Politik | Interview

“Es ist Platz für Gelb und Grün”

Riccardo Dello Sbarba erklärt, warum die Grünen sich in Europa gegen das Team Köllensperger entschieden haben – und warum man in Südtirol zusammenarbeiten muss.
Riccardo Dello Sbarba
Foto: Grüne Verdi Verc

salto.bz: Herr Landtagsabgeordneter, die Grünen haben bei den Europawahlen am vergangenen Sonntag 21.148 Stimmen in Südtirol bekommen. Bereits im Vorfeld stand fest, dass die Grünen die Vier-Prozent-Hürde auf nationaler Ebene nicht schaffen würden. Sind es also 21.148 weggeworfene Stimmen, wie Günther Pallaver feststellt?

Riccardo Dello Sbarba: Nein, das sind keine weggeworfenen Stimmen. In einer Demokratie ist keine Stimme weggeworfen – und vor allem nicht bei diesen Europawahlen.

Für einen Sitz im EU-Parlament haben die Stimmen aber bei Weitem nicht gereicht. Und das war doch das Ziel der Südtiroler Grünen, oder?

Das Neue an diesen Wahlen war, dass es wirklich europäische Wahlen waren. Die Menschen haben dieses Mal über Europa abgestimmt, es war eine Wahl für oder gegen Europa. Und wer für Europa stimmte, konnte entscheiden, in welcher Form er dafür stimmte.

Das Votum für die Grünen verstehen Sie also vielmehr als Votum für die Europäischen Grünen als für die Südtiroler Grünen?

Die Südtiroler Grünen sind vor einigen Jahren den Europäischen Grünen beigetreten. Die zweite Partei in Italien, die dieser Familie angehören, sind die Verdi italiani, mit denen wir beschlossen haben, auf der Liste “Europa Verde” anzutreten.
Diese Entscheidung wurde meines Erachtens durch den Wahlausgang und das Wahlverhalten bestätigt. Die Menschen haben für Europa gestimmt, Europa im Blick. Diese Wahl hat Südtirol europäisiert.

Inwiefern?

In Südtirol sind dieses Mal alle großen europäischen Parteifamilien angetreten – und haben sich behauptet: die Europäische Volkspartei, wo, ganz selbstverständlich, die SVP mit Forza Italia angetreten ist; die Sozialdemokraten mit dem PD; die Grünen; die Populisten und Souveränisten in Gestalt der Lega. Und dann gab es die Liberaldemokraten von ALDE, bei denen das Team Köllensperger sein Zuhause gefunden hat. In diesem Sinn kann man sagen, dass diese Europawahlen ein Schritt Richtung Europäisierung der politischen Landschaft Südtirols waren.

Man muss sich vor allem wahrhaftig von der Idee, der Mentalität der Sammelpartei verabschieden

Stört es Sie nicht, dass mit Team Köllensperger ein neuer Player auf der politischen Landkarte erschienen ist?

Ein solches Angebot hat es in den vergangenen Jahrzehnten in Südtirol nie gegeben. Südtirol war von der Parteienlandschaft her immer mehr ein klerikales denn ein liberaldemokratisches Land. Daher ist es positiv, dass es dieses Angebot gibt.

Nicht alle teilen Ihre Meinung. Bis zuletzt gab es Kritik und Polemik, weil sich Team Köllensperger und Grüne nicht zusammengetan und einen gemeinsamen Kandidaten oder eine gemeinsame Kandidatin ins Rennen geschickt haben. Sind die Grünen aufgrund ihres Neins Schuld, dass Renate Holzeisen jetzt nicht im EU-Parlament sitzt?

Ich habe Paul Köllensperger mehrmals vorgeschlagen, eine Kandidatur der Grünen zu unterstützen. Er hat mir erklärt, dass er es nie schaffen würde, die 43.000 Stimmen, die sein Team bei den Landtagswahlen erhalten hat, in Richtung Grüne zu bewegen. Ganz im Gegenteil: Bei den Landtagswahlen wurde das Team Köllensperger gewählt, gerade weil es nicht die Grünen waren. Wer die Grünen wählen wollte, wählte die Grünen. Wer nicht die Grünen, aber auch weder SVP noch Rechte wählen wollte, wählte Team Köllensperger.

“Wir haben die EU-Wahl als EU-Wahl begriffen und nicht als Provinzderby”, schreiben die Grünen am 27. Mai. Genau vor diesem Hintergrund hätte man doch Ja zu einer gemeinsamen Kandidatur sagen können?

Ich habe den Eindruck, dass bei der ganzen Geschichte nicht die gesamte Wahrheit rekonstruiert wurde. Denn in Wirklichkeit gab es ein Projekt, das eine gemeinsame Plattform hätte schaffen können: eine Minderheitenliste in Verbindung mit dem PD.

Es hätte es Wähler des Team K gegeben, denen dieses Bündnis zu grün gewesen wäre und Grüne Wähler, denen die Allianz zu wenig grün gewesen wäre

Grüne gemeinsam mit Team Köllensperger samt eigenem Symbol – nach dem Vorbild der SVP, die eine Verbindung mit Forza Italia eingegangen ist? Dann hätten 50.000 Vorzugsstimmen im Wahlkreis Nord-Ost für einen Sitz im Europaparlament gereicht.

Genau. Wenn eine Minderheitenliste möglich gewesen wäre, hätten wir uns wirklich schwer getan, Nein zu einer gemeinsamen Kandidatur zu sagen. Es ist kein Geheimnis, dass es innerhalb der Grünen einige gab, die schon von Anfang an die Option mit den Europäischen Grünen, einer Grünen Liste, absolut bevorzugten. Aber viele andere von uns meinten, dass es eine Allianz PD-Team Köllensperger-Grüne zu sondieren galt. Was auch passiert ist. Nur war es irgendwann der PD, der uns mitgeteilt hat – Köllensperger und uns Grünen –, dass man nicht bereit war, eine zweite Minderheitenliste in Südtirol zuzulassen.

Hat man Ihnen gesagt, aus welchem Grund?

Der Grund war nie wirklich klar. Man muss sich vor Augen halten, dass der PD damals – inmitten der parteiinternen Vorwahlen – ohne Führungsriege da stand und Nicola Zingaretti als angehender Parteisekretär an alles andere zu denken hatte als an die Situation in Südtirol. Aber der wahre Grund, dass sich der PD nicht als nationaler Partner für eine Minderheitenliste zur Verfügung gestellt hat, war, so glaube ich, ein ganz anderer.

Die Gemeinderatswahlen bieten sicher eine Gelegenheit zur Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Kräften.

Nämlich?

Dem Südtiroler PD stellt sich die Problematik der Gemeinderatswahlen im kommenden Jahr. Und es herrschte große Sorge – einige Vertreter des lokalen PD haben das bestätigt –, dass, wenn der PD es zulässt, dass neben der SVP eine zweite Minderheitenliste entsteht, es zu einem Bruch mit der Volkspartei kommen würde. Einem derart radikalen Bruch, dass zum Beispiel die Unterstützung von Renzo Caramaschi durch die SVP als Bozner Bürgermeisterkandidat 2020 unmöglich geworden wäre. Viele aus dem Bozner PD haben uns gesagt: “Wenn wir die Minderheitenliste mit euch machen, treiben wir die SVP der Lega in die Arme.” So wäre der Bruch endgültig vollzogen gewesen.
Andere haben uns auch berichtet, dass hohe SVP-Funktionäre deutlich gemacht hätten, dass, wenn der PD etwas Derartiges macht, eine Zusammenarbeit für die nächsten 20 Jahre völlig ausgeschlossen wäre. Die SVP hätte 20 Jahre lang kein Wort mehr mit dem PD gewechselt – das sei die Botschaft aus der Volkspartei gewesen. Ich glaube daher, dass es diese Befürchtungen waren, die den PD veranlasst haben, die Hypothese einer Minderheitenliste zu verwerfen.

Werfen Sie dem PD Schwäche vor?

Nun, es wäre einfach zu sagen, der PD hätte anders entscheiden müssen. Aber ich kann sie verstehen. Denn wenn ich mich in die Mentalität des PD und die Notwendigkeit hineinversetze, nicht endgültig mit einem möglichen Partner SVP zu brechen – die Allianz hat ja lange angedauert –, kann ich deren Beweggründe schon verstehen. Das kann ich jetzt, nach den Wahlen, auch sagen.

Diesen Appell, sich zusammenzutun, sehe ich vor allem in der alten Generation.

Allerdings hat auch der Grüne Rat Nein zu einer gemeinsamen Kandidatur mit dem Team Köllensperger gesagt.

Als die Minderheitenliste gemeinsam mit dem PD einmal vom Tisch war, hat Team Köllensperger sofort einen europäischen Partner gesucht – die Liberaldemokraten von ALDE – und wir sind bei dem geblieben, den wir schon hatten: die Europäischen und die italienischen Grünen.
Je näher der Wahltermin rückte, desto klarer war es, dass wir weder eine Kandidatur der Liberaldemokraten auf der Liste der Europäischen Grünen unterstützen konnten, noch, dass wir die Liberaldemokraten – mit +Europa und ALDE – auffordern konnten, eine Grüne Kandidatur zu unterstützen.

ALDE und Grüne sind die zwei Parteifamilien, die am 26. Mai auf europäischer Ebene die meisten Sitze dazu gewonnen haben, nämlich 61. Christ- und Sozialdemokraten haben deutlich verloren: 86 Sitze. Gelb und Grün könnten sogar beide Teil der Mehrheit im Europaparlament werden, die Christ- und Sozialdemokraten abhanden gekommen ist und mitregieren. Aus diesem Blickwinkel gesehen stehen sowohl die Südtiroler Grünen als auch Team Köllensperger als Sieger da.

Um auf den Vorwurf der “weggeworfenen Stimmen” zurückzukommen: Den kann man den Grünen machen, aber auch dem Team Köllensperger. Laut SWG, einem der wichtigsten Umfrageinstitute Italiens, lag +Europa, mit dem Team K angetreten ist, nie bei über 3 Prozent. Am Ende hat +Europa 3,1 Prozent geholt, die Grünen 2,3 Prozent. Es ist nicht so, dass +Europa mit unseren 21.000 Stimmen das Vier-Prozent-Quroum erreicht hätte. Es war also aussichtslos. Aber einen Nutzen haben die Stimmen für diese beiden Parteien gehabt, nämlich genau im Hinblick auf die bereits erwähnte Europäisierung der politischen Landschaft Südtirols.
Bei diesen Wahlen haben sich in Südtirol zwei politische Angebote gefestigt, die heute auf europäischer Ebene die Antwort auf die Krise der “alten” Parteien darstellen. Antworten, die beide modern, beide reformistisch sind, zugleich aber unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die Liberaldemokraten sind eine Antwort auf die Krise der alten gemäßigten Mitte und die Grünen sind eine mögliche Antwort auf die Krise der Sozialdemokratie. Und ich glaube, dass diese beiden Kräfte zusammenarbeiten können, zusammenarbeiten müssen.

Es gibt zwei wirklich wichtige politische Familien in Europa und es ist ein Reichtum, dass diese beide Familien auch in Südtirol in Erscheinung treten und das Land erneuern.

Auch in Südtirol? In welcher Form?

Es wird in Südtirol Wahlen geben, bei denen das Wahlsystem erlaubt, Allianzen einzugehen und dabei die eigene Autonomie beizubehalten. Bei der Direktwahl der Bürgermeister der großen Städte ist das zum Beispiel der Fall. Dort ist klar, dass es unser Ziel ist, eine Koalition zu schaffen, die die beiden Kräfte vereint, mit ihren jeweiligen Listen, und einen gemeinsamen Kandidaten zu unterstützen. Etwa in Bozen und Meran.

Sie setzen also auf Kooperation statt Fusion?

FDP und Grüne haben in Deutschland mit CDU/CSU über eine Jamaika-Koalition auf Bundesebene verhandelt. Aber nie hätte jemand jemals daran gedacht, der FDP vorzuschlagen, den Grünen beizutreten oder umgekehrt den Grünen, in der FDP aufzugehen.
Diesen Appell, sich zusammenzutun, sehe ich vor allem in der alten Generation. Und ich denke, dass die alte Generation – zu der ich selbst gehöre – verstehen muss, dass wir vor einer Veränderung stehen. Es entsteht eine neue politische Landschaft in Europa. Und es braucht neue Denkkategorien. Eine alte Denkkategorie ist die der Sammelpartei. Dabei gilt es, das Modell der Sammelpartei anzufechten – und nicht, die Sammelpartei der Opposition zu gründen.
Als Listenführer war ich bei den Landtagswahlen 2003 in ganz Südtirol auf der Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten. Und ganz oft wurde mir gesagt, “Ich würde schon für euch antreten, aber tut euch doch mit den Freiheitlichen und Bürgerunion zusammen, macht eine einzige gute oppositionelle Liste und tretet der SVP anständig in den Hintern.”

Kein verlockender Gedanke?

Dagegen habe ich zweierlei Einsprüche: Zum einen ergibt eins plus eins nicht immer zwei. Wären wir zum Beispiel am 26. Mai gemeinsam mit Team Köllensperger angetreten, unter diesen Bedingungen – keine Minderheitenliste, eine sowieso aussichtslose Kandidatur auf beiden Seiten –, hätte es Wähler des Team K gegeben, denen dieses Bündnis zu grün gewesen wäre und Grüne Wähler, denen die Allianz zu wenig grün gewesen wäre. Deshalb glaube ich nicht, dass wir einfach die Summe der Stimmen geholt hätten, die wir einzeln erzielt haben.
Zum anderen aber muss man sich vor allem wahrhaftig von der Idee, der Mentalität der Sammelpartei verabschieden.

In mancher Hinsicht hat sich die SVP ja selbst schon davon verabschiedet – wenn man zum Beispiel die Arbeitnehmer hernimmt, die höchstens noch am Rande warhnehmbar sind?

Exakt! Und in dem Moment, wo das Konzept nicht mal mehr in der SVP funktioniert, muss die Opposition eine Sammelpartei gründen?
Im Gegensatz dazu gibt es zwei wirklich wichtige politische Familien in Europa und es ist ein Reichtum, dass diese beide Familien auch in Südtirol in Erscheinung treten und das Land erneuern, es europäisieren. Natürlich, diese beiden Familien haben viele Gründe um zu kooperieren – und, ich wiederhole, die Gemeinderatswahlen bieten sicher eine Gelegenheit zur Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Kräften. Letztendlich sind es zwei Familien, die gemeinsam mit der EVP und den Sozialdemokraten in Europa regieren werden.

Den Vorwurf der “weggeworfenen Stimmen” kann man den Grünen machen, aber auch dem Team Köllensperger.

Bietet Südtirol tatsächlich genügend Platz für Grün und Gelb?

Meiner Meinung gibt es Platz für ein gelbes und ein grünes Angebot. Es gibt viele programmatische Überschneidungen, zum Beispiel bei Bürgerrechten, Transparenz, Rechtsstaatlichkeit. Aber es sind zwei Kräfte, die bei der Modernisierung und der Europäisierung von Südtirol andere Akzente setzen. Die Grünen sind ökologisch, interethnisch, feministisch.

Wollen Sie damit sagen, dass das Team Köllensperger das alles nicht ist?

Nein. Aber sie sind es mit anderen Ausprägungen. Ich denke, dass die Unterschiede ziemlich klar sind und es ist auch richtig, dass sie sich entwickelt und bei diesen Wahlen herauskristallisiert haben. Natürlich, das Team Köllensperger umgibt der Reiz des Neuen und die Unbestimmtheit des Neuen. Aber langsam, langsam wird es sich eine Kontur geben müssen – und in diesem Sinne war diese Europawahl sehr wichtig.

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Christian Mair Fr., 31.05.2019 - 08:47

Die Einordnung des Team K als liberale Partei in der Tradition von FDP oder auch NEOS in Österreich finde ich sehr hilfreich.

Nach dem REZO- Video (https://www.youtube.com/watch?v=Xpg84NjCr9c) muss aber auch bei Südtiroler Grünen die Frage gestellt werden, wie mit der Unterstützung einer Wachstumsökonomie Klimawandel/Ökologisierung bewältigt werden kann?

Hierzu wird die Enttarnung von greenwashing, echte Offenheit für neue Ansätze im wirtschaftlichen Bereich und kommunalen Umsetzung u.ä. notwendig sein. Liberale Ansätze werden sich auf den demokratischen-bürgerrechtlichen Bereich beschränken müssen.

Fr., 31.05.2019 - 08:47 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 31.05.2019 - 11:53

Wenn das Hauptziel bei den Wahlen war, vor allem für Europa zu stimmen, dann hätten sich - wenn schon - alle italienischen Grünen mit +Europa auf einer Liste finden müssen. Die hatten das selbe Ziel! Und beide hätten einige Abgeordnet in Brüssel - davon eine/r aus Südtirol - die dann dort für Europa arbeiten könnten. Das können jetzt beide Listen nicht konkret. Aber Pragmatismus liegt wohl beiden nicht! Lieber träumen!
Wenn sich das Team Köllensperger wirtschaftsliberal - analog der genannten FDP - und nicht in Richtung linksliberal entwickelt, dann werden sie in Südtirol bald einige Abgeordnete verlieren. Die Lohnempfänger und Rentner - die untere Mittelschicht - braucht eine politische Vertretung. Wirtschafts- und neo-liberal sind schon Kompatscher, Widmann, Alfreider, Schuler & Co.!

Fr., 31.05.2019 - 11:53 Permalink
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Sepp.Bacher Sa., 01.06.2019 - 11:37

Antwort auf von Daniele Menestrina

Sie werden wohl Recht haben! Was ich betonen wollte ist, dass die Südtiroler Landesregierung jede Art von aggressivem Wirtschaften (immer mehr! - und ohne Rücksicht auf betroffene Personen, Landschaft, Natur und nachkommende Generationen) unterstützt und fördert; dabei strittige Projekte durchwinkt, wie letztlich in Feldthurns und Latsch.

Sa., 01.06.2019 - 11:37 Permalink