Nun gut, Bozen hat jetzt also sein Riesenrad. Tolle Sache, wenn mich auch ein bisschen wundert, dass es soweit kommen konnte. Schließlich geht’s zwar auf einer Seite aufwärts, auf der anderen aber fährt man in die Tiefe, und dass Bozen ein Problem hat mit Menschen, die sich auf dem Weg nach unten befinden oder schon dort angekommen sind, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Da nützt es auch nichts, wenn Bürgermeister Caramaschi nach Druck von Seiten der Medien, freilich nur von solchen unterhalb der medialen Wahrnehmungsgrenze, verlautbaren lässt, die
vor kurzem erfolgten Räumungsaktionen seien vom Landesamt für Wildbach- und Lawinenverbauung angeordnet worden.
Verkaufen Sie uns doch bitte nicht für blöd, Herr Caramaschi. Weder war das
die erste Aktion dieser Art, noch beschränken sich diese Säuberungen auf die Notbehelfe unter Brücken und am Flussufer. Die Gemeinde Bozen lässt schon seit einigen Jahren keine Gnade walten, wenn es um die sozial Gestrandeten geht, die keinen Platz in der überfüllten Obdachlosenunterkunft finden oder dort aus irgendwelchen Gründen auch gar nicht hinwollen. Schon klar, Augenweide sind sie keine. Mit oftmals alkoholisierten, verwahrlosten Gestalten, die inmitten von Müll und Dreck hausen, lässt sich schlecht Werbung machen für die Stadt. Noch dazu riechen sie selten nach Rosen und Veilchen und sind aufdringlich. Weiß doch jede*r, besonders die Befürworter*innen der Aktionen auf Facebook.
Nicht auszudenken, wenn die turisti, die eigentlich für mercatino und canederli herkamen, sich plötzlich mit solch unappetitlichen Unannehmlichkeiten konfrontiert sehen. Da nimmt man ihnen doch lieber in Blitzaktionen das wenige, das sie haben. Die Decke zum Schlafen. Das schiefe Zelt zum Schutz vor Wind und Wetter. Die in Plastiksäcken verstauten Habseligkeiten. Für Außenstehende Unrat und Krempel; für sie alles, was ihnen geblieben ist. Irgendwann werden sie es schon begreifen und sich vom Acker machen, irgendwohin ziehen, wo man sie duldet. Es soll sich wohl herumsprechen, dass Bozen kein guter Ort ist für jenewie sie. Das Bozen sein Lächeln nur jenen schenkt, die Geld im Sack haben und ein wenig davon dort lassen.
Es soll sich wohl herumsprechen, dass Bozen kein guter Ort ist für jenewie sie. Das Bozen sein Lächeln nur jenen schenkt, die Geld im Sack haben und ein wenig davon dort lassen.
Stellen Sie sich mal vor, sie kommen an einem windigen, kalten Tag müde nach Hause, und alles ist weg. Ihr Zuhause ist einfach nicht mehr da. Kein Bett, kein Dach, keine Erinnerungsstücke. Alles, was ihnen nicht nur lieb und teuer, sondern überlebensnotwendig ist, einfach auf den Müll geworfen. Keine schöne Vorstellung, oder? Ja, aber die Hygiene, sagt Caramaschi, das ist nicht annehmbar. Mag sein. Wenn die Konsequenz von Hygiene aber ist, dass Menschen sterben, weil sie in der Kälte krepieren, weil ihnen keine Alternative angeboten wurde, dann hoffe ich doch, dass die Forderung nach Hygiene zweitrangig ist und der Mensch Vorrang hat.
Denn Menschen sind sie nach wie vor, auch wenn wir sie gerne mit anderen Bezeichungen abwerten, um uns den grausamen Umgang mit ihnen zu erleichtern. Meinetwegen räumt, aber räumt, wenn ihr sie irgendwo anders unterbringen könnt, wenn ihr sie nicht dastehen lässt ohne alles, ausgeliefert und verletzlich. Jetzt macht man sich in der Gemeinde Gedanken über Fertighäuschen, über zusätzliche Schlafplätze. Ja bravo. Bevor die nicht da sind, braucht ihr nicht räumen. Ganz einfach.
Man kann es auch anders sehen, wie diese Woche der „Dolomiten“-Kommentar mit dem schönen Titel
„Man kann es auch übertreiben!!11!einself“ verdeutlichte. (Okay, die Rufezeichen stammen von mir.) Darin meint eine n
ett lächelnde Ursula Pirchstaller, dass Hilfsbereitschaft wohl „ein edler Zug“ sei, doch diese auch ihre Grenzen habe. Dass die Räumungen letzthin nämlich gerechtfertigt seien, denn: „Nur 2 der 40 Personen gehen einer Arbeit nach, 2 sind wegen Raub und Drogenhandel polizeigesucht, einige sind illegal im Land, andere haben ein laufendes Asylverfahren.“ Das ändert natürlich alles. Hilfsbereit ist man offenbar nur mit arbeitenden, unbescholtenen, sich legal im Land aufhaltenden Subjekten, und auch das nur, wenn man einen edlen Zug an sich kultivieren will. Alle anderen verdienen unser Mitgefühl nicht und können getrost „vertrieben“ werden.
Dass Pirchstaller das Wort unter Anführungszeichen setzt, ist nur ein weiterer Zynismus in diesem durch und durch zynischen Text, dessen Höhepunkt sicherlich die Aufforderung, „soziale Vereine“ sollten sich darum kümmern, dass es erst gar nicht zu Obdachlosigkeit kommt, darstellt. Genau. Dann gleich auch bitte dafür sorgen, dass es keine Suizide mehr gibt, und keine Spielsucht, und keine prügelnden Ehemänner. Soziale Vereine, habt ihr’s nicht drauf, oder was?
Dass Pirchstaller das Wort unter Anführungszeichen setzt, ist nur ein weiterer Zynismus in diesem durch und durch zynischen Text, dessen Höhepunkt sicherlich die Aufforderung, „soziale Vereine“ sollten sich darum kümmern, dass es erst gar nicht zu Obdachlosigkeit kommt, darstellt.
Dabei mag ich Zynismus eigentlich. Wenn er Scheinheiligkeit, Machtmissbrauch, Korruption entlarvt. Hier aber geht er auf Kosten der Schwachen und ist Ausdruck von Hartherzigkeit und sozialer Kälte. Wer Bedingungen für Mitgefühl stellt, hat nicht verstanden, was Mitgefühl ist. Keine rationale Entscheidung, sondern ein spontanes Hören auf das Herz. Weniger kitschig kann ich es nicht ausdrücken. „Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt“, hat Gustav Heinemann gesagt. Aufenthaltsgenehmigungen und Lohnarbeit hat er nicht erwähnt.
Dieser Tage hat meine Tochter aus dem Kindergarten wieder einmal einen Ohrwurm mitgebracht; er ist weniger schlimm als „Aramsamsam“, hallt aber textlich auf eine andere Weise nach: „Einmal saß halb erfroren ein armer Mann/an der Straße im Schnee, nur mit Lumpen an/Sankt Martin, Sankt Martin. […] So wie du woll’n auch wir zu den Menschen sein/wer in Not ist, den lassen wir nicht allein.“ Bald ziehen sie wieder durch die Straßen mit ihren Laternen. So süß, wie sie uns ermahnen, bessere Menschen zu sein. So gar nicht süß, wie die Realität aussieht.