Rote Karte
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Politik | Defizitverfahren

Rote Karte aus Brüssel

Italien droht ein Strafverfahren der EU wegen seiner überbordenden Staatsschulden. Die Verhandlungen mit der EU führt Premier Conte.
 
 
Die Europäische Union hat erwartungsgemäss ein Strafverfahren gegen Italien wegen zu hoher Staatsverschuldung empfohlen. Die EU bemängelt, dass die römische Regierung im vergangenen Jahr nur völlig unzureichende Gegenmassnahmen getroffen habe. Mit dem Problem müssen sich nun die EU-Staaten befassen, die gegen Rom Strafen in Milliardenhöhe verfügen könnten. Sie haben zwei Wochen Zeit, um die Einschätzung der Kommission zu überprüfen. Mit der offiziellen Einleitung eines Strafverfahrens wären Auflagen für Italien verbunden, die Schulden zu senken. Italiens Schuldenberg beträgt 2.315 Milliarden. Dafür sind  jährlich 73 Milliarden an Zinsen fällig. Regierungschef Giuseppe Conte, der sich zu einem Staatsbesuch in Vietnam aufhält, erklärte, Italien werde versuchen, das Strafverfahren abzuwehren: "Faremo il massimo sforzo per scongiurare la procedura. Non sarò io a rompere con Bruxelles. Per l'Italia sarebbe un disastro." Doch in Abwesenheit  des Premiers haben sich Di Maio und Salvini am Donnerstag in einem längeren Gespräch auf eine "linea dura contro Bruxelles" geeinigt.
Das könnte zu neuen Konflikten in der regierung führen. Lega-Chef Matteo Salvini zeigt sich wie gewohnt grossmäulig gegenüber der EU: "Sono condizioni inaccettabili." Am Freitag wird Salvini in Luxemburg auf der Sitzung der EU-Innenminister zum Thema Immigration fehlen, weil er an der Mediaset-Sengung poemeriggio cinque" von Barbara D'Urso teilnimmt - offenbar ein triftiger Grund.
Im Gegenzug kündigt Salvini Steuersenkungen an. Wie die finanziert werden sollen, wird wie gewohnt nicht erklärt. Die EU-Kommission könnte Italien schon am 26. Juni die rote Karte zeigen. Nach den von Italien mitunterzeichneten Maastricht-Kriterien ist in den Ländern der Gemeinschaft eine jährliche Neuverschuldung von drei Prozent und eine Gesamtverschuldung von 60 Prozent des Inlandsprodukts erlaubt. Verstösst ein Staat dagegen, muss er Gegenmassnahmen beschliessen, um die Verschuldung zu senken.  
 
Die Exporte sinken, die Arbeitslosigkeit steigt. Allein in den letzten Tagen haben eine ganze Reihe von Unternehmen ihre Tore geschlossen.
 
Die Verhandlungen mit der EU sollen von Premier Conte und Wirtschaftsminister Tria geführt werden. Die EU fordert von Rom unter anderem eine wirksamere Bekämpfung der Steuerhinterziehung und Massnahmen zur Verkürzung der Zivilverfahren, deren Dauer ausländische Unternehmer vor Investitionen in Italien abschreckt.  
Die Mahnung aus Brüssel bewirkte in Rom einen zusätzlichen Nebeneffekt. Die Regierung steht ohne Europaminister da. Denn der im Februar zurückgetretene  Europaminister wurde nie ersetzt.
Italien ist in Sachen Wachstum das Schlusslicht unter den 28 EU-Staaten. Die Exporte sinken, die Arbeitslosigkeit steigt. Allein in den letzten Tagen haben eine ganze Reihe von Unternehmen ihre Tore geschlossen: die Ladenkette Mercatone Uno, deren Schuldenberg 90 Millionen Euro beträgt, kündigte 1800 Arbeitern. Das US-Technologie-Unternehmen Whirlpool in Neapel setzte fast 500 Beschäftigte vor die Tür.  Italiens grösstes Stahlwerk Ilva in Taranto, dessen Rettung die Fünf-Sterne-Bewegung versprochen hatte, überstellte 1400 Beschäftige in die Lohnausgleichskasse. In Verona schloss Unilever-Knorr seinen Betrieb, um nach Portugal zu übersiedeln und im Veneto erklärte das Mode-Unternehmen Stefanel seinen Konkurs. Keine besonders glanzvolle Bilanz, um der EU Bedingungen zu stellen. Die Zahl der akut gefährdeten Arbeitsplätze beziffern Ökonomen auf über 60.000.
Vor wenigen Stunden hat die Notenbank die Wachstumsprognose für 2019  auf 0.3 Prozent halbiert. Weitere Kürzungen wurden in Aussicht gestellt.
Und ein Vorgeschmack auf das, was Ende September ansteht, wenn Italien der EU-Kommission seinen Haushaltsentwurf vorlegen muss. Dann werden über 20 Milliarden notwendig sein, um allein die bereits beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verhindern. Dann wird Salvini mit einem Kuss seines Kruzifixes wohl auf weiteres Wunder hoffen. 
EZB-Präsident Mario Draghi hat Italien aufgefordert, einen serösen Plan Reduzierung des Schuldenbergs vorzulegen. Die von der Lega vorgeschlagene Einführung von mini-bot  zur Bezahlung der öffentlichen  Verwaltungen bezeichnete er als "valuta illegale". 
 
Mittlerweile befindet sich Salvini  einmal mehr im Wahlkampf. Vor allem in der einstmals roten Emilia-Romagna unterstützt er die Bürgermeisterkandidaten seiner Partei für die am Sonntag fällige Stichwahl.
 
 
 
 
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Hans Hanser Do., 06.06.2019 - 19:14

Schönen Gruß an alle seine deutschsprachigen Wähler in Südtirol. Er könnte ruhig wieder mal vorbeikommen, jetzt wäre "oggi Spritz no Spread" noch lustiger...

Do., 06.06.2019 - 19:14 Permalink
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Richter Peter Fr., 07.06.2019 - 05:42

Zeit wieder zum Spatzenfest zu fahren und auf die tolle Regierungsarbeit der Lega anzustoßen. Sie schaffen es mit ein bisschen Glück innerhalb von 10 Jahren zweimal, Italien in den Default zu schießen!

Fr., 07.06.2019 - 05:42 Permalink
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Hans Hanser Fr., 07.06.2019 - 09:42

Antwort auf von Richter Peter

Wir sprechen von einer Partei, bei welcher rund 50 Millionen Euro "verschwunden" sind und deren Geschichte zeigt, dass sich dort jeder selbst am nächsten ist.
Wer durch Italiens Straßen geht, müsste längst erkannt haben, dass immer noch dieselbe Anzahl an Migranten vorhanden ist, das Blockieren einzelner Schiffe eignet sich lediglich es medial auszuschlachten, strukturell passiert gar nichts.
Aber solange in Südtirol Leute wie die Salvini-Fans aus Kastelruth wählen dürfen, darf man sich über nichts wundern.

Fr., 07.06.2019 - 09:42 Permalink
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Günther Alois … Fr., 07.06.2019 - 08:32

Lebt Salvini auf einem anderen Planeten,oder ist er dermassen naiv,dass er meint er könnte die EU übergehen???? Mir schwant böses Schuldenerwachen!!!

Fr., 07.06.2019 - 08:32 Permalink
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G. P. Fr., 07.06.2019 - 21:18

Antwort auf von Günther Alois …

Mir schwant nix Böses. Von der EU ist nicht viel zu befürchten. Zum einen ist Italien zu "groß" und zu wichtig, um es fallen zu lassen. Und zum anderen sind die EU-Macher sehr naiv. Italien präsentiert schon seit Jahren ein paar geschönte Zahlen, ein paar neue Maßnahmen um Steuereinnahmen zu generieren, ein paar Maßnahmen, um Ausgaben zu kürzen ... und schon ist für die EU alles wieder in Ordnung. Am Ende des Jahres anlässlich des Kassensturzes stellt man erschrocken fest, dass die Zahlen doch nicht so ganz stimmen ... und das Spiel beginnt von vorne.

Fr., 07.06.2019 - 21:18 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 07.06.2019 - 08:54

Ja Italiens Verschuldung ist tragisch - und niemand will dafür verantwortlich sein und niemand kann zur Rechenschaft gezogen. Deshalb können sich Politiker eine solche Haltung leisten.
Übertrieben finde ich aber die Aussage "Italien ist wirtschaftlich das Schlusslicht unter den 28 EU-Staaten." Italien ist doch immer noch die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU?!

Fr., 07.06.2019 - 08:54 Permalink
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Michl T. Fr., 07.06.2019 - 11:14

Antwort auf von Sepp.Bacher

Achtung, Sie verwechseln Größe mit Dynamik.
Italien ist zwar vom Volumen her eine große Volkswirtschaft, läuft aber in den meisten Bereichen wie BIP-Wachstum, Konkurrenzfähigkeit, Steuerdruck, Arbeitslosigkeit, Frauen-Erwärbstätigkeit, Innovation, Schuldenabbau usw. den anderen EU-Staaten hinterher.
Diese stagnierende Entwicklung in Verbindung mit seiner Größe und damit Gewicht in der EU macht Italien zum größten Risiko - auch weil die 5S-Lega-Regierung Emotions- statt Hirngetrieben und eher im Wahlkampf- statt im Reform-Modus ist.
Italien ist zu groß um unter einen finanzierbaren Rettungsschirm zu schlüpfen wie einst Portugal oder Griechenland. Hier würde sogar eine Kooperation mit dem IWF an ihre Grenzen stoßen - sei es finanziell wie politisch. Der Italiener will ja keine Fremdbestimmung - aber sich selber aus dem Dreck ziehen will man sich ja um 5 vor 12 anscheinend auch nicht.
Lieber auf Brüssel schimpfen, das kommt bei den Leuten immer gut an...

Fr., 07.06.2019 - 11:14 Permalink
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Frei Erfunden Fr., 07.06.2019 - 11:06

Die EU (und damit auch Italien) sollte vorerst mal die innereuropäischen Steuerparadiese für die Multis trockenlegen und eine Finanztransaktionssteuer durchsetzen, ansonsten bleibt sie in meinen Augen nicht glaubwürdig.

Desweiteren zeichnet sich am Horizont das Platzen der nächsten Finanzkrise ab, auf die Letzte wurde nicht reagiert;
die europäische Fiskalunion wird weiterhin nicht hinterfragt, das System Neoliberalismus wird weiterhin nicht hinterfragt.

Einige wenige profitieren von diesem System und doch wird es bei der Mehrheit der Bevölkerung goutiert.

Empfehlenswert hierzu sind Interviews oder Artikel von und mit Yannis Varoufakis.

Fr., 07.06.2019 - 11:06 Permalink