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thevulvaproject

Die Künstlerin AliPaloma arbeitet mit einem engagierten Kunstprojekt gegen überholte Rollenbilder. Ein Gespräch zum Internationalen Frauentag.
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Foto: AliPaloma

salto.bz: „thevulvaproject“ ist ein Kunstprojekt, geht aber weit darüber hinaus. Was führt ihre Kunst in den Intimbereich?
AliPaloma: Das vulvaproject entstand 2016 einerseits als Reaktion auf die Tabuisierung des weiblichen Geschlechts und andererseits als Ablehnung einer ästhetischen Idealvorstellung, die selbst vor dem Intimbereich der Frau nicht haltmacht. 

Warum boomt Schamlippen-Chirurgie?
Die weltweite Zunahme von Labioplastik, mit größter Zunahme in der Korrektur der inneren Schamlippe ist auf das Massenmedial etablierte Intimideal zurückzuführen.
Außerdem eint Verunsicherung. Das Bewusstsein über die Diversität des weiblichen Geschlechts fehlt, kein Wunder, wenn sogar im Aufklärungsmaterial immer nur Frauen dargestellt werden, die dem Schönheitsideal entsprechen.

Wer gibt das ideale Bild der "perfekten Vulva“ vor?
Der aktuell dominierende Körperkult wird von der Schönheits– und Pornoindustrie generiert, und im social media rasend verbreitet. Das Ideal einer perfekten Vulva folgt dabei einer allgemeinen Schönheitsnorm von Jugendlichkeit. Ein weiterer Grund für die ästhetische Idealvorstellung einer jugendlichen Genitale sind sicherlich bestimmte Kunsttraditionen der westlichen Welt – dazu gehört, dass Schambehaarung und auch die innere Vulva nicht dargestellt wurden, im Gegensatz: das weibliche Geschlecht wurde viel zu lange totgeschwiegen. 

Ist Schamlippen-Chirurgie Kunst?
Es gibt tatsächlich einen Münchner Intimchirurg, der sich selbst gern „Vagina-Picasso“ nennt, dennoch bezweifle ich, dass herkömmliche Schönheitschirurgie in die Sparte der Kunst fällt.

Ihre Arbeiten stehen für einen neuen Feminismus. Nicht nur in der Kunst. Wie unterscheiden sich neue feministische Positionen von alten feministischen Positionen?
Neue Positionen unterscheiden sich unter anderem darin, dass der in den 68-er Jahren vorherrschende Differenzgedanke – Frau, Mann – aufgelöst wird und das Männliche bzw. andere Geschlechter mit in die Diskussion eingebunden werden. Heute geht es also um die Aufhebung von Geschlechterhierarchien und die grundsätzliche Gleichheit bzw. Einführung aller Geschlechter und sexueller Neigungen. Wesentlich ist dabei auch, dass der Begriff des Feminismus immer wieder diskutiert bzw. abgelehnt und beispielsweise mit dem Begriff queer, also andersartig oder von der Norm abweichend, ersetzt wird.

Es gibt bei konservativen Frauen eine Sehnsucht nach Rückkehr zu veralteten Rollenbildern. Wie beobachten Sie diesen Trend der Umkehr?
Antifeminismus und Gender-Kritik wachsen zweifellos mit der Erfolgswelle des europäischen Rechtspopulismus. Dieser wirbt mit dem Bild der Kleinfamilie und einer klassischen Rollenaufteilung als Erfolgsmodell. Es wird ein mächtiger Mythos konstruiert, der denjenigen Heil verspricht, die zum Ursprung zurückkehren. Die Idealisierung von Heterosexualität erinnert stark an traditionelle politische Tendenzen der Kriegs- und auch Nachkriegszeit der 1950er Jahre.

Zudem wird die dem Mann zugeschriebene Rolle des „Ernährers“ nach wie vor sozialpolitisch gesteuert und bleibt durch das „gender pay gap“ erhalten. Die Lohnschere zwischen Frauen und Männern sowie die steigenden Lebenserhaltungskosten in unserem Breitenkreis führen immer noch dazu, dass junge Eltern gezwungen sind sich für eine traditionelle Rollenaufteilung zu entscheiden.
Es gäbe genügend alternative Modelle – wie beispielsweise die Einführung der 30-Stunden-Woche – und ich hoffe stark, dass diese ernsthaft in der Politik und Wirtschaft diskutiert werden.

Warum lassen sich viele Menschen von einem irreführenden Perfektionismus leiten? Oder sind das einfach nur bedauerliche Nebenwirkungen des Kapitalismus?
Körperkult und Schönheitswahn sind keine Erfindungen der modernen Gesellschaft und hat es immer schon in zivilisierten Gesellschaften gegeben. Man kann jedoch nicht leugnen, dass wir heute mehr denn je mit der Optimierung unseres Körpers beschäftigt sind, vor allem weil uns technologisch gesehen alle Möglichkeiten zur Verfügung stehen, etwa plastische Chirurgie, Hormone…
Ziel ist eine absolute Vollkommenheit unseres Erscheinungsbildes. Damit wird unser Körper zu einem wesentlichen Marketing-Instrument.

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