Politik | Kommentar
Peinlich & schizophren
Foto: SVP
Da soll irgendjemand noch etwas verstehen.
Zuerst steht diese blonde Senatorin am Rednerpult und argumentiert leidenschaftlich für die neue Regierung. Dann übernimmt der Bozner Senator das Mikro, der etwas steif herummurkst; „Ja, aber und auch Nein“. Deshalb Stimmenhaltung.
Spätestens jetzt wird sich jeder italienische Bürger und jede Bürgerin fragen: Sind die nicht beide von derselben Partei?
Spätestens jetzt wird sich jeder italienische Bürger und jede Bürgerin fragen: Sind die nicht beide von derselben Partei?
Della esSeVuPí?
Drei Senatoren, zwei Meinungen?
Die eine ist für die neue Regierung, und der andere redet dagegen.
Selbst bei der wahrscheinlich wichtigsten politischen Entscheidung, die in diesem Jahrzehnt in Italien ansteht, wissen diese Südtiroler anscheinend nicht genau, was sie wollen. Nur so kann man es verstehen. Außer man wagt eine Diagnose und spricht von politischer Schizophrenie.
Es ist das Bild, das Millionen von Italienern in den vergangenen Tagen nach den Konsultationen bei Staatspräsident Sergio Mattarella gesehen haben. Live und in Farbe aus dem Quirinal.
Und es ist das Bild, das sich in den nächsten Tagen und Wochen wiederholen wird. So etwa bei der Abstimmung über die neue Regierung Conte bis. Bei der Stimmabgabeerklärung im Senat wird Julia Unterberger aufstehen und als Sprecherin der Autonomiegruppe erklären, dass man für die Regierung stimmen wird. Julia Unterberger hat dabei eine klare Linie, für die sie italienweit viel Zustimmung und Lob erhalten hat. Während Teile der eigenen Partei der Meraner Politikerin am liebsten das Wort verbieten möchten (was man auch konkret versucht hat).
Unmittelbar danach wird einer ihrer Sitznachbarn - entweder Dieter Steger oder Meinhard Durnwalder - aufstehen und eine Stimmabgabeerklärung abgeben. Laut Geschäftsordnung muss er dazu erklären, im „dissenso“ zur Gruppensprecherin reden zu wollen. Nur so bekommt er 5 Minuten Redezeit. Der SVP-Senator wird dann erklären, dass man sich als SVP-Fraktion der Stimme enthalten wird.
Das Bild, das die SVP derzeit in Rom abgibt, ist peinlich, unseriös und zum Schaden für das Land Südtirol. Es ist eine Lachnummer.
Das Bild, das die SVP derzeit in Rom abgibt, ist peinlich, unseriös und zum Schaden für das Land Südtirol. Es ist eine Lachnummer.
Doch das zählt in der Brennerstraße nicht. Denn dort geht es um Seilschaften, um die eigene politische Karriere und um politische Ressentiments. Längst hat in der SVP eine Mitte-Rechts-Gruppe die Macht übernommen, die in der Lega und in Matteo Salvini ihren Wunschpartner gefunden haben, und für die die M5S-Bewegung ein lästiges, gefährlichen Anhängsel ist. Doch das absolute Übel ist für diese Gruppe der Partito Democratico. Man sagte es zwar nicht offen und schimpft gegen den M5S, aber in Wirklichkeit graust es diese Leute vor Renzi, Zingaretti & Co weit mehr als vor Giorgia Meloni und Mussolini (Alessandra).
Zwei Jahre lang haben der Pusterer SVP-Senator Meinhard Durnwalder und Athesia-Chef Michl Ebner emsig daran gearbeitet, ein Netzwerk zur Lega und zu Salvini aufzubauen. Und jetzt, wo die Rollen und Ämter – etwa die Präsidentschaft der Sechserkommission - verteilt und die Pläne für die Bozner Gemeinderatswahlen im Trocknen sind, bricht über Ferragosto alles wie ein Kartenhaus zusammen.
SVP-Obmann Philipp Achammer hat zwei Herren. Einer sitzt im Weinbergweg (wobei es sich hier um zwei Brüder handelt), und der zweite nahe am Issinger Weiher im Pustertal.
SVP-Obmann Philipp Achammer hat zwei Herren. Einer sitzt im Weinbergweg (wobei es sich hier um zwei Brüder handelt), und der zweite nahe am Issinger Weiher im Pustertal. Von dort aus hat SVP-Senator Meinhard Durnwalder – per Fernsehinterview mit RAI Südtirol – eigenmächtig die Parteilinie korrigiert und einen noch nie dagewesenen politischen Stilbruch begangen. Unterstützt vom mächtigen Tagblatt der Südtiroler, das zusätzlich per Krähe genau im richtigen Moment den Landeshauptmann wund schoss.
Noch bevor überhaupt eine Regierung steht, bevor klar war, wer mit wem koalieren wird, bevor klar war, wer Ministerpräsident sein wird, kündigte Durnwalder die Stimmenhaltung der SVP an. Dabei hatte die Partei etwas anderes beschlossen. Im Parteiausschuss und in der Parteileitung war die Stimmung zwar eindeutig gegen die M5S, aber anfänglich beschloss man nur eine Stimmenthaltung bei einem möglichen Misstrauensantrag gegen Ministerpräsident Giuseppe Conte. In der Frage der Regierungsunterstützung wollte man sich – wie es sich eigentlich gehört – bewusst noch bedeckt halten.
Doch dann legten der Issinger Weiher und der Weinbergweg vor und SVP-Obmann Philipp Achammer und der Durnwalder-Knappe und SVP-Landesekretär Stefan Premstaller folgten willfährig. Man erklärte die Stimmenthaltung und macht damit in Rom eine jämmerliche Figur.
Gerade im Senat ist die Mehrheit für die neue Regierung knapp. Es zählt jeder Stimme. Die drei SVP-Senatoren sitzen in der Autonomiegruppe. Dort sitzen acht Senatoren und Senatorinnen. Darunter der ehemalige Staatspräsident Giorgio Napolitano, der ehemalige Kammerpräsident Pier Ferdinando Casini und der in Südtirol gewählte PD-Abgeordnete und ehemalige Unterstaatssekretär Gianclaudio Bressa. Damit steht die Mehrheit der Gruppe Mitte-Links. Es war bereits bisher eine Konstante im Senat. Gruppensprecherin Julia Unterberger, die aus Überzeugung diese Gangart vertritt, musste und muss tagtäglich gegen den Widerstand ihrer zwei Parteikollegen ankämpfen, die sich mit der Lega ins Bett gelegt haben.
Dass Durnwalder und Steger bei der Abstimmung über Salvinis "decreto sicurezza bis" die Aufhebung der Menschenrechte kurzerhand für ein paar Zugeständnisse bei den ausländischen Autokennzeichen verkauft haben, sagt einiges über ihre politische Ethik aus.
Jetzt aber wird diese Haltung noch schizophrener. Denn als Gruppensprecherin wird Julia Unterberger nicht nur im Senat für die neue Regierung sprechen müssen, sondern mit der neuen Regierungsmehrheit für die Autonomiegruppe auch um Posten und politische Zugeständnisse verhandeln. Weil Conte die Stimmen braucht, dürfte einiges drinnen sein.
Für die anderen Mitglieder der Autonomiegruppe. Aber nicht für die SVP und für Südtirol. Denn als SVP-Senatorin muss sich Julia Unterberger der Stimme ja enthalten. So will es die Partei. Sie kann demnach für Südtirol auch nichts fordern.
Demnach wird die Meraner Parlamentarierin in den nächsten Wochen als gespaltene Persönlichkeit in Rom agieren müssen.
Der Geist der Sammelpartei ist längst den Partikularinteressen einiger Weniger zum Opfer gefallen.
Die politische Schizophrenie der SVP ist für einen normalen Menschen nicht nachvollziehbar. Deshalb wird diese Gangart die Volkspartei und Südtirol in Rom nachhaltig beschädigen. Der Geist der Sammelpartei ist längst den Partikularinteressen einiger Weniger zum Opfer gefallen.
Die spinnen, die Südtiroler. Werden sich die Römer denken.
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Könnte man nicht das SVP
Könnte man nicht das SVP-Edelweiss mit einem Doppeladler ersetzen; der eine Kopf schaut nach rechts, der andere nach links, ein kleiner Nachteil: der gute Philipp fängt an zu schielen und sieht häufig Doppelbilder wie z.B. die Julia mit dem Steger gleich hinter ihr. Aber aufgepasst: schielt ein Auge permanent übernimmt das andere die Führung, ein schielendes Volk wäre bei Wahlen zu vermeiden.
Danke für das Entwirren der
Danke für das Entwirren der einzelnen Haltungen und Positionen.
In Bezug auf den Titel kann ich aber nur kopfschütteln: Ein weiteres Mal muss das Wort "schizophren" mit "peinlich" gepaart und als Metapher für eine "Lachnummer" herhalten. Das haben Sie nicht nötig. Ebenfalls nicht den Verweis auf die Haarafarbe der Senatorin.
Antwort auf Danke für das Entwirren der von Maria Anna
Blondinen sind bei den
Blondinen sind bei den Italienern beliebt auch wenn in diesem Fall dem Alter entsprechend nachgeholt wird.
@ Maria Anna: Sehe ich aus.
@ Maria Anna: Sehe ich aus. Diese Bilder und Vergleiche braucht es nicht, man versteht auch so, worum's geht. LH Kompatscher hatte übrigens den richtigen Riecher, als er zögerte, mit der Lega zu koalieren. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen.
Einen Kapitalfehler hat die
Einen Kapitalfehler hat die SVP damit gemacht, dass sie auf Landesebene eine Koalition mit der Lega eingegangen ist, obwohl eine Koalition mit Grünen und PD machbar und empfehlenswert gewesen wäre. Damit hat sich die SVP in eine Zwickmühle hineinmanövriert, aus der sie nicht mehr herausfindet. Wenn man immer nur kurfristige Vorteile sucht, dann kann man langfristig nur verlieren, vor allem wenn die Vorteile nicht für Südtirol, sondern immer nur für ganz bestimmte Personen gedacht sind.
Antwort auf Einen Kapitalfehler hat die von Hartmuth Staffler
Ich teile diesmal
Ich teile diesmal vollinhaltlich die Analyse von Herrn Staffler. Ich würde aber noch einen Schritt weiter gehen. Wenn die rechte Flanke in der SVP wieder erstarkt ist, so ist das, fürchte ich, leider auch auf die veränderten Werte in der südtiroler Bevölkerung zurückzuführen, die sehr stark die populistischen Ideen aufgesaugt hat, wie es ja in ganz Europa und vor allem in Italien zu beobachten ist. Wohin solche Tendenzen langfristig führen können, hat uns die Vergangenheit sehr schmerzvoll aufgezeigt. Und im Nachhinein fragt sich dann jeder, wie man nur so blind sein konnte....
In dieser Situation sollten jene Politiker tatkräftig unterstützt werden, die noch ein echtes Demokratieverständnis haben; Herr Franceschini (und andere) lassen keinen Zweifel aufkommen, wer diese Damen und Herren sind!
Von politischer Weitsicht
Von politischer Weitsicht haben die anscheinend noch nie etwas mitbekommen-Lachnummer ist GUT!
Antwort auf Von politischer Weitsicht von Günther Alois …
Ja mit politischer Weitsicht
Ja mit politischer Weitsicht scheint es weder bei Hern Franceschini noch bei Frau Unterberger gut bestellt zu sein. Sollte kein Wunder geschehen, dann sitzt Salvini in naher oder ferner Zukunft am Hebel der Macht und das mit grosser Wahrscheinlichkeit mit Meloni. Da ist es mehr als angebracht, dass man gute Beziehungen zur Lega pflegt. Leider ist ein Paket mit dem Teufel in der Politik oft nötig, um das Schlimmste abzuwenden.
Antwort auf Ja mit politischer Weitsicht von Paul Schöpfer
So ungefähr haben viele
So ungefähr haben viele Menschen in Europa vor 80-90 Jahren auch gedacht, und der Teufel hat es ihnen auf seine Weise gedankt.
Also liebe SVP, attenzione al lupo!!
Antwort auf So ungefähr haben viele von Manfred Gasser
gut gesagt, gut gesagt.
gut gesagt, gut gesagt.