In der Weihnachtszeit hatte mein Mann eine tolle Idee. „Lass uns doch eine nahegelegene, mit Steuergeldern finanzierte Badeeinrichtung besuchen! Das wird sicher spaßig mit den Kindern!“
Ich zögerte. Nicht nur, weil unsere Vorstellungen von Spaß mit den Kindern meist auseinandergehen (Mama darf aufräumen), sondern weil mir die Preispolitik genannter Einrichtung missfällt. Der Mann insistierte. Eine kurze Recherche zeigte mir 29 Euro für ein Familien-Tagesticket an. Der Kleine würde freigehen. Kein Schnäppchen, aber okay.
Am Schalter dann die Überraschung: In der Weihnachtszeit gab es kein Familienticket. Auch nicht an einem stinknormalen Werktag. Dass unterm Weihnachtsbaum viel gestritten wird und es mit der familiären Harmonie oft nicht weit her ist, war mir bekannt, trotzdem fand ich diese Maßnahme doch etwas hart. Stattdessen gab es „Spezialpreise“. „Spezial“ teuer. Und „spezial“ war auch, dass die Aufenthaltsdauer auf drei Stunden beschränkt war, ansonsten löhnte man nochmal zehn Euro für jede weitere angefangene Stunde. Pro Person. Gequält aber gefasst blätterte der Mann 50 Euro für uns drei hin. Für zwei Stunden. Er wusste, er musste schnell sein, bevor ich schreien konnte.
Am Schalter dann die Überraschung: In der Weihnachtszeit gab es kein Familienticket.
50 Euro für zwei Stunden. Ich klinge jetzt sehr alt, aber das sind HUNDERTTAUSEND Lire für zwei Stunden, beziehungsweise: „40 CENT PRO MINUTE!“. Der Mann blieb pragmatisch: „Sei still und beeil dich.“
Mein einziger Trost war, dass bei diesen „Spezialpreisen“ gewiss nur die exquisiteste Klientel mit allerfeinsten Manieren den Weg ins Nass finden würde. Die erwünschten Qualitätstouristen eben. Nervige Familien wie wir, ja der Pöbel überhaupt würde draußen bleiben. Schlaue Strategie. Den Spaß mitfinanzieren, das hatten wir gedurft, aber hierhaben wollte man uns nicht. Ha, falsch gedacht! Wir kamen einfach trotzdem und würden uns jetzt zwei Stunden gepflegtestes, hochqualitatives Badevergnügen inklusive ständigem gehetzten Blick auf die Uhr gönnen! Aber sehen Sie selbst.
16.30 Uhr: Eintritt. Ab jetzt läuft die Zeit. Die Tochter plärrt, weil sie das Chip-Armband selbst anziehen will. Wir suchen eine Umkleidekabine, um uns der Schichten von Winterkleidung zu entledigen. Es ist keine frei.
16.45 Uhr: Kabine gekapert, Kleider von den Kindern gezerrt, Geplärr, weil Mama den falschen Badeanzug eingepackt hat. Der Mann zeigt bereits erste Anzeichen von Entnervung. Wir wollen unsere Sachen im Spind verstauen. Es ist keiner frei.
16.52 Uhr: Eintritt in den Badebereich. Es wuselt vor halbnackten Menschen, im Wasser stehen sie herum wie Pinguine in einer kollektiven Badewanne. Es ist laut. Nehme mir immer noch vor, dass das jetzt entspannend wird. Wir suchen eine Liege, um Handtücher und Kinder abzulegen. Es ist keine frei.
17.02 Uhr: Liege erobert, Schwimmflügel aufgeblasen. Die Tochter möchte jetzt gerne auf der Liege rasten. Wird gnadenlos ins Wasser gezerrt. Liegen kann man auch zuhause. Gratis. Geplärr.
17.10 Uhr: Im Wasser. Angenehm warm. Der Kopf befiehlt: „Jetzt habe Spaß, du hast viel Geld dafür bezahlt!“ „Ich muss Pipi!“, schreit die Tochter. „Jetzt?“ „JETZT!!!“ Also wieder raus, abtrocknen, Toilette. Ich ahne, das wird schwierig mit der Entspannung.
17.15 Uhr: Wieder rein ins Wasser. Junges Pärchen befummelt und beschlabbert sich ausgiebig am Beckenrand. Ich strecke ihnen den Kleinen wie ein Mahnmal entgegen. Sowas kommt von sowas. Keine Reaktion. Ein paar Meter weiter fummeln die nächsten. So ein separates Fummelbecken wäre auch eine „Spezial“-Idee.
17.25 Uhr: Ich halte Ausschau nach der „Spezial“-Kundschaft mit den guten Manieren. Eine Frau drückt einem Mann hingebungsvoll einen Pickel am Rücken aus. Im Wasser. Ich suche weiter.
17. 28 Uhr: „Hunger!“, schreit die Tochter. Wieder raus. Ich bemerke, dass Menschen in Winterjacken das fade Winterfleisch der Badenden durch die Glasfront fotografieren. Fühle mich etwas exponiert. Vor mir formiert sich eine Gruppe Touristen, um sich von der Nonna ablichten zu lassen. Mein Stinkefinger photobombt sie von hinten. Schäme mich dafür, aber nur ganz kurz.
17.40 Uhr: Hinterlassen im Barbereich Cracker-Krümel und Pfützen. Ich hoffe, dass es nur Wasser ist, Stichwort: Schwimmwindel. Fühle kurz Genugtuung. Die Tochter will nicht mehr ins Becken. Wird wieder reingezerrt. Bald haben wir’s hinter uns. Der Mann sieht sehr müde aus.
17.45 Uhr: Im Sprudelbecken. Die junge Frau neben uns posiert im Wasser für ein Selfie. Zerre den Kleinen aus dem Bild. Ein Bademeister latscht heran, zeigt mit Leidensmiene auf das Schild mit der durchgestrichenen Kamera. Wohl nicht zum ersten Mal heute. „Oh, scusi“. Kaum ist er von dannen gelatscht, wird das Smartphone wieder gezückt. „E vabbè, lo faccio lo stesso.“ Habe keine Kraft mehr.
18.00 Uhr: „Sollen wir so langsam raus?“ „Ja, sollen wir.“ Der Mann klingt erleichtert. „Ich will ins Wasser“, schreit die Tochter. Geplärr. Duschen, trocken rubbeln. Wieder auf eine Kabine warten. Irgendwie wollen alle raus jetzt. Wo war nochmal unser Spind? Kündige an, durchzudrehen, falls wir jetzt dreißig Euro draufzahlen müssen, weil wir nicht rechtzeitig auschecken.
18.20 Uhr: Aggressiv Kabine erobert. Kinder werden notdürftig verpackt, der Kleine hat seine Schuhe in die Kabine nebenan geschoben. Die Tochter will die Haare föhnen, ist nicht drin. Ach ja, sich selbst anziehen wäre auch gut.
18.28 Uhr: Im Stechschritt nach draußen. Hinter der Schranke Kinder ordentlich anziehen. Geplärr. „WARUM GEHEN WIR SCHON?“ Der Mann und ich schweigen uns an wie Überlebende einer Katastrophe. Aber zum ersten Mal: so etwas wie Entspannung. Vielleicht ist das ja alles so beabsichtigt. Der Erholungseffekt stellt sich erst bei Verlassen der Einrichtung ein.
Als Einheimischer geht man doch nicht in die Therme. Nicht mit Kindern. Nicht an Weihnachten. Oder Feiertagen. Oder Wochenenden überhaupt.
Ein paar Tage später erzähle ich einer Freundin von unseren kostspieligen zwei Stunden. „Naja, selber blöd“, meint sie. „Als Einheimischer geht man doch nicht in die Therme. Nicht mit Kindern. Nicht an Weihnachten. Oder Feiertagen. Oder Wochenenden überhaupt.“ Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen.