Die Genugtuung der Bürger über die Abschaffung der IMU ist verständlich. Nur: sie kommt verfrüht. Denn die Regierung hat die ungeliebte Immobiliensteuer abgeschafft, ohne zu erklären, woher die finanzielle Deckung für die Eliminierung der zweiten Rate kommen soll. Diese Entscheidung soll im Oktober fallen, wenn das Haushaltsgesetz verabschiedet wird. Erst dann wird man erfahren, woher die Regierung Letta die nötigen Geldmittel nimmt, da sich alle Ministerien gegen Kürzungen sperren. Und erst dann wird es Klarheit darüber geben, wer bei Anwendung der neuen, kommunalen "service tax" zur Kasse gebeten wird.
In hastigen Dementis versuchte die Regierung, Befürchtungen zu entkräften, die Steuern auf Zweitwohnungen würden erhöht, auch die Mieter müssten ihren Beitrag leisten. Der Text sei bereits korrigiert worden, eine Alarmstimmung nicht gerechtfertigt. Premier Lettas Kabinett wiederholt mit der IMU einen Klassiker italienischer Gesetzgebungskunst: das ewige Flickwerk. Nie ein organisches Gesetz, nie eines, das nicht von den verschiedenen Lobbies ausgehöhlt oder zurechtgestutzt würde. Auch das Ergebnis wiederholt sich: allgemeine Unsicherheit. Kein Wohnungsbesitzer weiß, wie hoch die zweite Rate der IMU sein wird, die er zu bezahlen hat. Und niemand weiß, in welchem Ausmaß sich Immobilienbesitz in der neuen kommunalen Steuer niederschlagen wird. Berlusconis populistisches Wahlversprechen ist erfüllt. Der Rest scheint Nebensache. Und der Cavaliere legt sofort eine zweite Erpressung nach: wird ihm das politische Mandat aberkannt, stürzt die Regierung.
Soeben der Gefahr entronnen, ist Letta schon wieder ein Premier auf Abruf. Nun richtet sich der Blick auf den Senatsausschuss, der über Berlusconis Verbannung aus dem Senat entscheiden soll. Der Ausschuss könnte die Diskussion zunächst verzögern. Etwa bis zum 15. Oktober - dem letzten Termin, der Neuwahlen in diesem Jahr ermöglichen würde. Oder bis zur Entscheidung des Mailänder Berufungsgerichts, das die Dauer von Berlusconis Ausschluss von allen öffentlichen Ämtern neu festlegen muss. Sollte die Regierung vorher stürzen, könnte sich im Senat auch eine alternative Mehrheit bilden, die eine Regierung ohne PDL ermöglicht. Dazu wären 21 Stimmen erforderlich. Rund 15 könnten aus der Fünf-Sterne-Bewegung kommen, ein weiteres Dutzend aus der gemischten Fraktion, der Fraktion Grandi autonomie e Libertá und sogar aus dem PDL. Auch die vier neuen Senatoren auf Lebenszeit, die der Staatspräsident gestern ernannt hat, können dazugerechnet werden. Dazu müsste Letta vermutlich durch eine relativ parteiunabhängige Persönlichkeit ersetzt werden, da ihm die abtrünnigen Fünfsterne-Senatoren wohl kaum das Vertrauen aussprechen würde. Vorerst bleiben das Gedankenspiele, doch Sondierungen sind bereits im Gang. „Für die Regierung gibt es nun kein Ablaufdatum mehr", so der sichtlich zufriedene Premier. Das bleibt freilich abzuwarten. Auch wenn Berlusconi sein Ultimatum nach wenigen Stunden wieder zurückgenommen hat - Politik als Tollhaus.