Eine Amtsübergabe wird es nicht geben. Auch weil die neue Innenministerin Luciana Lamorgese den römischen Palazzo del Viminale wesentlich besser kennt als ihr Vorgänger Matteo Salvini, der das Innenministerium kaum
betreten hat. Zudem könnte der Lega-Chef über seine Nachfolgerin kaum Negatives sagen, nachdem er sie vor einigen Monaten bei ihrer Pensionierung über den grünen Klee gelobt hatte. Grösser freilich könnte der Gegensatz zwischen beiden Amtsinhabern kaum sein.
Die 65-jährige Anwältin aus Potenza war fast 40 Jahre lang eine vorbildliche Staatsdienerin. Parteilos, unaufdringlich, nüchtern und öffentlichkeitsscheu diente die Mutter zweier erwachsener Kinder den Innenministern Angelino Alfano und Marco Minniti als effiziente Kabinettschefin. Jetzt, wo sie ihre Beamtenkarriere hinter sich hat, kehrt sie als Ministerin in das mächtige Gebäude nahe dem römischen Bahnhof Termini zurück, nachdem sie als Präfektin in Venedig und Mailand für die öffentliche Ordnung zuständig war. Von ihr wird man weder Strandbilder auf Facebbok sehen noch Kommentare im Internet lesen.
Lamorgese ist die älteste Ministerin im jüngsten Kabinett der italienischen Geschichte. Sie verfügt über genügend Erfahrung, um mit Salvinis problematischem Erbe umzugehen. Sie wird versuchen, den Umgang mit Migranten zu entpolitisieren. Dass sie dessen migrantenfeindliche Dekrete aufhebt, gilt als unwahrscheinlich. Damit würde sie der Lega nur wertvolle Munition liefern. Schon in Mailand hatte sie stets ein Bündnis von Stadt, Region und Gemeinden gesucht. Sie räumte Nomadensiedlungen und besetzte Gebäude, verbannte die dort lagernden Migranten aus dem Hauptbahnhof und zwang renitente Lega-Bürgermeister zur Aufnahme von Migranten.
Es steht ausser Zweifel, dass Salvini seine Kampagne fortsetzen wird. Doch als Oppositionspolitiker stehen ihm in Zukunft weniger insitutionelle Kanäle zur Verfügung. Es wird etwas stiller um ihn. Das, so liess er wissen, sei nur darauf zurückzuführen, dass er sich im Trentino auf Pilzsuche befinde.
Der Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri
Er war zweifellos die grösste Überraschung auf der Ministerliste des Kabinetts Conte 2: Der EU-Parlamentarier Roberto Gualtieri ist neuer Wirtschafts- und Finanzminister. Seine Ernennung wurde in zahlreichen
europäischen Hauptstädten begrüsst. Die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde bezeichnete sie als "gute Nachricht für Italien und für Europa."
Gualtieri, seit 2009 EU-Parlamentarier des Partito Democratico, ist Vorsitzender des Wirtschafts -und Währungsauschusses des Europäischen Parlaments. Der Nachfolger des parteilosen Ministers Giovanni Tria ist einziger Italiener in dem 40-köpfigen Gremium, das den Arbeitsplan und die Richtlinien für die nächste Legislatur festlegte. Gualtieri ist ein vielseitiger Intellektueller und Verfasser zahlreicher Bücher zur italienischen und internationalen Geschichte. Er lehrt als Professor für Zeitgeschichte an der römischen Universität La Sapienza und ist Vizepräsident des Istituto Gramsci.
Gualtieri ist der berufene Mann, um in Brüssel über eine Reduzierung des italienischen Schuldenberges von fast 2400 Milliarden Euro zu verhandeln. Mit ihm und dem zukünftigen EU-Kommissar Paolo Gentiloni, der sich heute mit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen getroffen hat, verfügt Italien in Brüssel nun über eine effiziente und prominente Vertretung.