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Wahrheit oder Dichtung?

Literatur, Theater, Europa - der Schriftsteller Robert Menasse sprach gestern mit dem Journalisten Andreas Pfeifer über seinen Skandal, EU-Gründerväter und Südtirol.
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Foto: Foto Salto.bz

„Wir werden heute nicht nur über Europa sprechen und seine Politik, sondern ein wenig auch darüber, was über dieses Europa heute wörtlich oder sinngemäß bewahrt werden kann. In der Literatur, im politischen Diskurs…“ Mit diesen Worten eröffnete ORF-Journalist Andreas Pfeifer den Gesprächs- und Leseabend mit dem europäischen Schriftsteller Robert Menasse. Im voll besetzten Stadttheater/Studio hatte Menasse gerade aus seinem Buch Die Hauptstadt gelesen, über die Milz und ihre Funktion und über Europa und seine Funktion.

Andreas Pfeifer wies auf die Unterscheidung zwischen Dichtung und Wahrheit hin, sowie die aktuelle Diskussion im Fall Menasse, jenem wortgewaltigen Schriftsteller, der mit seinem Roman nicht nur für ein beachtliches Stück europäische Literatur gesorgt hat, sondern auch für einen Skandal, woraufhin der Autor als „ein hinterfotziger Lügner“„Zitateerfinder“, „Nebenerwerbsagitator“ oder auch als „Pinocchio der Gegenwartsliteratur“ bezeichnet wurde.

Der Skandal

Der Skandal zu Robert Menasse nahm seinen Anfang, als Medien vor kurzem erfahren hatten, dass an ihn die Carl-Zuckmayer-Medaille (Literaturpreis des Landes Rheinland-Pfalz) verliehen werde - also jenen Autor, der Walter Hallstein (Erster Vorsitzenden der Kommission der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft) „falsche Worte in den Mund legt“ und behauptet Hallstein hätte seine Antrittsrede 1957 „in Auschwitz gehalten“.

Es war ein Fehler, da ich es unter Anführungszeichen gesetzt habe, aber für den Fehler habe ich mich entschuldigt.

„Die Quelle ist korrekt, der Sinn ist korrekt, die Wahrheit ist belegbar, was fehlt ist das Geringste, das Wortwörtliche. Was kümmert mich das Wörtliche, wenn es mir um den Sinn geht.“ antwortete Menasse den Aufdeckern und entschuldigte sich. Mittlerweile scheint alles bereinigt und es gibt sogar eine gemeinsame Erklärung von Menasse und Malu Dreyer, der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz.

„Ich gebe zu, dass ich dem Hallstein Zitate zuschrieben habe, die er so nie gesagt hat, aber die in meinen Augen die Zusammenfassung seiner Position ist“ meinte Menasse und untermauerte das Recht des Dichters mit einem Hallstein-Beispiel aus seinem Buch.
„Es war ein Fehler, da ich es unter Anführungszeichen gesetzt habe, aber für den Fehler habe ich mich entschuldigt. Ich bestehe darauf, dass ich inhaltlich nichts verfälscht habe. Ich habe ihm kein Wort in den Mund gelegt, ich hab ihm nichts unterstellt. Ich hab ihn auch als einen verdienstvollen Europapolitiker gelobt.“
Schelmisch fügte Menasse noch hinzu: „Der Pegasus, dieser alte Gaul, ist in mir durchgegangen.“ 
Applaus. 

Südtirolfragen

Dann wurde über Europa und über Südtirol gesprochen, über ein nachnationales Europa, wie es Menasse vorschwebt, ein Europa, das sich von den Nationalstaaten verabschiedet und sich zu einem Europa aus vielen "Europäischen Regionen" zusammensetzt. Dem gegenüber steht eine sogenannte „Blütezeit der Nationalstaaten“, in welcher Parolen wie America First und Nachahmer-Slogans wie Österreich zuerst, oder Prima gli italiani auf Wählerinnen und Wähler anziehend wirken.

...der österreichische Kanzler ist nicht berechenbar. Und das finde ich in der Politik gefährlich.

Man müsse dagegenhalten und „an die Visionen der Gründergeneration erinnern“, unterstrich Menasse und stellte eine Frage mit Lokalkolorit in den Raum: „Glauben sie im Ernst, dass der Wohlstand Südtirols und die weitgehende Zufriedenheit der Südtiroler Bürgerinnen und Bürger, es der Tatsache verdankt, dass Südtirol ein Teil der italienischen Nation ist? Oder vielmehr der Tatsache, dass es eine Autonome Region ist? Ich finde das beantwortet sich doch von selbst.“

Moderator Pfeifer zitierte im Verlauf des Abends außerdem Landeshauptmann Arno Kompatscher, der Südtirol gerne als „ein kleines Europa in Europa“ bezeichnet. Ausgerechnet die Südtiroler Volkspartei koaliert nun mit einer nationalistischen Partei, der Lega.
„Die Frage wird wohl sein, wie der Südtiroler Landeshauptmann mit diesem Koalitionspartner umgeht,“ kommentierte Menasse „und ob er das tut, was beispielsweise der Österreichische  Kanzler tut, nämlich immer dann zu Schweigen, wenn sehr provokante Äußerungen vom Koalitionspartner kommen.“ Menasse erwähnte in diesem Zusammenhang am Beispiel aus Österreich, die politische Haltung von Kanzler und Vize-Kanzler: „Strache ist ein gefestigter Ideologe, der war schon ein Rechter, da war der Zeitgeist nicht annähernd so rechts wie heute. Er ist berechenbar, der Österreichische Kanzler hingegen ist nicht berechenbar. Und das finde ich in der Politik gefährlich.“

Im Wein liegt die Wahrheit

In wenigen Tagen erhält Robert Menasse nun also doch noch die Carl-Zuckmayer-Medaille. Angeblich wird ihm zu der Medaille ein Fass mit 30 Litern Wein aus dem Geburtsort von Carl Zuckmayer geschenkt. In diesem Sinn scheint eine Sentenz aus dem Roman Salwàre oder Die Magdalena von Bozen interessant, den Carl Zuckmayer Mitte der 1930er Jahre in Südtirol ansiedelte. Dort heißt es in einer Wirtshaus-Szene, samt Anführungszeichen:

„Was fürn Wein habt ihr?“ fragte ich nach einer kleinen Pause.
„Eppaner Weißen“, sagte sie, „und einen roten Spezial, vom Kalterersee.“
„Welcher ist der bessere?“ fragte ich, damit sie noch etwas sagen sollte.
„Beide!“

Ob die Kellnerin diese Antwort tatsächlich gegeben hat, oder ob Zuckmayer die Wein-Szene frei erfand? Die Anführungszeichen alleine können Zuckmayers Wahrheitsgehalt nicht belegen. Aber Literatur muss und soll das nicht, sie soll zum Träumen anregen, gern auch durch das Verknappen und Einsetzen historischer Fakten in literarische Texte.