Gesellschaft | Eiertreter*in

Bringt sie alle um!

Im Tourismusjahr 2017/18 gab es mit über 33 Millionen Nächtigungen eine neue Rekordmarke. Gegen den Overtourism helfen nur noch radikale Konzepte.
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Foto: Goggel Totsch

Free Solo

Im Nachhinein muss man sagen, dass es unsere Schuld war. Wir hatten am Abend zuvor etwas gelagglt und eine Flasche Barolo hätte es sicher auch getan. (Seit sich die Südtiroler Bauernschaft komplett von der Solidargemeinschaft abgekoppelt hat, haben auch wir uns von ihr entsolidarisiert und kaufen nur noch nicht-regionale Produkte: Milch und Jogurt aus dem Salzburgischen, Äpfel aus Polen; beim Speck aus echt, originalen ostdeutschen Focken war es ja nie ein Problem. Auch beim Wein kommt uns kein Grieser Lagrein oder Terlaner Grande Cuvée 2015 auf den Tisch, sondern nur noch Tannine aus dem Walschland). Mit einem ziemlichen Schädel sind wir dann drei Stunden später als sonst gestartet.

„Sie befinden sich auf der schnellsten Route“, flötete die Google-Maps-Tante aus dem Handy, obwohl wir schon seit einer Stunde zwischen Mazzin und Canazei im Stau standen – eine Flasche Barolo hätte es sicher auch getan. Anstehen zum Sellajoch hoch, Anstehen am Ciavazes-Parkplatz, Anstehen am Zustieg, Anstehen am Wandfuss – eine Flasche Barolo hätte es sicher auch getan.

Dem Grintweh angepasst, hatten wir uns für Easy-going entschieden, aber nach der ersten Seillänge in der Rampenführe war klar: A Glasl vom Guatn oder eine Damigiana Fusel machen hier keinen Unterschied. Du kannst drei Stunden früher starten oder fünf. Alles sinnlos. Wer hier nicht beim ersten Licht einsteigt – idealerweise am 21. Juni – wird nie und nimmer am Gamsband aussteigen. Heute würde ich von diesem gottverdammt ersten Stand nicht weiter kommen, weil mein Liebster wie blöde auf mein Nachstiegkommando warten würde (beim Klettern, wie in unserer Beziehung leiste ich die Führungsarbeit). Wrommm! So sehr ich mir die Seele aus dem Hals schrie, immer war da ein Wrommm! Wrommm!! Und noch eins! Wrommm!!!

Ich hielt es für einen schlechten Witz, als mir jemand erzählte, er würde in der Ciavazes-Südwand nur mehr mit Walkie-Talkie klettern, weil man wegen den Organspendern auf zwei Rädern, den Ferraritreffen, den Ford-Mustang-Conventions auf der Sella-Ronda sein eigenes Wort nicht mehr verstünde. Schall geht bekanntlich nach oben.

Big Brother

Als ich zehn Minuten später total frustriert die Seile abzog, wollte ich als erstens eine von Alfreiders Videokameras suchen, um ihm mal ordentlich meinen Stinkefinger vor die Linse zu halten, aber es war mir sofort klar, dass das genauso wenig ändert, wie der handzahme, Grödner Umweltschützerhaufen, der sich im „Boazner“ so drollig an die Straße gestellt hat. Apropos Verkehrslandesrat – pardon, seit der Turbo-Tommy das Amt inne hatte, muss man zwecks Schönfärberei ja Mobilitätslandesrat sagen. Unter den Kraxlern zwischen dem ersten Sellaturm und der Abraham-Kante spricht man vom Vorzeigeladiner nur noch in der Steigerungsform: Depp – Vollidiot – Alfreider, weil man jetzt nicht einmal mehr am Mittwoch seine Ruhe vor der Blechlawine hat.

„Um die aktuelle Lage des Verkehrs zu erheben, wurden von EURAC mehrere Mittel eingesetzt, wie zum Beispiel die Verkehrsanalyse durch automatische Messstationen, Stichprobenzählungen, qualitative Interviews und die Einholung von good-practice-Beispielen“

Kameras will er jetzt aufstellen lassen und monitorieren! Das wird dauern bis man „belastbare“ Daten hat. Vier, fünf Jahre … mindestens. Am besten zehn! Was hat den die EURAC-Studie “Die Dolomitenpässe. Analyse des Verkehrs und seiner Auswirkungen und Vorschläge für Managementmaßnahmen“ gekostet, die die Stiftung Dolomiten UNESCO 2015 in Auftrag gegeben hat? „Um die aktuelle Lage des Verkehrs zu erheben, wurden von EURAC mehrere Mittel eingesetzt, wie zum Beispiel die Verkehrsanalyse durch automatische Messstationen, Stichprobenzählungen, qualitative Interviews und die Einholung von good-practice-Beispielen“, heißt es da. Könnte jemand dem lieben Daniel diese Studie so lange um die Ohren hauen, bis sich die von der grödner-badiotischen Hotelerie eingepflanzten Hirngespinste der offenen Pässe davontrollen? Oder einfach zum Rechnungshof gehen und fragen, warum für etwas Geld ausgegeben wird, das man schon hat? Nein, noch besser: Wir sparen uns die 59% Grundfinanzierung der EURAC (2017 waren das satte 20 Millionen). Wer eine offenbar völlig wertlose Studie erstellt, soll keine öffentliche Kohle bekommen – einmal abgesehen davon, dass ich dieses Doppel-Gemoppel zwischen Uni Bozen und den EURACkern nie verstanden habe, aber ich bin auch nur ein dummer Mensch, der nichts versteht von Politik und so. Ich erinnere mich dunkel, dass die EURAC installiert wurde, um die Gelüste nach der Uni zu besänftigen – oder sowas. Vermutlich hat man sie nur gegründet, um dem anderen Vorzeigeladiner - der mit der einäugigen Sonnenbrille - einen warmen Präsidentenstuhl zu verschaffen, nachdem es ihn bei der Landtagswahl '98 mit 8.631 Vorzugstimmen auf dem 23. SVP-Listenplatz zerbröselt hatte. Die Mutterpartei hatte noch nie ein glückliches Händchen mit ihrem ladinischen Personal. Ich schweife ab.

No mercy

Damit in den Kletterwänden rund um den Sellastock endlich „a Ruah isch“, braucht es auf jeden Fall mehr als Maut oder zeitweilige Sperren. Es braucht einen radikalen Paradigmenwechsel und – als bekennende Pazifistin, die im Teenie-Zimmer jahrelang ein Ben-Kingsley-Poster als Gandhi hängen hatte – traue ich mich das kaum auszusprechen. Lassen sie es mich, wie der Freienfelder Ober-Heger-und-Pfleger im Jagdverband sprachlich verbrämen: „Die gezielte Entnahme von Problemtouristen“. Die Bauern und Kleintierzüchter würden es etwas klobiger mit „Südtirol muss Touristenfrei werden“ formulieren.

Trotz Pyramiden, Abu Simbel, Luxor oder einer Nilkreuzfahrt mit einem CO2-Fussabdruck Schuhgröße 51, will mein Liebster partout nicht ins Land der Mumien, weil dort immer wieder Touristen erschossen, erdolcht oder von Autobomben zerfetzt werden. Der letzte Bombenanschlag auf einen Touristenbus in der Nähe der Pyramiden von Gizeh mit 17 Verletzten war erst am 19. Mai. Stellen Sie sich nun vor, in verschiedensten Orten Südtirols lägen urplötzlich tote Touristen auf den Wanderwegen, hingen durchlöchert in ihren Klettersteiggurten oder in Brocken auf dem guten alten Walther? Unsere Mumie in der Bozner Museumstraße hätte auch bald ihre Ruhe: Ein gesprengter holländischer Wohnwagen auf einem Campingplatz in Sexten; eine Messerattacke auf eine koreanische Fotogruppe in Villnöss; eine gewisse Angela, niedergemetzelt im MMM Ortles beim Vortrag des Urvaters des Achttausender-Tourismus im Himalaja. Der Doppelschlag auf Touristen und das touristische Standbein eines Südtiroler Monopolisten, wenn beim zweiten Seilbahnständer in Schnals eine Gondel in die Luft fliegt – diese Meldung würde sicher oberhalb der medialen Wahrnehmungsgrenze liegen. Der Hauptschlag der Terrorgruppe „NoTourist“ (angelehnt an den Schriftzug der jahrelang über den Telepassspuren der A22 prangerte) muss aber natürlich am Sellajoch stattfinden. Idealerweise wird die Vier-Sterne-Bude „Passo Sella Dolomiti Mountain Resort“ (und die Talstation der Langkofelbahn gleich mit) genau im dem Moment von einer als Touristenbus getarnten Autobombe plattgemacht, während die dreißigköpfige Bikergruppe „Motorradfreunde Paderborn“ auf ihren Harleys vorbeiknattert.
Vor 10 Jahren gab es weniger als fünf Hotels mit 5 Sternen im Land, heute stehen deren 39 in der Landschaft. Das heißt, das Potential jemanden honorigen oder zumindest mit einer dicken Brieftasche zu treffen ist ungleich höher, die Resonanz in den Medien, wenn seinesgleichen aus der Menschheit „entnommen“ wird, um ein vielfaches verstärkt. Die Urenkel der Südtiroler Bumser müssen ergo auf „Alpina Dolomites Gardena Health Lodge & Spa“ und „Feuerstein Nature Family Ressort“ angesetzt werden. „Die ganzen toten Urlauberkinder“, wird sich das Feuilleton entsetzen, „… diese Barbaren“!

Dann lassen wir es eskalieren! CNN berichtet live von der Touristenhatz unterm Rosengarten; Donald Dumb hat „Thoughts and prayers“ für seine bei Amokläufen umgekommenen Landsleute. „Negeraufstand ist in Kuba ...“, werden wir singen, während wir unsere Zwillingsseile zu Galgenstricken drehen.
Das Deutsche Auswärtige Amt schreibt in seiner Reisewarnung: „Vor Reisen nach Südtirol wird gewarnt. Alle Deutschen, die das Land noch nicht verlassen haben, werden zur Ausreise aus Südtirol aufgefordert. Es besteht ein erhöhtes Risiko terroristischer Anschläge insbesondere gegen touristische Einrichtungen“.
Wer in Salurn, in Winnebach, am Reschen oder am Brenner einen Grotten mit einer Targa aus der Piefkei oder Walschland am Ortsschild vorbeisteuert muss wissen, dass ab hier Gefahr für Leib und Leben droht. Und statt dem bescheuerten „DNA-seit 97J“ der Schützen, picken wir dann Woche für Woche die neuen Casualties-Zahlen auf die zweisprachigen Ortschilder – über „Salurn“ alle Opfer mit Kennzeichen D, über „Salorno“ alle, die hinten kein BZ hatten! Dann werden wir auch sehen wie viele hiesige Großkopfete noch einen bayrischen Leasingwagen fahren wollen. Paolo Rossi, Frauke Müller, M49 – Frei.Wild! [ah na, die gehören ja auch auf die andere Seite des Bindestrichs, Anm. d. Verf.]!

„A Ruah isch“ erst dann, wenn ich um 12 Uhr Mittag in der „Kleine Micheluzzi“ völlig verkatert und einem von drei Flaschen Barolo vernebelten Schädel mein heiseres „Nochkemmen“ nach unten krächzen kann. Berg Heil!

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Salto User
Sepp.Bacher Mi., 21.08.2019 - 13:10

Köstliche Satire! Mein erster Gedanke: Obr schun a bissl zi groub! Ach was: Deutsche Satire hat grob zu sein, lehren wir aus dem deutschen Fernsehen!
Etwas möchte ich im Ernst aufgreifen (es ist aber nicht das Wichtigste): "Seit sich die Südtiroler Bauernschaft komplett von der Solidargemeinschaft abgekoppelt hat, haben auch wir uns von ihr entsolidarisiert und kaufen nur noch nicht-regionale Produkte". Ich kaufe zwar regelmäßig am Markt bei den Bauern, aber ehrlich, bei Milchprodukten und beim Wein halte ich es wie die Goggl-Totschin (Wenn des a Frau isch, zemm friss ih an Besn!).
Ich kaufe sehr guten Ziegen-Käse aus Walschtirol um 15 € am Wochenmarkt; letzthin auf einer Südtiroler Alm kostete er 25€ (Wohl gemerkt: Einnahme ohne Steuern, Transport, Werbung, usw., was der Händler am Markt bezahlen muss!). Eine Frechheit, wenn man bedenkt, dass wir Konsumenten ja schon vorher mit unsren Steuern, die Marken, die Werben usw. die Förderungen für Almwirtschaft, für Ziegenhaltung, usw. bezahlt haben!). Und dann erfahre ich noch, dass z. B. viele Bauern und Almer im Passeier ihre Ziegen garn nicht mehr melken!? Altro che: Die Goaß isch die Kua va die gonz ormen Leit! Die Bergmilch/Mila vermarktet zwar Pseirer Goaß-Kas und Ziegenmild, aber die kommt nicht nur aus dem Passeier und anscheinend schon gar nicht von den Almen!
Und so könnte ich fortfahren.........!

Mi., 21.08.2019 - 13:10 Permalink
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Luis Durni Do., 22.08.2019 - 07:55

zawienig und zaviel, isch olm es norrenziel.
sind deine lamentelen als vison zu verstehen oder ist das eine zusammenfassung deiner stammtischreden?

Do., 22.08.2019 - 07:55 Permalink