Was werden wir einmal unseren Kindern und Enkeln antworten, wenn sie uns fragen, was wir getan haben?” Die Ratlosigkeit von Paul Rösch ist durch das Telefon zu hören. Als Meraner Bürgermeister wird er die Weltgeschichte nicht ändern können. Aber untätig will Rösch trotzdem nicht bleiben. Es sei nämlich an der Zeit, “dass man sich gegen diese menschenverachtende Lega auflehnt”, findet er.

 

Bürgermeister in Aufruhr

Genauso wie an den italienischen Küsten zieht Matteo Salvini auf dem Festland seine harte Einwanderungspolitik durch. Am 29. November wurde das umstrittene “decreto sicurezza” des Innenministers vom Parlament genehmigt, die Einwanderungsgesetze verschärft. “Nicht mit uns!”, tönen nun immer mehr Bürgermeister, die sich weigern wollen, einige Vorgaben des Gesetzes nicht umzusetzen: Leoluca Orlando in Palermo, Giuseppe Sala in Mailand, Luigi De Magistris in Neapel, Dario Nardella in Florenz, Federico Pizzarotti in Parma. Auch in den kleineren Städten und Kommunen sind es eher linksgerichtete Bürgermeister, die sich gegen den Lega-Innenminister stellen. Rückenwind bekommen sie von Hilfsorganisationen, kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Partisanenvereinigung ANPI*.

Die Bürgermeister sind überzeugt, dass das Gesetz zu mehr Unsicherheit und Kriminalität führen wird. Etwa, weil die Vergabe von humanitären Aufenthaltsgenehmigungen massiv eingeschränkt und Personen mit gültiger Aufenthaltsgenehmigung der Zugang zu Aufnahmestrukturen erschwert wird – und dadurch mehr Menschen auf der Straße landen werden. “Unmenschlich” sei das Gesetz und daher ein Verstoß gegen die Menschenrechte, sagt etwa Leoluca Orlando. Es mache Menschen, die sich rechtmäßig in Italien aufhielten, “zu Illegalen”. Orlando wehrt sich insbesondere gegen die verschärften Vorgaben für Menschen, die eine Aufenthaltsgenehmigung besitzen. Die Gemeindeämter sollen ihnen nämlich keine Ausweise mehr ausstellen oder sie für das staatliche Gesundheitssystem anmelden. Inzwischen gibt es eine Vorlage für die Verordnung, mit der sich die Bürgermeister gegen die Umsetzung gewisser Vorgaben des Gesetzes verwehren können.

Für den politischen Ungehorsam hagelt es scharfe Kritik von Salvini. “Wer das Gesetz nicht einhält, verrät Italien und die Italiener”, reagiert der Innenminister auf die Proteste der Bürgermeister, die er als “amici dei clandestini”, “Freunde der Illegalen” bezeichnet.

 

“Sicher Widerstand”

Schon allein das Wort “Illegale” ruft bei Paul Rösch Kopfschütteln hervor. “Es gibt keine ‘illegalen’ Menschen, sondern nur Menschen auf der Welt”, sagt der Meraner Bürgermeister. Bereits vor der Verabschiedung des “decreto sicurezza” durch das Parlament Ende November hat der Gemeinderat von Meran zwei Entschließungsanträge genehmigt, um die Besorgnis über die zu erwartenden negativen Auswirkungen des Dekrets zum Ausdruck zu bringen. Wird sich Rösch nun, wie einige Trentiner Bürgermeister, dem Widerstand der Amtskollegen im restlichen Staatsgebiet anschließen?
In Bozen sorgt die Angelegenheit für Spannungen in der Stadtregierung. “Auch wenn man die Gesetze des Staates nicht teilt, sie müssen eingehalten werden”, meint Bürgermeister Renzo Caramaschi im Alto Adige. Dafür handelt er sich Kritik vom Grünen Koalitionspartner ein. “Der Bürgermeister hat recht wenn er sagt, dass die Gesetze angewandt gehören. Aber zuallererst kommt die Achtung der Menschenrechte”, kontert die Grüne Stadträtin Marialaura Lorenzini.

Irgendeine Form des Widerstandes gegen “dieses sehr menschenverachtende Gesetz” werde es von seiner Seite “sicher” geben, kündigt indes Paul Rösch an. Konkreter kann der Meraner Bürgermeister zum jetzigen Zeitpunkt nicht werden, er hält sich momentan nicht in Meran auf. “Ich habe heute (Freitag, Anm.d.Red.) mit Vizebürgermeister Andrea Rossi telefoniert. Ab kommender Woche bin ich wieder zurück und werde mir gemeinsam mit ihm überlegen, was wir tun können”, sagt Rösch zu salto.bz. “Ich glaube, es braucht jetzt Zivilcourage, es ist höchst an der Zeit, den an den Ohren zu ziehen”, meint der Meraner Bürgermeister über Matteo Salvini. “Wenn jemand das italienische Volk beleidigt, ist er es.”

 

Meraner Weg

“Die Unkultur ist ja bereits in den Worten zu vernehmen”, fährt Rösch fort und erinnert an den offenen und menschlichen Empfang, den seine Stadt und ihre Bewohner den Flüchtlingen bereitet hat. “Meran hat sich beeindruckend verhalten und bei uns läuft es ja wirklich gut. Gemeinsam mit der Bezirksgemeinschaft haben wir die Menschen untergebracht, sie haben Wohnungen gefunden und der Tourismus ist froh um die Arbeitskräfte.” Auf diesem Weg wolle man sich in Meran auch von einem Innenminister Salvini “nicht lange drausbringen lassen”, meint Rösch bestimmt. “Wir bemühen uns, predigen über Zivilisation und Kultur – und dann kommt so einer daher… Das können wir uns nicht so einfach gefallen lassen. Deshalb werden wir uns etwas überlegen, uns ein bisschen wehren müssen.”

Ob er dabei auf eine breite Unterstützung zählen können wird, wagt Rösch zu bezweifeln. “Die Linie des Meraner Bürgermeisters wäre eigentlich eine ganz einfache. Aber ob er sich damit durchsetzen kann, ist eine andere Frage.” Mit der rechten Alleanza per Merano sitzt eine Kraft mit in der Stadtregierung, die ebenso wie die beiden Lega-Gemeinderäte die scharfe Linie Salvinis “richtig finden”, weiß Rösch. Abzuwarten sei auch, wie sich der große Koalitionspartner SVP verhalten werde: “Jetzt, wo sie sich auf Landesebene mit der Lega zusammen getan hat, weiß ich nicht, wie sie reagieren wird.”
Die beiden Entschließungsanträge gegen das “decreto sicurezza” Ende November wurden jedenfalls ohne die Stimmen der Meraner SVP-Gemeinderäte genehmigt.

 

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Klaus Griesser Fr., 04.01.2019 - 17:45

Nur Mut, Herr Bürgermeister!
Das ist eine gerechte Sache und Orlando hat vollkommen recht: es ist feige und niederträchtig von Salvini und seinen ausländischen Kumpanen in Österreich, Deutschland, Frankreich, gegen die Ausländer vorzugehen die sich hierher gerettet haben, weil ihnen die Existenzgrundlage genommen wurde, während bei ihm und seinesgleichen nicht der Hauch einer Rede ist von den VERURSACHERN der ganzen Misere. Wenn er erfolgreich Stimmen sammeln und zeigen will, wie mächtig er ist, soll er doch in erster Linie gegen DIESE vorgehen und nicht gegen ihre Opfer. Schließlich gilt doch das rechtsstaatliche Prinzip: wer einen Schaden verursacht, muss dafür bezahlen. Wie kommen wir Bürger dazu, für Schäden aufzukommen die NICHT WIR verursacht haben?

Fr., 04.01.2019 - 17:45 Permalink
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Richter Peter Sa., 05.01.2019 - 01:50

Die Lega ist rechtsextrem. Für mich sind Durnwalder und Achammer Verräter unseres Landes. Wer menschenverachtende Politik betreibt gehört nicht in die Landesregierung!!

Sa., 05.01.2019 - 01:50 Permalink
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Klaus Griesser So., 06.01.2019 - 19:30

Menschen, denen jede existentielle Grundlage genommen wurde, die nichts zu verlieren haben, weil sie mit Bomben und Gewehrkugeln rechnen müssen oder weil ihre Feldfrüchte keinen Markt mehr haben, wollen dieser Situation entrinnen, es hilft nur mehr die Flucht. Das ist der allergrößte Teil der Flüchtlinge, Herr Rufer. Sicher sind da einzelne Kriminelle oder religiöse Fanatiker darunter. Auf alle Fälle sind sie die Folgen, die Opfer einer Situation, die nicht sie gewählt haben, sondern die ihnen konkret militärisch oder ökonomisch aufgezwungen wurde, und zwar hauptsächlich von der größten Militärmacht der Welt, bzw. von den weltgrößten internationalen Konzernen. Sie sind Flüchtlinge aus humanitären Gründen.
Unabhängig davon gibt es natürlich auch Menschen, die in ihrem eigenen Land keine oder keine passende Arbeit finden und deswegen in einem anderen Land Arbeit suchen, wie z.B. Südtiroler die in den 60er Jahren nach Deutschland oder in die Schweiz ausgewandert sind. Die würde ich als Migranten bezeichnen.
Egal ob Flüchtlinge oder Migranten: wer sich nachgewiesenermaßen kriminell oder terroristisch betätigt muss natürlich hinter Gitter. Es geht aber nicht an, Flüchtlinge/ Migranten von vornherein an den Pranger zu stellen.
Vor allem aber gälte es, die wahren Fluchtursachen aufzudecken und die Verursacher zur Kasse zu bitten. Das tut aber keine unserer Regierungen. Sie zwingen uns die Kosten auf, indem sie sie unserem Sozialsystem aufbürden. Das ist das eigentlich Niederträchtige und die Grundlage der verlogenen Politik der Rechten, wonach die Flüchtlinge an allem Schuld seien und ihnen deshalb keine öffentlichen Gelder zustünden.

So., 06.01.2019 - 19:30 Permalink