Das Märchen von der Vereinbarkeit
Nicht erst fünf vor, sondern schon zehn nach zwölf ist es, hört man sich die zahlreichen Stellungnahmen an diesem Vormittag im Haus der Jugend an. Ein gutes Dutzend Vertreter von Eltern- und Familienorganisationen, aber auch von Kinderbetreuungsstätten sitzen dort im Halbkreis. In ihrer Mitte, Christa Ladurner, Sprecherin der Allianz für Familie, und Gleichstellungsrätin Michela Morandini. Die sagt: “Die Versäumnisse der letzten Jahre und Jahrzehnte fliegen uns gerade um die Ohren.”
Es geht um die steigende Belastung berufstätiger Eltern, die fehlende Unterstützung von Politik und Wirtschaft, kurzum, “die Vereinbarkeitslüge”, so der bewusst provokant gewählte Titel der Pressekonferenz.
Beruf und Familie: geht fast nicht
“Ich kann es nicht mehr hören, wenn über den Fachkräftemangel geklagt wird, während man auf der anderen Seite Hochqualifizierte aus der Arbeitswelt gehen lässt.” Michela Morandini spricht von den 986 Müttern von Kleinkindern (bis zu 3 Jahren), die 2018 ihre Arbeit gekündigt haben. Die meisten, weil sie es nicht schaffen, Familie und Beruf zu vereinbaren, darunter viele hochqualifizierte Frauen. “Und es werden immer mehr.” Genau dieselbe Erfahrung hat Christa Ladurner gemacht, die als Koordinatorin in der Fachstelle Familie des Forum Prävention tätig ist. “Die Anzahl der Eltern, die sich bei uns gemeldet haben, weil sie Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit haben, ist massiv angestiegen. Nicht nur Mütter, sondern auch immer mehr Väter, die sich aktiv in die Familie einbringen wollen und auf dieselben Schwierigkeiten treffen wie die Frauen.”
Welche das sind, erläutern Ladurner und Morandini anhand von Erfahrungsberichten, stützen sich aber vor allem auf handfeste Daten.
Es geht vor allem um die schul- bzw. kindergartenfreie Zeit, in der sich Eltern, die arbeiten – und das sind immer mehr – schwer tun, ihren Nachwuchs unterzubringen. Was sich wiederum auf ihre Berufstätigkeit auswirkt. “Es geht nicht darum, die Kinder abzuschieben, denn natürlich tragen in erster Linie Eltern die Verantwortung für ihre Kinder”, schickt Ladurner voraus. “Aber sie brauchen Unterstützung.”
Löcher und Lösungen
Laut der letzten Familienstudie, die das ASTAT 2016 durchgeführt und Anfang 2018 veröffentlicht hat, wurden Eltern befragt, wann sie Schwierigkeiten haben, die Kinderbetreuung zu organisieren. Die meisten Schwierigkeiten gibt es in den Sommerferien, an schulfreien Tagen, beim Transport zur oder von der Schule, den Freizeitaktivitäten usw. und am Nachmittag nach Schul- oder Kindergartenende.
“Da ist die Verkäuferin, die am Nachmittag arbeiten muss und nicht weiß, wie sie ihr Kind unterbringen soll; die selbstständige Friseurin, die sagt, ihr Geschäft rentiert sich nicht mehr; die Lehrperson, die von Grundschulkindern erzählt, die nachmittags alleine zu Hause sind”, berichtet Ladurner. Vor allem am Land mangle es an Angeboten für die Nachmittagsbetreuung. Dazu kommt, dass in den deutschsprachigen Kindergärten und Schulen “schleichend die Öffnungszeiten reduziert werden”, wie es am Mittwoch Vormittag heißt. “Man will das Personal in Kindergarten und Schule entlasten und schließt die Einrichtungen früher”, zeigt Morandini Verständnis. “Daraus folgt aber, dass die Eltern mehr belastet werden – es beginnt ein Teufelskreis.”
“Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktioniert in Südtirol nicht.” (Michela Morandini)
Die Problematik ziehe sich durch alle Alters- und Berufsgruppen, betrifft sowohl Angestellte im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft und Freiberufler. So die übereinstimmende Beobachtung von Ladurner und Morandini.
Auch nach Verbesserungsvorschlägen hat das ASTAT in seiner Familienstudie gefragt. Mit folgendem Ergebnis:
- Möglichkeit des Wartestandes in den ersten drei Lebensjahren des Kindes ohne den Arbeitsplatz zu verlieren: 55,1% der Eltern stimmen “sehr” zu, 26,1% “ziemlich”
- flexiblere Arbeitszeiten: 33,8% stimmen “sehr” zu, 39,8% “ziemlich”
- Hilfe für die Betreuung von pflegebedürftigen Familienangehörigen zu Hause: 35,6% stimmen “sehr” zu, 35,4% “ziemlich”
Aber auch Betreuungseinrichtungen in der Wohngemeinde, verstärkte Betreuungsangebote während der Ferien und außerhalb der Schulzeiten sowie ein Mensaangebot in der Schule für alle – “denn viele Eltern müssen mittags daheim sein, um für die Kinder zu kochen”, erklärt Ladurner – finden breite Zustimmung.
Ernsthaft an einen Tisch setzen
Die ASTAT-Studie zeigt es: gefordert sind Politik und Arbeitgeber bzw. die Wirtschaft. “Es braucht neue Angebote und Konzepte, die den Eltern Planungssicherheit bei der Familiensituation garantieren”, so der Appell der Allianz für Familie. Gemeinsam mit der Gleichstellungsrätin fordert man neue, der Zeit und den Bedürfnissen der Eltern angepasste Bildungs-, Betreuungs- und Arbeitsmodelle – erarbeitet an einem gemeinsamen Tisch, an dem Politik, Wirtschaft, Schule, Gemeinden und Eltern sitzen.
“Nicht Löcher stopfen, wie es derzeit passiert, nicht schnelle Lösungen, sondern zukunftsträchtige, mutige und weitreichende Konzepte”, bringt Christa Ladurner die Anliegen auf den Punkt. Jüngst habe man die Gelegenheit gehabt, bei Bildungs- und Wirtschaftslandesrat Philipp Achammer und dem Südtiroler Wirtschaftsring vorzusprechen. Das Ergebnis? “Uns wurde gesagt, dass man darüber nachdenken wird, ob man die Sache weiter verfolgen und vertiefen will”, die ernüchternde Feststellung an diesem Vormittag.
“Uns wurde gesagt, dass man
“Uns wurde gesagt, dass man darüber nachdenken wird, ob man die Sache weiter verfolgen und vertiefen will”, die ernüchternde Feststellung an diesem Vormittag“:
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Nach dem Mann braucht die Wirtschaft nun auch die Frau Vollzeit in der Arbeitswelt. Glück wird an der Rendite und am Wirtschaftswachstum gemessen, nicht an „glücklichen Familien“. Die Selbstmordrate von einem erfolgreichen pro Woche wird versteckt, das Fehlen einer auch nur ansatzweise ausreichenden Anzahl an Lehrern und Psychologen verschwiegen.
Eine Vereinbarkeit von Karriere und Familie gibt es nicht, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wäre möglich, wenn Familie, gesunde Kinder und glückliche Menschen in unserer Gesellschaft einen Wert darstellen würden. Das tun sie nicht.
So ist es und anstatt eine
Genauso ist es. Und anstatt eine kompetente (Beruf) und erfahrene (Familie/Politik) Frau in den Landtag zu wählen, werden Figuren "gepusht", die nicht unbequem werden könnten.
"Uns wurde gesagt, dass man
"Uns wurde gesagt, dass man darüber nachdenken wird, ob man die Sache weiter verfolgen und vertiefen will" - als wäre die Sache Verhandlungsmasse. Der CDU in Deutschland fliegt gerade ihre digitale Inkompetenz um die Ohren. In Südtirol sehe ich bei den Regierenden eine Inkompetenz in Sachen Vereinbarkeit Familie-Beruf. Diese Haltung wird sich ebenfalls als Bumerang erweisen.
Das Märchen war vor 30 Jahren
Das Märchen war vor 30 Jahren dasselbe. Frankreich, Schweden u.a. hatten damals schon Ganztagsschulen und eine allgemeine Kultur der gemeinsamen Kindererziehung. Damals wurde die Mutter in Südtirol angehimmelt, dann die Tagesmutter salonfähig versichert. Aber das Problem ist immer noch geblieben: es gibt keine flexiblen Einrichtungen, die Eltern entspannt arbeiten lassen. Es gibt nach wie vor Großeltern, Sommerkindergärten und ev. Sommerschule. Es gibt Freizeitvereine, die Eltern noch mehr stressen mit dem Hin- und Herfahren und es gibt FamilienpolitikerInnen, die auf naturnahe Erziehung stehen. Organisieren und unterbringen mal da mal dort, müssen die Eltern wie vor 30 Jahren, alleine und oft teuer.
Danke für den Artikel. Der
Danke für den Artikel. Der Bildungslandesrat hat Gesprächsbereitschaft gezeigt. Den Worten sollten nun auch Taten folgen. Wir erhoffen uns bereichsübergreifende Tische, an denen die konkreten Lösungen für die Zukunft erarbeitet werden. Wichtig ist: das Wohl unserer Kinder muss in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt werden.
Antwort auf Danke für den Artikel. Der von Christa Ladurner
Das haben wir vor 30 Jahren
Das haben wir vor 30 Jahren auch schon gehört.
>Nach dem Mann braucht die
>Nach dem Mann braucht die Wirtschaft nun auch die Frau Vollzeit in der Arbeitswelt.<
Oder ist es eher umgekehrt - beide Elternteile müssen heutzutage angesichts des Lohn-/Preisgefüges voll arbeiten, um einen Lebensstandard zu sichern, den in der vorhergehenden Generation der Alleinverdiener stemmte? Das könnte sich mit der Einführung von Salvinis Flat Tax und deren Familienbesteuerung ändern, wenn Frauen wieder zuhause bleiben, um das Haushaltseinkommen unter jene Schwelle zu drücken, bis zu welcher sich viele Tausende Euro an Steuern sparen lassen. Es müsste eigentlich ein Aufschrei durch die Gesellschaft gehen...