Gesellschaft | medizinischer Hanf

Kiffen- legal und gegen Schmerz?

Obwohl gewisses Cannabis legal verkauft und als Therapie verschrieben werden darf, besteht Gegenwind von Politik und Sanität. Enormes Wirtschaftspotenzial wird vergeudet.
Cannabis als Therapie
Foto: Cannabis Social Club

Kaum ist das Thema um Flüchtlinge und die Seawatch etwas abgeflaut, sucht Matteo Salvini sich einen neuen Feind. Sein Kampf gilt diesmal einer Pflanze, die höchst umstritten ist: das sogenannte “Cannabis Light”, eine leichtere Form der Marihuana, die legal im Handel gekauft werden kann. Die Gesetzeslage in Italien ist jedoch weiterhin unklar, viele Unternehmer in diesem Bereich und Konsumenten sind verwirrt. Im Mai verkündete der italienische Innenminister Salvini, dass er gegen den Verkauf dieser Droge vorgehen wolle. Wenige Wochen später fiel ein Urteil des Kassationsgerichts, das den Anbau und Verkauf als illegal bezeichnete, aber auch nicht ganz. “Das Urteil verbietet einerseits alle Derivate der Hanfpflanze. Gleichzeitig erlaubt es den Anbau von EU-zertifizierten Hanfpflanzen, solange sie keinen “effetto drogante” haben.” erklärt Peter Grünfelder, Präsident des Cannabis Social Club in Bozen. “Nach dem Urteil berichteten die Medien vom Verbot des Verkaufs von Hanf oder der Schließung von Cannabis Light Betrieben. Aber das ist reine Falschinformation. Der erlaubte THC Wert wurde nur um 0,1 Prozent heruntergesetzt, d.h. eigentlich ändert sich nichts.” 

Der Verein CSC verfolgt mit Aufklärungskampagnen das Ziel, die Legalisierung des Cannabis Light umzusetzen, und somit auch kranken Menschen den Zugang zu Hanf als Therapieform zu erleichtern. Diese Arbeit sei alles andere als einfach, erzählt Grünfelder, denn immer noch kennen viele den Unterschied zwischen den Arten von Marihuana nicht und hätten daher Vorbehalte. Beim Cannabis Light, das im Fachhandel erhältlich ist, handelt es sich um Derivate der Hanfpflanze wie Blätter, Samen und Blüten, die aber weder geraucht noch gegessen werden dürfen, sondern für “technische Zwecke” benutzt. Dieses Cannabis zieht wegen seiner geringen Menge an THC, dem psychoaktiven Stoff der Hanfpflanze, keinen Rauscheffekt nach sich.

 

Kiffen als Medizin?

 

Anders verhält es sich mit dem medizinischen Cannabis, das aus weiblichen Hanfblüten gewonnen wird und somit höhere THC Werte aufweisen kann. Marihuana berge enormes therapeutisches Potential, meint Grünfelder. Die wissenschaftliche Literatur attribuiert Cannabis therapeutische Wirkungen bei Epilepsie, neurologischen Krankheiten wie Multiple Sklerose, Magen-Darm-Problemen, Schlafstörungen und Stress, sowie chronischen Schmerzen. “Der größte Vorteil ist, dass Cannabis so gut wie keine Nebenwirkungen hat. Wenn man psychisch labil ist, kann man vom THC zwar Angstzustände bekommen. Ansonsten aber ist Cannabis nicht schädlich,” erklärt Grünfelder. “Die üblichen Schmerzmittel, wie “Contramal” enthalten Opiate, die abhängig machen und insbesondere bei chronischen Schmerzen nicht dauerhaft genutzt werden können, weil der Körper irgendwann eine Resistenz dagegen entwickelt.” Außerdem bekämpften Opiate, oder auch Cortison, nur die Symptome und lösten somit nichts. Cannabis hingegen wirke entzündungshemmend und stimmungsaufhellend.

 

Es gibt bei uns vielleicht fünf oder sechs Ärzte, die Cannabis als Therapie verschreiben, aber gesetzlich müssten es sechs oder sieben Abteilungen sein!

 

Das bestätigt auch der Primar für Anästhesie und Intensivtherapie am Krankenhaus Bruneck Marco Pizzinini gegenüber der Tageszeitung: “Cannabis wirkt und jeder Schmerzmediziner weiß das. Wir setzen es auch in unserer Ambulanz ein." Die Pflegekraft eines Südtiroler Altenheims bestätigt zudem, dass in der Betreuung unter anderem dementer Patienten Cannabis sich immer stärkerer Beliebtheit erfreut: “Die Menschen sind oft innerlich unruhig und aufgebracht. Sie leiden stark darunter. Das medizinische Marihuana beruhigt sie. Das merken auch ihre Angehörigen, weshalb sie sich gut damit abfinden können.”

 

Legal oder nicht?

 

Seit 2016 regelt das nationale Gesetz 242 den Verkauf von Cannabis. Zudem können regionale Sanitätssysteme selbst regeln, in welchen Bereichen Marihuana als Therapieform genutzt wird. Nach Druck des Vereins CSC erließ Landesrätin Martha Stocker im März 2018 den Beschluss 290, der die ärztliche Vergabe von Cannabis, auch zu Lasten der Krankenkassen regelt. Darin ist die Verschreibung von Cannabis für die einzelnen Krankheitsfälle gesetzlich festgelegt. Neben dem Ambulatorium für Schmerztherapie sind nun auch zahlreiche Abteilungen in Krankenhäusern befugt, Cannabis als Therapieform zu verschreiben, wie etwa die Abteilung für Infektionskrankheiten, Innere Medizin, Onkologie, Neurologie, Augenheilkunde, Palliativbetreuung sowie der Dienst für Komplementärmedizin. In einigen Fällen, wie etwa bei MS, HIV, oder Krebspatienten übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Für Menschen mit Spastiken oder chronischen Schmerzen ist es eine gute Nachricht. “Jeder Arzt in Italien, sogar ein Zahnarzt, darf Cannabis legal verschreiben, wenn es wissenschaftliche Literatur gibt, die den Nutzen der Heilpflanze für das besagte Problem belegt. Und die gibt es genug,” erklärt Vereinspräsident Grünfelder. Dies sei aber noch lange kein Grund für Freude, bemängelt er, denn de facto sei dieser Beschluss noch nicht wirklich umgesetzt worden. “Es gibt bei uns vielleicht fünf oder sechs Ärzte, die Cannabis als Therapie verschreiben, aber gesetzlich müssten es sechs oder sieben Abteilungen sein!” Ärzte weigerten sich vielfach weiterhin, Cannabis zu verschreiben, bemängeln zahlreiche Patienten, und wendeten sich damit auch an den CSC. “Das Problem ist, dass die wenigsten Ärzte wirklich Bescheid wissen oder von vornherein Marihuana verpönen. Außerdem ist Cannabis noch nicht ganz im Sanitätsbereich integriert, die Pflanze ist weiterhin ein Unsicherheitsfaktor, was auch mehr Bürokratie bedeutet.”

 

Politik und Gesundheitssystem wachrütteln

 

Sanitätsbetrieb und Krankenhäuser seien selbst Informationskampagnen gegenüber skeptisch, erzählt der Präsident des CSC Vereins weiter. Erst letztes Jahr wurde eine Anfrage zurückgewiesen, Informationsplakate zum Thema therapeutisches Marihuana in Südtiroler Krankenhäusern auszustellen, mit der Begründung, Marihuana stelle als “Einstiegsdroge” eine Gefahr für Jugendliche dar; der Antrag sei daher “unangebracht”. “So ein Quatsch”, entgegnet Grünfelder, “jeder weiß, dass Alkohol die Einstiegsdroge schlechthin ist. Alkohol oder Zucker haben ein viel höheres Abhängigkeitsrisiko wie Cannabis.” Und gerade von diesen “Alltagsdrogen” seien wir umzingelt, gibt er zu bedenken. “Schaut man sich kritisch in einer Tankstelle um, merkt man, dort werden praktisch nur Drogen verkauft: Alkohol, Süssigkeiten, Kaffee, Lotto und Zigaretten.” Statistiken bestätigen, dass etwa in den Niederlanden, in denen Cannabis seit 1971 geduldet ist, die Zahl der Toten durch harte Drogen eine der niedrigsten in ganz Europa ist.

Wegen der mangelnden Umsetzung des Beschlusses 290 schrieb der CSC Ende Mai diesen Jahres eine Rundmail an betroffene Ambulatorien und Krankenhausabteilungen, dem Sanitätsdirektor Dr. Thomas Lanthaler, sowie dem Landesrat für Gesundheit Thomas Widmann. Darin heißt es:

“Als die Landesregierung am 27.03.2018 den Beschluss Nr. 290 erließ, der die Modalitäten für die Verschreibung und die Abgabe von magistralen Zubereitungen mit Cannabis zu Lasten des Gesundheitsdienstes in der autonomen Provinz Bozen reguliert, war das für uns ein großer Erfolg. Leider haben wir jetzt, ein gutes Jahr nach dem Erlass, von unseren Mitgliedern erfahren, dass nur ein geringer Teil der genannten Fachzentren, auch wirklich Ihrer Aufgabe nachkommen und medizinisches Cannabis verschreiben. Das konnten wir durch eine interne Telefonumfrage die wir im April 2019 durchgeführt haben bestätigen. Wir ersuchen Sie den Anforderungen des Beschluss der Landesregierung nachzukommen und sämtliche Maßnahmen zu treffen, damit die Verschreibung von Cannabis zu Lasten des Gesundheitsdienstes in der autonomen Provinz Bozen in Ihrer Einrichtung gewährleistet wird.”

Bis jetzt erfolgte noch keine Reaktion.

 

Salvinis Kampf gegen Drogen

 

Auch auf nationaler Ebene herrschen Bedenken, um es mild auszudrücken. Seit diesem Jahr führt Innenminister Salvini eine harte Anti-Hanf Kampagne, die viele Anbieter, aber vor allem Kunden abschreckt. Am 9. Mai erließ Salvini ein Rundschreiben, das zwar keine Schließung der Cannabis Fachgeschäfte vorsieht, allerdings stärkere Kontrollen und erleichterte Befugnisse für Ordnungskräfte. Dadurch entstünden für die Unternehmen enorme Schäden, erklärt Grünfelder: “In Italien darf die Polizei Geschäfte, die Cannabis verkaufen, schließen, ohne dafür Konsequenzen zu tragen. Wenn die Kontrollen nichts Illegales aufweisen, kann das Unternehmen zwar wieder normal weiter operieren, allerdings hat der Laden in der Zwischenzeit Kunden verloren und Verluste eingefahren.” Der Fall in Macerata, in dem drei Cannabis Geschäfte geschlossen wurden, bestätigt die freie Hand der Ordnungskräfte. 

 

Schaut man sich kritisch in einer Tankstelle um, merkt man, dort werden praktisch nur Drogen verkauft: Alkohol, Süssigkeiten, Kaffee, Lotto und Zigaretten 

 

Zusätzlich hemmt die instabile Gesetzeslage in Italien, insbesondere nach dem unkonkreten Urteil des Kassationsgerichts vom 30. Mai, das Cannabisgeschäft. Markus Trojer vom Hanffachgeschäft Sea of Green in Meran bestätigt, dass die Stimmung nach der Verordnung des Kassationsgerichts und Salvinis Politik getrübt sei. Es gebe mehr Unsicherheit sowohl auf Kunden- als auch auf unternehmerischer Seite. „Die Kunden sind sich teilweise nicht mehr im Klaren, ob sie bestimmte Produkte, die sie regelmäßig beispielsweise zur Linderung von Schmerzen gekauft haben, noch legal erhalten können, es herrscht große Verwirrung“. Dies vor allem, da die Verordnung interpretationsabhängig sei und nur besage, dass die Produkte keine Rauschwirkung mehr haben dürfen. Eine klare Richtlinie, wie beispielsweise beim alkoholfreien Bier, das als solches bei einem Alkoholgehalt von unter 0,5% klassifiziert werden darf, gebe es momentan nicht. Das erschwere die Wahl an Pflanzen und Ressourcen auch für die Hersteller, nicht zuletzt da die Pflanze als Lebewesen eine bestimmte Toleranzgrenze auch ungewollt überschreiten könne.

 

Wirtschaftliches Potential von Cannabis

 

Dabei ist das wirtschaftliche Potential von Cannabis enorm. Schätzungen zufolge liegt es zwischen 40 und 150 Millionen Euro. Markus Trojer rechnet im Falle der Legalisierung mit einer jährlichen Einnahme von neun bis sieben Milliarden Euro, die die Wirtschaft stark bereichern würde. Die steigende Nachfrage bestätigt das Potential dieser Branche, in Italien liegt sie bei einer Tonne pro Jahr. Vor allem geht es Trojer auch um die Schaffung von potenziellen Arbeitsplätzen dieses expandierenden Marktes, die durch die instabile Gesetzeslage behindert werde. „Wir halten uns weiterhin an das Gesetz 242, trauen uns aber momentan nicht, unternehmerisch weitere Schritte zu gehen “. Das hemmt nicht nur Investition, sondern auch Innovation in diesem noch jungen Bereich. Auch Grünfelder kritisiert das Vorgehen der italienischen Anti-Cannabis Politik. “Mit dieser Abschreckungspolitik wird der Markt sicher zurückgehen. Gleichzeitig hat Italien leere Staatskassen. Meiner Meinung nach kann sich Italien diese Vorgehensweise also nicht leisten”, so der Präsident des CSC.

 

Die Kunden sind sich teilweise nicht mehr im Klaren, ob sie bestimmte Produkte, die sie regelmäßig beispielsweise zur Linderung von Schmerzen gekauft haben, noch legal erhalten können, es herrscht große Verwirrung

 

Auch beim Anbau von Cannabis werden die wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, beklagt Grünfelder. Es gäbe immer wieder Beschlagnahmungen, die Politik lege viele Hindernisse. Etwa dürften für Cannabis Light nur EU-Zertifizierte Hanfpflanzen angebaut werden. Das fördere die Monopolisierung, denn das meiste Saatgut mit EU-Zertifizierung gehört großen Unternehmen wie Monsanto. Das medizinische Cannabis wird teilweise aus Holland importiert, in Italien darf es seit einigen Jahren gesetzlich im Stabilimento Chimico Fermaceutico Militare di Firenze angebaut werden, das sich auf seltene Medikamente spezialisiert, die für Pharmafirmen ökonomisch nicht rentabel sind und daher nicht hergestellt werden. Die Produktion am Labor des Militärstützpunktes in Florenz sei aber ein komplettes Missmanagement, beklagt Grünfelder: “Sie bekommen Millionen von Euro vom Staat jedes Jahr, produzieren aber mickrige Mengen an medizinischem Cannabis. Jeder private Anbauer würde es besser machen.”

 

Cannabis muss auch aus der Illegalität geholt werden, man muss gerade Jugendlichen den Reiz nehmen und aufpassen, nicht noch mehr Familien durch Kriminalisierung und Verhaftungen zu zerstören

 

Zwar käme das Thema Cannabis langsam bei den Leuten an, erklärt Grünfelder: “Vor drei Jahren, sobald ich anfing über das Thema Cannabis zu sprechen, wurde es still um mich und keiner wusste mehr was sagen. Wenn ich heute darüber rede, kann mir jeder eine persönliche Geschichte dazu erzählen, weil entweder ein Onkel, eine Freundin, eine Oma diese Therapieform nutzt.” Allerdings haben die Leute immer noch Vorbehalte gegenüber potentiellem Missbrauch dieser Substanzen von Jugendlichen. Statistiken allerdings zeigen, dass sobald Cannabis, sogar für Freizeitzwecke, legalisiert wurde, ihr Konsum gleich blieb oder sogar zurück ging. Die besten Zukunftschancen bestehen für den Unternehmer Trojer in der kompletten Legalisierung von Cannabis in Italien, dem Beispiel von Kanada oder dem US-Staat Colorado folgend. „Cannabis muss auch aus der Illegalität geholt werden, man muss gerade Jugendlichen den Reiz nehmen und aufpassen, nicht noch mehr Familien durch Kriminalisierung und Verhaftungen zu zerstören.“

 

Mitarbeit von Maria Detering

 

 

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Jul Bruno Laner Mi., 07.08.2019 - 06:03

Wenn man recht früh am Morgen sich die eigene Presserundschau zusammenstellt, kommt man drauf, wie "fromme" Guttempler der modernen Zeit (Salvini mit Lega, offenbar auch zusammen mit Koalitionspartnern) veruchen, mit Krallen und Schnäbeln Cannabis als Schmerzmittel zu verhindern.
Da dämmert in mir eine Frage auf: wer hat eigentlich das größte Interesse daran, dass Cannabis weiterhin verboten bleibt bzw. von den öffentlichen Strukturen nicht verabreicht werden kann? Ja wer denn schon?
Die Patienten?
Die Ärzte?
Der Dritte Orden
Die Pfadfinder?
Das größte Interesse haben, das liegt ja auf der Hand:
Die Drogenkartelle und das organisierte Verbrechen!
Und wer ist in permanentem Geldmangel?
Die ach so ehrlichen Parteien, die mit ihren kleberigen Fingern alles einheimsen, was nur irgendwie picken bleibt.
Wäre ich ein Drogenbaron, wo würde ich meine Lobbyisten hinschicken? Zu den Parteien, natürlich, vor allem zu Regierungsparteien wie die Lega mit 49 Mio minus oder auch ihre Koalitionspatner im Lande, die auch nicht im Geld schwimmen.
Conclusio: Cannabis Therapie Gegner sind Lobbyisten der Kartelle. Das scheint man aber nicht sagen zu dürfen, die modernen Guttempler könnten sich in ihrem empfindlichen Ego verletzt fühlen und gleich auf hohen Schadenersatz klagen. O tempora o mores!

Mi., 07.08.2019 - 06:03 Permalink