Gesellschaft | Gastkommentar

Die Mär vom freien Sonntag

Der Sonntag als verpflichtender gemeinsamer Ruhetag ist nur religiös begründbar. Sonst spricht mehr dagegen. Dies zu sagen, sollte seine Allianz den Mut haben.
Hängematte
Foto: Pixabay

Südtirols „Allianz für den freien Sonntag“ hat diese Woche Geburtstag begangen. Sie ist 10 geworden. Zum Anlass hat sie eine Anzahl Landtagsabgeordneter für eine Art Selbstverpflichtung gewonnen. Die Politiker, darunter der Landeshauptmann und die Grünen, versprechen darin, sich „für eine konsequente Eindämmung verkaufsoffener Sonntage“ einzusetzen. Die Allianz, der kirchliche Verbände, aber auch alle Gewerkschaften und der Südtiroler Dienstleistungsverband hds angehören, hat angekündigt, demnächst auch die Parlamentarier für das Vorhaben zu mobilisieren. Ich bin nicht mehr Parlamentarier, aber so wie ich mich als solcher gegen die Wiedereinführung der ehemals abgeschafften kirchlichen Feiertage ausgesprochen habe, so würde ich auch diesmal nicht unterschreiben. Wir Christen, so argumentierte ich seinerzeit und bleibe dabei, sind schon nicht imstand, die bestehenden Sonn- und Feiertage angemessen zu begehen, was wollen wir noch weitere fordern.

Nein, ich brauche keinen offenen Laden am Sonntag. Aber sehe ich mir die Städte und Tourismusorte an, sie brauchen ihn.

Jetzt die Sonntagsruhe. Soll diese verpflichtend sein? Die Geschäfte zu und die Verkäuferinnen frei? Die „Allianz“ erwartet sich von den Südtiroler Politikern, sie möchten per Durchführungsbestimmung für Südtirol eine Ausnahme von der weitgehend liberalisierten staatlichen Geschäftsöffnungsregelung erwirken. Geschäftsöffnungs-Autonomie? Ja, wäre schön. Politisch sogar möglich. Doch sehen wir uns ein bisschen um, und wir werden erkennen müssen: Das böse Sprichwort „gut gemeint ist das Gegenteil von gut“ trifft auf die verordnete Sonntagsruhe besonders gut zu.

Ist ja rührend, wie der hds als Standesvertretung der Kaufleute, Dienstleister und Gastronomen sich zusammen mit der Diözese, dem KVW und den Gewerkschaften um die Sonntagssperre der Kleinbetriebe kümmert. Aber ist das glaubwürdig? Und reden wir erst nicht von wirksam. Wollen wir erst gar nicht die alten Zeiten verklären! Der Dorfladen, wollte er überleben, hat seit je das meiste Geschäft sonntags gemacht. Vor und nach dem Gottesdienst, wenn die Leute ins Dorf kamen. Und heute? Ob es uns passt oder nicht, Südtirol steuert einer kompletten Wochenend-, also Samstag-Sonntag-Dienstleistungsgesellschaft zu. Tourismus, Pflege, Zivilschutz, Sport, Vereinswesen, Medien, und nicht zu vergessen: Politik – alles Wochenend-Geschäftszweige.

Das böse Sprichwort „gut gemeint ist das Gegenteil von gut“ trifft auf die verordnete Sonntagsruhe besonders gut zu.

Die Bauern, Hauptwärter der Sonntagsruhe-Kultur! Täglich in den Stall gehen mussten sie früher und müssen sie (bis zur definitiven Robotisierung) weiterhin. Wer auch nur ein bisschen das Land erwandert, wird feststellen, dass ein Großteil der Ernte Samstag-Sonntag eingebracht wird. Eben dann, wenn die Bauersleute „frei haben“ (und nicht „arbeiten gehen müssen“) und Verwandte ihre während der Büro- oder Lehrer-Woche angestaute Körperkraft mit Gaudi  beim Heu-Einbringen oder beim Klauben ausleben dürfen.

Frei, wirklich frei in den Sonntag leben können sich das verwaltende und lehrende Volk sowie die Arbeiter des so genannten produzierenden Gewerbes. Eine Minderheit, mehr nicht. Diese muss dann, wenn sie ins Wochenende aufbricht, ihrerseits von jemandem bedient, unterhalten, verwöhnt werden. Soweit sie, Obacht!, soweit sie nicht selber von einer immer aggressiveren Wochenendwirtschaft in finanziell attraktive Aushilfsjobs gelockt wird. Was Hotels, Schutzhütten, Schilifte und halt die ganze gewerbliche Freizeitindustrie nicht aufbraucht, das schöpft dann die blühende Verbands- und Vereinswirtschaft unter dem keuschen Namen „Freiwilligenhilfe“ ab. Wald- und Wiesenfeste aller Art und jedweden Vereins, Sportbetriebe, Benefizveranstaltungen – ein dafür passender guter Zweck findet sich immer. Und das dazu notwendige Heer an „freiwilligen Helfern“ auch. Vielhundertfache „Freiwilligenarbeit“ fürs Jovanotti-Konzert am Kronplatz, hat es geheißen. Das ehrliche Wort dafür ist Schwarzarbeit. Freizeitunfälle (schrecklicher Euphemismus!) übertreffen die Anzahl der Arbeitsunfälle, und das Wochenende stresst den notorisch fitten Südtiroler mehr als die Arbeitswoche bis dahin.

Ob es uns passt oder nicht, Südtirol steuert einer kompletten Wochenend-Dienstleistungsgesellschaft zu.

Nein, ich brauche keinen offenen Laden am Sonntag. Aber sehe ich mir die Städte und Tourismusorte an, sie brauchen ihn. Es sind unsere Wirtschaftsverbände selber, die „shoppen“ zum Lifestyle gemacht haben. Eine Minderheit geht „kirchen“, die Mehrheit shoppen. Einkaufen, wirklich einkaufen tun sie dann eh im Internet. Das ist 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche offen. Deshalb ist es unredlich, außer unnütz, dem Kleinhandel, ihren Betreibern und Angestellten, ein schlechtes Gewissen zu machen. Es braucht sie auch sonntags, so wie es die Polizei, die Erste Hilfe, die Bergrettung und die Notfallseelsorge braucht. Vor allem sonntags, leider.

Höre mir deshalb die „Allianz für den freien Sonntag“ auf, diesen mit allerhand Kollateral-Angeboten zu begründen. Zusammensitzen, Ausflüge machen, Sonntagsgewand tragen, Familie spielen – oh, die gute Allianz sollte es nicht drauf ankommen lassen, ihren einen festen, verpflichtenden Ruhetag gegen andere, flexiblere, freiere Arbeits-Freizeitrhythmen auszuspielen, wie die Gesellschaft sie heute anzubieten imstand ist. Der Sonntag könnte dabei leicht den Kürzeren ziehen. Der Sonntag als verpflichtender gemeinsamer Ruhetag ist nur religiös begründbar. Sonst spricht mehr dagegen. Dies zu sagen, sollte seine Allianz den Mut haben. Den sonntäglichen Gottesdienst mit dem Kirchplatz retten zu wollen, ist abgesehen von unwürdig, aussichtslos.

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Alex Rier Sa., 31.08.2019 - 17:09

"Frei, wirklich frei in den Sonntag leben können sich das verwaltende und lehrende Volk sowie die Arbeiter des so genannten produzierenden Gewerbes. Eine Minderheit, mehr nicht."
Das stimmt wohl nicht: die Mehrheit geht Sonntags keiner Erwerbsarbeit nach. Es reicht ein einfacher Blick auf ASTAT Sektoren-Daten.

Sa., 31.08.2019 - 17:09 Permalink
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Alberto Stenico So., 01.09.2019 - 07:02

Ma se lasciassimo ai consumatori ed agli esercenti la libertà di organizzarsi la propria vita privata, senza ingerenze di una nuova legge provinciale? Abbiamo proprio bisogno della Provincia Educatrice?

So., 01.09.2019 - 07:02 Permalink
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19 amet So., 01.09.2019 - 08:48

Die Kirche hat hunderte Jahre lang den Menschen vorgeschrieben wie sie leben sollen.Was sie essen, wann sie beten usw. Und wer nicht nach ihrer Pfeife tanzte landete auf dem Scheiterhaufen, oder wurde geächtet und verfolgt. Nachdem heute der überwiegende Teil der Bürger dieses Joch abgeworfen haben, versuchen die Betbrüder das Rad der Zeit wieder zurückzudrehen. Es wird ihnen nicht gelingen. Die Freiheit des Menschen, selbst zu entscheiden wie er leben will, ist zu kostbar, die lassen sich die Menschen nicht mehr nehmen.

So., 01.09.2019 - 08:48 Permalink
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V M So., 01.09.2019 - 09:40

L'attuale legislazione italiana in materia di aperture festive è la più "liberale" a livello europeo. Come noto nelle vicine Austria e Germania in linea generale i negozi rimangono chiusi. Si tratta di una problematica complessa e con diverse conseguenze economiche e sociali. Le retribuzioni nel commercio sono tra le più basse e le "indennità" per il lavoro festivo sono minime, non certamente paragonabili a quelle di altri settori come la sanità o i trasporti. A livello provinciale da un lato abbiamo le esigenze del settore turistico dall'altro molti piccoli esercizi hanno chiuso e chiuderanno perché non reggono la concorrenza. Già ora nelle vie periferiche molte vetrine sono vuote e molti piccoli paesi sono privi di negozi, con tutte le relative conseguenze soprattutto per le persone anziane. Quest'ultimo aspetto è reso più grave dal fatto che nel settore della distribuzione non sono presenti le cooperative che potrebbero avere maggiori possibilità di sopravvivenza. Posizioni meramente ideologiche "liberali" o "anticlericali" mi sembrano francamente delle semplificazioni che non portano nulla di costruttivo.

So., 01.09.2019 - 09:40 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher So., 01.09.2019 - 10:37

Super Argumentation, Florian!
Ich wollte gerade in einem Kommentar zum Beitrag https://www.salto.bz/de/article/29082019/allianz-fuer-den-freien-sonnta… schreiben und freie Sonntage für alle Berufsgruppen verlangen, die im größten Wirtschaftsbereich, der Dienstleistung, arbeiten und sie Litanai-artig auflisten. Jetzt muss ich das nicht mehr tun.
Wo gingen die vielen Menschen am Sonntag hin, wenn das Twenty z. B. gesperrt wäre!

So., 01.09.2019 - 10:37 Permalink
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Hans Obermair So., 01.09.2019 - 16:15

Die Sonntagsschließung wieder einzuführen wäre eine wahre Zumutung. Die Bevölkerung hat längst schon gezeigt, dass sie dieses Angebot dankend annimmt. Die Beschäftigungs- und Konjunktureffekte der Sonntagsöffnung sind eindeutig belegt. Dass eine kleine Lobby von mittelgroßen heimischen Ladele-Betreibern dagegen ist, heißt noch nicht, dass unsere Vertreter im Landtag auf Zuruf dieser - sicherlich gut organisierten Gruppe - sofort klein beigibt.
Und wenn man dann auch noch mit religiösen Gründen herkommt oder sich gar noch auf das heile Dorf- und Familienleben beruft, dann ist das Verlogenheit und Scheinheiligkeit pur.

So., 01.09.2019 - 16:15 Permalink
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magda baur So., 01.09.2019 - 16:23

Jetzt sind wir Österreich und Deutschland einmal in einem Punkt voraus (so dass auch Österreicher eigens zum Shoppen am Wochenende nach Südtirol kommen) und dann verzichten wir freiwillig darauf, nur weil eine kleine Gruppe sich anmaßt, besser zu wissen, was die breite Bevölkerung möchte. So funktioniert Demokratie in Südtirol.

So., 01.09.2019 - 16:23 Permalink
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Salto User
Chrissi Chris So., 01.09.2019 - 19:33

Ich bin auch grundsätzlich dafür, dass jeder selbst bestimmen sollte, was er am sonntag tut... ich bezweifle aber, ob alle der obgenannten gruppen freiwillig am sonntag arbeiten... ich denke da zb an die verkäuferInnen... außerdem arbeiten auch viele lehrende am sonntag, wenn sie etwa tests korrigieren, den unterricht vorbereiten... aber dies wird in den augen vieler nicht als arbeit angesehen... p.s. mir tun alle jene familien leid, die in einem land wie südtirol an den schönsten sonntagen einen besuch im twenty als das höchste der gefühle ansehen... mich jedenfalls trifft man dort an einem sonntag sicher nicht an (und sei es nur, um den massen an shoppern zu entgehen).

So., 01.09.2019 - 19:33 Permalink
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19 amet Mo., 02.09.2019 - 12:04

Antwort auf von Chrissi Chris

Da gibt es immer Leute die ihre Mitbürger als einfältig hinstellen möchten nur weil sie das tun was sie selbst nicht tun würden. Warum sollen einem Mitbürger leidtun die am Sonntag in ein Einkaufszenrum gehen? Es sei jedem selbst belassen wie er sein Leben verbringt. Das sollten sich die Wichtigtuer hinter die Ohren schreiben. Sonst sind wir wieder beim Kirchenregiment der vergangenen Jahrhunderte angelangt.

Mo., 02.09.2019 - 12:04 Permalink