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Neid: Du oder Ich

(aber nicht wir beide) Bist Du neidisch auf Sozialhilfe? Bist Du neidisch auf Übernachten im Notquartier? Bist Du neidisch aufs Handy vom Flüchtling?
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Foto: Annemarie Laner

Ein KULTURELEMENTE-Gastbeitrag von Martin Schenk

Der Neid trifft das Nahe, Ähnliche, Winzige, die kleine Abweichung. Das Auto des Nachbarn, das Engagement der Kollegin, das Handy nebenan. Nicht der viel Reichere wird von mir beneidet, sondern wie auch schon Aristoteles vor über 2000 Jahren bemerkte, der Vergleichbare. Wer einige Euro mehr oder weniger hat, treibt mich zur Weißglut, nicht die Millionen in den Steueroasen. Der Neid ist ein Phänomen der Nähe und der feinen Unterschiede.

Zweitens geht es darum, dass es der Andere nicht hat. Bekomme ich das, was ich dem anderen neide, bin ich nicht automatisch zufrieden, ich suche ein weiteres noch kleineres Detail, das ich dem anderen dann missgönne. Neide ich dem Nachbarn sein Auto, weil es eine so schöne Farbe hat, und würde ich mir dann das gleiche Auto mit selber Farbe zulegen, wäre ich zufrieden? Vielleicht, aber es könnte auch sein, dass eine neue kleine störende Differenz da wäre, z.B. das coole Autoradio. Die Unzufriedenheit kann vergehen, wenn ich das beneidete Auto erstehe, aber genauso, wenn jemand in das parkende Auto rast und es Totalschaden hat. Wenn zwei Kinder um eine Puppe streiten, dann ist das neidende Kind gleich beruhigt, wenn es die Puppe ergattert wie wenn sie kaputt geht. Der Neid tendiert dazu, sich mit der Vernichtung des beneideten Objekts zu beruhigen. Das ist eine narzisstische Logik. Dem Neider wird der beneidete Andere zu „seinem Anderen“, das heißt: zu dessen gesamter übriger
Welt, zu dessen „absolutem Horizont“. Es gilt: Du oder ich – aber nicht wir beide. In der Folge: Wenn Du es hast, dann kann ich es nicht haben. Und die phantastisch trügerische Umkehrung: Wenn du es nicht hast, dann habe ich es.

Der Neid ist jedenfalls gesellschaftlich entsolidarisierend, ein Gift, das Leute mit ähnlichen Interessen spaltet. Bei einer Auseinandersetzung um besseres Gehalt in einem englischen Unternehmen verzichteten Arbeiter auf einen Teil der Lohnerhöhung, um zu verhindern, dass eine rivalisierende Gruppe ihnen gleichgestellt wird. Man schaut auf den anderen, dabei wird es einem egal, dass es einem schlechter geht, man wehrt sich auch nicht mehr dagegen. Die Debatte um Kürzung der Mindestsicherung in Österreich ist ein gutes Beispiel. „Asyl“ wird als Grund für die Kürzungen von politischer Seite genannt, aber es trifft Alleinerziehende, familienreiche Kinder, pflegende Angehörige und schadet damit allen. Asyl wird gesagt, gestrichen wird aber bei allen. Durch den Neid auf die Flüchtlinge vergisst man das. Das ist wie bei Trickdieben: Es braucht immer einen, der ablenkt, damit dir der andere die Geldbörse aus der Tasche ziehen kann. Der Neid ist der Feind des Miteinander und der Freund der Spaltung. Diese Verblendung, dass der Neider lieber selbst auf etwas verzichtet, als es dem Beneideten zu gönnen, schadet ihm selbst und nützt den weit Mächtigeren. 

Das ungelebte Leben 

Ein E-Mail landet in meinem Postfach. Betrifft: Sendung gestern Abend. „Habe die Diskussion im Fernsehen gesehen“, schreibt Frau Waltraud V. „Meine Meinung ist, wer immer genug eingezahlt hat, bekommt auch im Alter genug zum Leben. Ist ja nur gerecht, wer immer brav arbeiten war und immer eingezahlt hat. Der Staat muss mich dann erhalten – auch solche Leute gibt es.“ Und weiter: „Bei mir war es so: Ich hatte eine Operation und wurde in die Pension geschickt. Grund: Man hatte keine Verwendung mehr für mich. Also gut, was sollte ich machen, aber der Gipfel war dann, man hat mir 16 Prozent abgezogen, da ich nur dreißig Jahre gearbeitet habe. Das hat auch keinen gekümmert, und ich war immer arbeiten und werde noch bestraft mit den Abzügen. Ich hab’ auch nur eine kleine Pension. Mir hat man gesagt, sie haben ja einen Mann, was für mich nicht gerecht ist, denn ich war ja arbeiten mein Leben lang bis zur Operation. Nur weil ich einen Mann habe, steht mir keine größere Pension zu?“ Das E-Mail endet mit zwei Sätzen: „Die wollen ja gar nicht arbeiten, und da sehe ich nicht ein, dass man so etwas unterstützt. Die lachen und sagen, wir bekommen eh alles, wozu soll ich arbeiten.“

In diesem Schreiben kommen die gesamten gesellschaftlichen Widersprüche zum Ausdruck, materialisiert in den Konflikten, in denen die Briefschreiberin sich befindet. Nur wer arbeitet, soll auch eine Pension bekommen, dekretiert Frau V. zu Beginn. Im Umkehrschluss deutet sie an, dass, wer das zu wenig getan hat, auch keine Pension bekommt. So ist das. Pech gehabt. Braucht sich keiner aufregen. Dann aber regt sich doch jemand auf. Und zwar sie selbst. Über die Tatsache, dass sie bis zu ihren gesundheitlichen Problemen gearbeitet hat, dann aber in Rente gehen musste und nun weniger bekommt. Was sie nicht fair findet und für sie auch zur Folge hat, von ihrem Mann abhängig zu sein. Lachen, das sie den Anderen zuordnet, würde sie wohl selbst gerne. Das Enteignete wird gegenüber einer als anders definierten Gruppe als Eigenes angesprochen. Es war offensichtlich nicht sie, die die Regeln aufgestellt hat, welche Frauen ein hohes Armutsrisiko bei Pensionen bescheren. Die Pensionsregeln werden gegenüber dem Anderen als Eigentum reklamiert, aber zugleich im Verhältnis zur eigenen Person als fremd angesprochen. Das ungelebte, für unmöglich gehaltene Leben wird von den anderen gelebt und erscheint somit als möglich. Es ereignen sich zwei Dinge. Einerseits die Ausblendung des eigenen Wunsches auf eine unabhängige Existenzsicherung, andererseits die Unterordnung unter die Instanz, die diesen Wunsch verunmöglicht. Und lachen tun die anderen. In vielen Postings kommt das zum Ausdruck. Die anderen lachen, wo ich nichts zu lachen habe. Das heißt auch: Der Andere genießt, obwohl ich nicht darf. Ich verzichte auf das, was ich eigentlich gerne hätte oder gerne wäre, was mir gefällt, Spaß macht, ein gutes Leben ermöglicht bin es aber gleichzeitig allen anderen neidisch, die sich das gönnen. Es handelt sich hier um ein eingesperrtes Genießen, das beziehungslos bleibt. Dabei kommt das Genießen von seiner Begriffsgeschichte ganz woanders her: Das mittelhochdeutsche geniesz bezeichnete eine gemeinsame nutznieszung. Der Genuss im ursprünglichen Sinne des Wortes ist nicht ein besonders einsamer, enger und konsumistischer Akt, sondern ein geteilter. Man genießt gemeinsam die Früchte der Erde. Das tut allen gut. Das Wort genießen hängt schließlich auch mit genesen zusammen. Weil wir das, was wir wollen, selbst zu hassen begonnen haben, und es in diesem Hass verkleidet genießen, brauchen wir die Fiktion des anderen als eines echten Besitzers des Glücks, den wir dann genauso hassen wie dieses Glück. Denn wir dürfen uns ja nicht eingestehen, dass wir selbst den Hass auf das Glück dem Glück vorgezogen haben, so der Philosoph Robert Pfaller. 

Die Bibel beginnt mit einem Brudermord. Kain tötet seinen Bruder Abel. Aus Neid. Die biblischen Geschichten haben einen starken Blick auf den Neid, denken wir an das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg oder an die Geschichte vom barmherzigen Vater. Der verlorene Sohn kommt zurück und der Vater feiert ein Fest. Der andere Bruder ist neidisch, obwohl ihm die ganzen Jahre nichts fehlte und ihm auch jetzt nichts weggenommen wird. Es ist kein Zufall, dass das Genießen der Stein des Anstoßes ist. 

In der Wiese des Stadtgartens steht ein Schild mit „Betreten verboten“. Flüchtlingsfamilien haben sich mit einem Esskorb und einem Tuch im Gras nieder gelassen. Die Aufregung ist groß, Beschimpfungen werden laut. Doch: Wäre es nicht für uns alle fein im Gras zu sitzen, zu plaudern, zu trinken, zu spielen? Warum wenden wir uns nicht gemeinsam mit einer Petition an die Stadtregierung mit dem Wunsch, einen Teil des Stadtparks zur Benützung frei zu geben? So geschehen. Die Stadt hat eingelenkt. Seither spielen Kinder im Gras, Verliebte halten Hand, Familien setzen sich auf einen Plausch. Der Ärger ist wie verflogen.

Auch hier wieder: Das ungelebte, für unmöglich gehaltene Leben wird von den anderen gelebt und erscheint somit als möglich. Es ereignen sich zwei Dinge. Einerseits die Ausblendung des eigenen Wunsches in der Wiese zu liegen, andererseits die Unterordnung unter die Instanz, die diesen Wunsch verunmöglicht. 

Der Neid ist so wirkungsvoll als politisches Instrument, weil er Leute spaltet. Weil er sagt: „du oder ich“, aber nie: „wir beide“. Neid ist eine Waffe gegen die Solidarität. Er ist ein Instrument, um diejenigen, die sich eigentlich zusammenschließen könnten um ihre eigene Lebenssituation zu verbessern, zu spalten. Positiv gesprochen: Der Neid weist mich auf das hin, was ich eigentlich gerne hätte oder gerne wäre, was ich brauche, was mir gefällt, was ein gutes Leben ermöglicht. 

In der Notschlafstelle in Wien beginnen sich Bewohner ausziehbare Wäschetrockner zu organisieren, die sie vor ihren Zimmerfenstern montieren, um ihre Hemden draußen zu trocknen. Die Zimmer sind eng, der Platz ist begrenzt, die Luft ist knapp. Soweit so sinnvoll. Die neuen Trockner lösen aber bei den Anrainer im Haus große Empörung aus. Wie schaut das aus? Im Hof? Was soll das? Die Notschlafstelle wird mit erbosten Anrufen bombardiert. Nach wenigen Tagen aber, wie von Zauberhand, wachsen aus den anderen Fenstern Im Hof dieselben ausziehbaren Trocknervorrichtungen. Das ist offensichtlich keine so schlechte Idee. Finden auch die Anrainer. Die Zimmer sind im gesamten billigen Altbau eher klein, so spart man Platz und hält die Feuchtigkeit draußen. Die wütenden Angriffe waren ab diesem Moment übrigens verflogen.

Ein weiterer Mechanismus, der uns von unseren Bedürfnissen und denen der Nächsten entfremdet, ist die Identifikation mit dem Angreifer. Das bedeutet mit dem gleich zu werden, der uns zu etwas zwingt. Anderen Menschen Angst machen hilft manchen Leuten dabei, die Angst, die sie haben, nicht spüren zu müssen. Die eigene Ohnmacht produziert Machtansprüche gegenüber anderen Ohnmächtigen. Diese genießen in unserer Phantasie, was wir zu genießen wünschen, uns aber durch die herrschenden Verhältnisse verboten wurde. Es ist ein Ringelspiel rebellierender Selbstunterwerfung, eine „Identifikation mit dem Angreifer“ wie die Psychoanalytikerin Anna Freud sie beschreibt. „Du musst nur spielen, dass du selber der gefährliche Mann bist, der dir begegnen könnte“, rät die ältere Schwester ihrem kleinen Bruder: „Dann brauchst Du Dich nicht zu fürchten“. Auf Dauer ein selbstzerstörerisches Spiel.

Warum sind Ideen, die den Schwachen die Schwächsten zum Opfer darbringen, so erfolgreich? Weil sie Angst nehmen? Möglich, aber vielmehr noch, weil sie die Person, die andere abwertet, in eine Position der Stärke bringt. Wir ermächtigen uns damit selbst, über andere zu verfügen. Das muss man verstehen, damit man nicht bloß moralisch korrekt, sondern auch gesellschaftlich wirkungsvoll auf Sündenbockpolitik reagiert. Das Gegenteil von Neid ist Genießen-Können, das Gegenteil von Kränkung ist Anerkennung und das Gegenteil von Ohnmacht ist Selbstwirksamkeit.

Aus diesem Befund ergeben sich drei Perspektiven. Erstens: Menschen in eine Position der Stärke bringen. Selbstwirksamkeit und Ermächtigungen ermöglichen, Handlungsspielräume ausweiten. Man muss Leute in ihren Handlungsmöglichkeiten stärken, das kann im Betrieb sein, in der Schule, im Dorf. Da geht es um Gestalten und um sinnvoll Tätig-Sein. Zweitens: Nicht «Ängste und Sorgen» nachplappern und damit die ganze Gesellschaft noch weiter neurotisieren, sondern Wünsche, Begehren, Lust der Betroffenen freilegen, an den gefesselten Verwirklichungschancen, dem verbotenen Genuss ansetzen. Je schlimmer das eigene Sich-Versagen, desto härter die Absage an die Schwächeren. Wer nicht mehr genießen kann, nicht mehr genießen darf, wird ungenießbar. Und drittens: Kränkungen wahr- und ernst nehmen und nicht zukleistern, nicht mit Ignoranz oder trügerischen Hoffnungen antworten. Da geht es um Anerkennung und darum, Menschen in ihrem Alltag Achtung und Würde nicht zu versagen.

Salto in Zusammenarbeit mit KULTURELEMENTE

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Frei Erfunden Mo., 28.01.2019 - 09:54

Als Schlussfolgerung aus der Neiddebatte schlage ich eher nach dem Suchen von Alternativen zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung vor.
Denn wenn ich als Steuerzahler systemrelevante Banken retten muss , dann will ich diese dann verstaatlicht sehen und als Staat kann ich mir dann die Boni in meine eigene Tasche stecken.
Wenn in der heutigen Zeit Kommunismus als Schimpfwort verwendet wird , dann finde ich den Begriff insofern angebracht, alsdass wir in einem Kommunismus für Superreiche leben.
Begriffe wie Marktwirtschaft und Kapitalismus / Finanzwirtschaft sollten getrennt werden.
Steuern auf Arbeit 50% , Steuern auf Finanzspekulation 22% : geht's noch?
Wenn die Systemfrage weiterhin als Neid interpretiert wird dann spielen wir dem Finanzkapital den Ball zu,
wie das Spiel dann ausgeht ist klar: Zerstörung der Umwelt; Krieg ; Massenmigration wegen Krieg und Umweltkatastrophen.
Wer will das?

Mo., 28.01.2019 - 09:54 Permalink
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Frei Erfunden Mo., 28.01.2019 - 15:23

Der Kommunismus wird ja gerade praktiziert, nur profitieren davon systemrelevante Banken und Konzerne:
wenn's gut geht wird abkassiert, falls es schief läuft zahlt der Staat die Zeche.
Es braucht einen starken Staat, welcher der immer grösser werdenden Schere zwischen Arm und Reich Einhalt gebieten kann, im Vorteil aller; ansonsten wird die Demokratie weiter untergraben und wir landen in einem Orwell Staat.
Die Menschheit sollte sich endlich von den Raubtierkapitalisten loslösen und nur eine gesunde, nachhaltige und finanzkapitalbefreite Marktwirtschaft zulassen.
Die Neiddebatte wird uns lediglich vorgekaut täglich präsentiert um von der wahren Problematik abzulenken.
Wag the dog.

Mo., 28.01.2019 - 15:23 Permalink
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Frei Erfunden Mo., 28.01.2019 - 15:40

Nein, denn es gibt auch Parteien welche für die Regulierung des Finanzwesens, gegen Kriegshetze und für Abrüstung stehen.
Ich hoffe auf die Europawahl und werde der Partei um Sarah Wagenknecht meine Stimme geben.

Mo., 28.01.2019 - 15:40 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Di., 29.01.2019 - 14:53

"Nur ein böser Mensch ärgert sich, wenn Andere mehr haben als man selbst und kommt dann auf die Idee, man sollte diesen Leuten etwas wegnehmen. "
Und ist ein Mensch auch böse, wenn er wenigen anderen etwas wegnehmen will, die viel mehr haben als er selbst, damit es vielen anderen besser geht, und dabei gar nicht an sich selbst denkt? "Gutmensch", oder?

Di., 29.01.2019 - 14:53 Permalink