Umwelt | Naturschutz

Kontroverse Wasserkraft

Lassen sich Natur- und Klimaschutz vereinbaren? Dieser Frage gehen derzeit die Alpenvereine nach.
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Foto: ÖAV/Peter Neuner

Das bläulich-milchige Schmelzwasser des Sulztalferners bahnt sich seinen Weg talauswärts, hinunter nach Längenfeld im Ötztal. Das Tosen des Fischbaches ist auch noch auf den bewaldeten Anhöhen zu vernehmen. In den Niederungen des Tales, unweit des Baches, zeigen sich Sumpfwiesen und Niedermoore. Der Fischbach steht bezeichnend für ein schützenswertes alpines Ökosystem, das Gefahr läuft, übergeordneten wirtschaftlichen Interessen weichen zu müssen.

 

Konkret geht es um Pläne der TIWAG (Tiroler Wasserkraft AG) für die Errichtung eines neuen Staubeckens im wenige Kilometer entfernten Längental, in der Nähe des Ski-Orts Kühtai. Dort stehen bereits zwei Wasserspeicher mit einem Fassungsvolumen von mehr als 35 Mio. m³. Das natürliche Einzugsgebiet für den dritten See soll durch einen Überleitungsstollen auf über 2.000 Metern quer durch die Stubaier Alpen, erweitert werden. Das Wasser von sechs Fließgewässern aus anderen Tälern wird dann zu einem Großteil abgezweigt. Davon betroffen sind auch das Sulztal mit dem Fischbach und seinen Zuläufen. Dort könnten in Zukunft bis zu 6000 Liter pro Sekunde verschwinden. Und das hat weitreichende Folgen.

 

Laut Gesetz müssen bei Einzug von Fließgewässern weiterhin mindestens 20% an Restwasser fließen. Sofern dies nicht durch Sonderbestimmungen umgangen wird, sind auch diese vorgeschriebenen Restwassermengen kaum mehr ausreichend, um das ökologische Gleichgewicht im und um den Bach aufrechtzuerhalten. „Es gehen wertvolle Lebensbereiche verloren. Gerade im Übergangsbereich von Nass zu Trocken gibt es viele ökologische Nischen, besonders artenreiche Lebensräume“, meint Anna Schöpfer, Naturschutzreferentin des Österreichischen Alpenvereins und Limnologin an der Universität Innsbruck. Laut ihr verzeichne man gerade in Süßgewässern bereits einen Artenschwund von 83%.

Es gehen wertvolle Lebensbereiche verloren. Gerade im Übergangsbereich von Nass zu Trocken gibt es viele ökologische Nischen, besonders artenreiche Lebensräume

Insbesondere auch der natürliche Fischbestand leide unter den spärlichen Restwassermengen. Fische werden an bestimmten Stellen daran gehindert, bachaufwärts zu ihren Laichplätzen zu wandern. In unmittelbarer Nähe zu Stauseekraftwerken bestehe außerdem die Gefahr des Schwallbetriebs, wenn kurzzeitig die Stromproduktion angekurbelt und somit mehr Wasser durch die Turbine strömt und das ursprüngliche Bachbett überflutet. Das Laichen der Fische wird dadurch unterbunden. „Was an den Fließgewässern angerichtet wird, kehrt man einfach unter den Tisch“, meint Luis Töchterle hierzu. Er ist Direktor der Fischereigesellschaft Innsbruck und kämpft seit Jahren gegen die Pläne der TIWAG im Stubaital.

 

Emissionsfreier und vermeintlich grüner Strom aus der potentiellen Energie von Gewässern wie dem Fischbach, birgt jedoch nicht nur für Natur und Landschaft enorme Risiken. Sieht man sich im malerischen Bergdörfchen Gries im Sulztal um, ist besonders ein Detail auffallend: die Geröll- und Schotterwälle am Rande des Bachufers. Jetzt im Sommer führt der Bach weniger Wasser als im Frühjahr, während der Schneeschmelze. Nur zu gut aber lassen sich die Ausmaße - des ohnehin wasserreichen Gebirgsbaches - bei starken Regengüssen erahnen. Dabei ist der Bachlauf darauf angewiesen, dass ein steter bzw. ab und zu überdurchschnittlicher Wasserdurchfluss, Sediment und Geröll - sogenanntes Geschiebe - flussabwärts befördert. Wird, wie im Sulztal, die Wassermenge eines Baches aufgrund Ableitens für die Stromerzeugung, erheblich reduziert, so ist der Geschiebeabtransport nicht mehr gewährleistet. Zurückgebliebenes Geschiebe wird bei Unwettern im Zusammenspiel mit Murenstichen zu einem natürlichen Damm. Die Folgen für direkt angrenzende sowie weiter unten im Tal liegende Siedlungen können verheerend sein. Die Dorfbewohner sind beunruhigt. Albin Raffl aus Gries kenne den Bach, er wisse um die Gefahr. Doch die Verantwortlichen der TIWAG unterschätzen diese, spielen sie herunter, meint er besorgt. 

 

Der Fall im Sulztal symbolisiert ein grundlegendes Dilemma, woraus die Alpenvereine aus Deutschland, Österreich und Südtirol einen Ausweg finden wollen. Auf der einen Seite, das Ziel einer möglichst baldigen Energiewende im Angesicht einer drohenden Verschärfung der Erderwärmung. Wasserkraft stellt ohne Zweifel eine der wichtigsten erneuerbare Energiequellen für Nord- und Südtirol dar und ein Einsatz dieser soll auch in Zukunft möglichst noch forciert werden. Auf der anderen Seite, die Schutzwürdigkeit der Alpen als Ökosystem und Rückzugsort, zunehmend geprägt von menschlichen Eingriffen, auch unter dem Deckmantel des Klimaschutzes und der Förderung sauberer Energie.

Es stellt sich die Frage, wie Naturschutz mit Klimaschutz unter einen Hut gebracht werden können, da sie augenscheinlich nicht notwendigerweise Hand in Hand gehen. Wie Vertreter der Alpenvereine verlauten, wisse man sehr wohl um die Dringlichkeit der Energiewende und die Vorzüge der Wasserkraft. Man sehe es aber als Pflicht, die Öffentlichkeit über die Konsequenzen von Eingriffen in die alpinen Ökosysteme zu informieren und sich für den Schutz der Alpen stark zu machen. „Wenn wir die Alpen nicht schützen können, dann können wir auch die Welt nicht retten", so Liliana Dagostin, die Leiterin der Abteilung Raumplanung und Naturschutz des ÖAV. 

 

Unter dem Hashtag #unserealpen und dem gleichnamigen Motto fiel bereits im Dezember 2018 der Startschuss für eine länderübergreifende Kampagne des DAV, ÖAV und AVS. Ziel sei es, die Öffentlichkeit auf die Schönheit und Prekrarität der Alpen aufmerksam zu machen. Gemeint ist damit nicht etwa die schwierige wirtschaftliche Lage der acht Anrainer-Staaten. Umgeben und durchsetzt von Großstädten, Industriezentren und Tourismus-Hotspots ist der Alpenraum längst eine der wohlhabenden Gegenden Europas. Es sind in erster Linie die pessimistischen ökologischen Aussichten, die den Alpenvereinen Sorgen bereiten. Neben Nebenwirkungen des Klimawandels, wie dem Gletscher- und Artenschwund, geben auch direkte menschliche Eingriffe in die wenigen, noch unberührten Naturoasen Anlass zur Sorge: Skigebietserweiterungen und -Zusammenschlüsse, die ungebremste Expansion im Tourismussektor sowie eben der Bau von weiteren Speicherbecken und Wasserkraftwerken mit Einfluss auf sensible Zonen. 

Wenn wir die Alpen nicht schützen können, dann können wir auch die Welt nicht retten. 

Dabei gebe es beispielsweise in Südtirol kaum mehr neue Potentiale für zukünftige Wasserkraftprojekte, meint Martin Schöpf vom AVS-Referat Natur und Umwelt. Alleine Alperia betreibt in Südtirol 34 Wasserkraftwerke, mit einer jährlichen Energieproduktion von 4.500 Gigawattstunden. Dazu kommen mehr als 900 kleinere und mittlere Anlagen privater Entitäten und Konsortien. Genauso wie in Tirol, wird weit mehr Strom produziert, als selbst genutzt werden kann. Dort sieht es indes danach aus, als würden die Pläne für das Längental umgesetzt werden, trotz mehrerer Beschwerden und Einwände. 

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Dietmar Holzner Di., 03.09.2019 - 12:31

Antwort auf von Pasqualino Imbemba

Das sind Pumpspeicherwerke, also reine hydraulische Energiespeicher. Da gibt es selbstverständlich noch viel Potential. Dazu braucht es vereinfacht gesagt nur ein Gelände mit einem nennenswerten Höhenunterschied, a "bissl" Platz oben für den Hochspeicher und a bissl Platz unten für das Krafthaus (und evtl. einen zusätzlichen Tiefspeicher). Ist die Anlage einmal gefüllt, kann das Wasser im Kreis laufen und es wird bis auf die Verdunstungs- und Versickerungsmengen des Speichers kein zusätzliches Wasser gebraucht. Auch hat ein solches Kraftwerk kaum Auswirkungen auf Flora und Fauna. Da stellt sich höchstens noch die Frage, ob man den baulichen Eingriff in die Natur gutheißt. Jedenfalls ist ein solches Speicherkraftwerk eine höchst sinnvolle Einrichtung, um Wind- und Solarstrom zwischenzuspeichern.
Das Problem sind aber Kraftwerke, bei denen ausschließlich bzw. vorwiegend Durchflusswasser verwendet wird. Diese werden in den Alpen zum Großteil mit Schmelzwasser der Gletscher gespeist. Kurzfristig sind solche Kraftwerke äußerst lukrativ, weil derzeit das Schmelzwasseraufkommen hoch ist und nichts kostet (eben auch keine Wind- und Solarkraftwerke). Aber wir wissen, wie es um die Gletscher bestellt ist und wir brauchen Strom vermutlich auch noch in 50 und 100 Jahren.

Di., 03.09.2019 - 12:31 Permalink
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Salto User
Sepp.Bacher Di., 03.09.2019 - 22:07

Antwort auf von Dietmar Holzner

Für Pumpspeicherwerke hat es in Südtirol in Vergangenheit schon Projekte gegeben, die aber von den betroffenen Gemeinden abgelehnt worden sind mit noch anderen Begründungen als Sie hier aufzählen. Aber langfristig wird man nicht darum herum kommen. Das im obigen Text Beschriebene macht deutlich, wie komplex diese Fragen sind.

Di., 03.09.2019 - 22:07 Permalink